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Lage günstig wie selten

In der Tarifrunde im öffentlichen Dienst kommt es Experten zufolge darauf an, dass der Abstand zu den Industriebeschäftigten nicht wieder größer wird – damit sich auch künftig Menschen für einen Beruf in der öffentlichen Daseinsvorsorge entscheiden.

Prof. Thorsten Schulten, Leiter des WSI-Tarifarchivs der Hans Böckler Stiftung, Honorarprofessor an der Universität Tübingen. Foto: WSI

Die Tarifrunde 2018 verspricht schon heute eine ganz besondere zu werden. Kaum jemals waren die ökonomischen Rahmenbedingungen günstiger als in diesem Jahr: Die Wirtschaft boomt, die Auftragsbücher sind voll, und die öffentlichen Haushalte verkünden immer neue Einnahmerekorde. Vor diesem Hintergrund sind die sechs Prozent Lohnerhöhung, die die Gewerkschaften in diesem Jahr in fast allen Branchen fordern, keineswegs besonders hoch gegriffen.

Kräftige Lohnzuwächse sind dabei nicht nur eine Frage der sozialen Gerechtigkeit, sondern auch ökonomisch sinnvoll, geht von ihnen doch ein wichtiger Beitrag zur Förderung der Konsumnachfrage aus. Dieser ist nötig, um die gute wirtschaftliche Entwicklung zu verstetigen. Auch international wird derzeit sehr genau auf die Tarifentwicklung in Deutschland geschaut – kräftige Lohnsteigerungen tragen dazu bei, dass die Bundesrepublik mehr importieren und damit die Konjunktur in anderen Ländern unterstützen kann. Als Exportweltmeister muss Deutschland ein unmittelbares Interesse daran haben, dass die Wirtschaft auch in anderen Ländern gut läuft. Höhere Löhne hierzulande sind demnach auch ein notwendiger Beitrag zu einer ausgeglicheneren Handelsbilanz.

Die Tarifrunde in der Metallindustrie hat mit einer vereinbarten Abschlussrate von 4,3 Prozent bereits eine wichtige Orientierungsmarke gesetzt. Gerade im öffentlichen Dienst kommt es nun darauf an, dass der Abstand zu den Industriebeschäftigten nicht wiedergrößer wird. Nur so lässt sich sicherstellen, dass sich auch in Zukunft genügend Menschen für einen Beruf in der öffentlichen Daseinsvorsorge entscheiden. Dies gilt in besonderem Maße für den Sozial- und Erziehungsdienst sowie das Gesundheitswesen. Hier sind die Beschäftigten im Vergleich zu ihren Kolleginnen und Kollegen aus der Industrie deutlich unterbezahlt, der vielbeschworene Fachkräftemangel ist schon heute sichtbar.

„Darüber hinaus deutet sich schon heute an, dass mit der Tarifrunde 2018 eine Renaissance der tariflichen Arbeitszeitpolitik eingeleitet werden dürfte.“

In vielen Branchen geht es in der aktuellen Tarifrunde auch darum, vor allem die unteren Lohngruppen besonders zu fördern. Nachdem lange Zeit die Unterschiede zwischen verschiedenen Beschäftigtengruppen eher zugenommen haben, lassen sich in den vergangenen Jahren immer häufiger Ansätze für eine solidarische Lohnpolitik beobachten. So fordern die Gewerkschaften im öffentlichen Dienst sechs Prozent mehr Gehalt, mindestens jedoch 200 Euro, was für die untersten Lohngruppen eine Erhöhung von bis zu 11 Prozent bedeuten würde. Auch im Abschluss der Metallindustrie gibt es mit einem ab 2019 vereinbarten Festgeldbetrag von 400 Euro pro Jahr eine wichtige soziale Komponente.

Darüber hinaus deutet sich schon heute an, dass mit der Tarifrunde 2018 eine Renaissance der tariflichen Arbeitszeitpolitik eingeleitet werden dürfte. Dabei geht es neben der Sicherung kollektiver Arbeitszeitstandards auch zunehmend um individuelle Wahloptionen und Zeitsouveränität. Nachdem bei der Deutschen Bahn bereits Ende 2016 erstmals ein tarifvertragliches Wahlmodell vereinbart wurde, bei dem sich die Beschäftigten zwischen mehr Geld oder geringerer Arbeitszeit entscheiden können, ist auch in der Metallindustrie ein ähnliches Modell beschlossen worden. Hinzu kommt, dass ein Recht auf eine befristete Arbeitszeitverkürzung festgeschrieben wurde, das faktisch ein Rückkehrrecht auf eine Vollzeitstelle beinhaltet. Im öffentlichen Dienst wird ähnlich wie in der Metallindustrie ein Schwerpunkt auf Beschäftigte mit besonders belastenden Arbeitszeiten gelegt: So sollen vor allem Beschäftigte in Schichtarbeit zusätzliche freie Tage erhalten.

Schließlich ist für die Tarifrunde im öffentlichen Dienst auch die geforderte Laufzeit von zwölf Monaten von besonderer Bedeutung. Ist damit doch die Hoffnung verbunden, die Tarifbewegungen von Bund und Kommunen und den Ländern endlich wieder zusammenzuführen.