110.000 Stellen fehlen
Der Bedarf ist da: Nach Jahren des Personalabbaus steigt zwar die Beschäftigtenzahl im öffentlichen Dienst seit 2011 wieder leicht an – allerdings nicht genug, wie eine Studie des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung (HBS) von 2016 deutlich macht. Um dem Bedarf an öffentlichen Dienstleistungen gerecht zu werden, wäre ein Personalaufwuchs nötig, der weit darüber hinausgeht, jene Kolleginnen und Kollegen zu ersetzen, die in den Ruhestand gehen. Insgesamt fehlen den Berechnungen der HBS zufolge mindestens 110.000 Vollzeitstellen. Besonders groß sei die Not bei der Kinderbetreuung und in den Finanzverwaltungen, aber auch bei der Polizei und im Schulbereich. Die Bertelsmann Stiftung kam 2016 zu dem Ergebnis, deutschlandweit fehlten allein in Kindertagesstätten über 100.000 Vollzeitstellen, um eine umfassende Betreuung bei angemessenem Personalschlüssel zu gewährleisten.
Die öffentlichen Arbeitgeber wissen genau, dass sie attraktiver werden müssen. Sie geben viel Geld für eine Imagekampagne mit dem Titel „Die Unverzichtbaren“ aus: „Hier erfahrt Ihr, was Deutschlands größter Arbeitgeber so alles zu bieten hat und wie Ihr selbst zu den Unverzichtbaren werden könnt, die dafür sorgen, dass unser Staat funktioniert“, heißt es auf der Startseite. Wenn es jedoch darum geht, die Arbeitsbedingungen attraktiver zu gestalten, stehen sie auf der Bremse. Dann sind sie nicht bereit, das Befristungsunwesen einzudämmen – hier ist der öffentliche Dienst weiterhin trauriger Spitzenreiter. Dann fehlt es ihnen an Fantasie, den Generationenwechsel so zu gestalten, wie es andere Branchen längst vorgemacht haben: Etwa mit Entlastungen für ältere Kolleginnen und Kollegen, damit diese gesund bis zur Rente kommen, sowie mit Qualifikations- und Entwicklungsangeboten für die Jüngeren.
Warum sollten die „Unverzichtbaren“ auf eine Lohnentwicklung verzichten, die sich mindestens auf dem Niveau der Gesamtwirtschaft bewegt?
Auch wenn es ums Gehalt geht, ist der öffentliche Dienst weiter im Hintertreffen. Bezogen auf das Basisjahr 2000 stiegen die Tariflöhne nach Angaben des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der HBS in der gesamten Wirtschaft bis 2016 um 44,8 Prozent, im öffentlichen Dienst des Bundes und der Kommunen dagegen nur um 40,6 Prozent. Warum sollten die „Unverzichtbaren“ auf eine Lohnentwicklung verzichten, die sich mindestens auf dem Niveau der Gesamtwirtschaft bewegt?
Zugleich liegt die Entwicklung der Lohneinkommen noch immer hinter den Unternehmens- und Vermögenseinkommen zurück, wenn es um die Verteilung des gesellschaftlichen Wohlstands geht. Um diese Schere zu schließen, müssten die Lohneinkommen stärker wachsen als die Teuerungsrate (Inflation) plus Arbeitsproduktivität. Mit ihren Tarifforderungen wollen die Gewerkschaften diesen sogenannten „verteilungsneutralen Spielraum“ überschreiten, um eine Umverteilung zugunsten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu erreichen.
Boomende Wirtschaft
Am fehlenden Geld jedenfalls wird es nicht scheitern. Die halbjährlichen Steuerschätzungen, die die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute im Auftrag des Bundesfinanzministeriums vornehmen, eilen seit mehreren Jahren von Rekord zu Rekord. In der Novemberschätzung wurden die Steuereinnahmen der Kommunen für 2017 gegenüber der Schätzung vom Mai um 1,8 Milliarden Euro nach oben korrigiert. Das macht im Ergebnis für 2017 ein Plus von 6,7 Prozent! Für die nächsten drei Jahre wurde die Prognose um weitere zwölf Milliarden Euro angehoben. Das IMK rechnet in seinem „Prognose-Update“ vom Dezember 2017 für das laufende Jahr mit einem Budgetüberschuss in Höhe von 1,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Aus den Koalitionsverhandlungen wurde Anfang 2018 berichtet, die erwarteten Steuereinnahmen für die nächsten vier Jahre seien erneut nach oben korrigiert worden. Der finanzielle Spielraum sei so groß wie nie zuvor.
Grundlage der guten Prognosen ist eine anhaltend positive Wirtschaftsentwicklung, die nicht zuletzt durch staatliche Investitionen in die Infrastruktur und öffentliche Dienstleistungen gestützt wird. Das gibt den privaten Unternehmen Sicherheit, damit sie ihrerseits im Inland investieren. So stiegen 2017 endlich auch die Bau- und die Ausrüstungsinvestitionen spürbar (laut IMK um 3,5 bzw. 4,3 Prozent); auch die „sonstigen Anlageinvestitionen“ – Forschung und Entwicklung, Software und Datenbanken sowie anderes geistiges Eigentum – legten kräftig zu. Zuvor war das Wachstum außer von privatem Konsum vor allem von Exporten getragen worden.