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Ganztags Stress

Die Ganztagsschule bringt neue Formen der Arbeitsbelastung mit sich. Lehrkräfte sowie Erzieherinnen und Erzieher sind unterschiedlich betroffen. An rhythmisierten Modellen mangelt es.

Nachmittagsbetreuung hat in Thüringen seit DDR-Zeiten Tradition. Heute bieten 90 Prozent der Grund- und rund 50 Gemeinschaftsschulen ein Ganztagsprogramm an, allerdings nach dem altvertrauten Muster einer auch zeitlich strikten Trennung der Aufgabenbereiche von Lehrkräften sowie Erzieherinnen und Erziehern. Unterricht ist vormittags, nachmittags Betreuung. Damit bleiben Lehrkräfte bislang von ganztägiger Präsenzpflicht verschont. Erzieherinnen und Erzieher jedoch sind auf Teilzeit festgenagelt. Das ist auch der Grund, warum sich nach Einschätzung der GEW-Landesvorsitzenden Kathrin Vitzthum „nicht mehr genug Ausgebildete“ um eine pädagogische Beschäftigung an Thüringer Ganztagsschulen bewerben. „Wir stellen mittlerweile alles ein, was von sich sagt, es möchte gern mit Kindern arbeiten.“

Hamburg führte unterdessen seit 2010 den „flächendeckenden“ Ganztag an Grund- und Stadtteilschulen ein. Allerdings handelt es sich dabei nach Ansicht von GEW-Tarifexpertin Birgit Rettmer um eine „Sparversion von Ganztagsschule“. Der Unterricht konzentriere sich nach wie vor in den Stunden bis zum frühen Nachmittag. Es folgen Hausaufgabenbetreuung, Kurse, „Aufbewahren, Entspannung, Bespaßung“. Für die Beschäftigten bedeute diese Struktur „Verdichtung“ und „Vertaktung“ ihrer Arbeitszeit. Insbesondere von den Erzieherinnen werde ein „höchstmögliches Maß an Flexibilität“ verlangt: „Die rennen nur noch von Gruppe zu Gruppe“, sagt Rettmer. Hinzu komme die Neigung mancher Schulleitungen, dem pädagogischen Fachpersonal aus Kostengründen Tätigkeiten zuzuweisen, die die originäre Aufgabe von Lehrkräften seien. 

In einer Befragung von 1.400 Erzieherinnen und Erziehern an Berliner Ganztagsschulen stellte der Arbeitswissenschaftler Bernd Rudow von der FH Merseburg vor einigen Jahren fest, dass 14 Prozent an „emotionaler Erschöpfung“ litten und damit zumindest „Burnout-Tendenzen“ aufwiesen. Im Vergleich der Berufsgruppen sei diese Quote „überdurchschnittlich“. Dass „die ganztägige Bindung an den Arbeitsort Schule“ eine schmerzliche Umstellung bedeutet, bilanzierte auch Frank Mußmann, Leiter der Kooperationsstelle Hochschule und Gewerkschaften der Universität Göttingen, bei einer Erhebung zur Arbeitsbelastung niedersächsischer Lehrkräfte. Demnach empfanden 67 Prozent der an Ganztagsschulen Beschäftigten die Präsenzpflicht am Nachmittag als Erschwernis,

Der ausführliche Artikel von Winfried Dolderer ist in der Januarausgabe der „E&W“ abgedruckt.