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Interview mit Schulleiter Martin Neumann

„Manchmal weiß ich nicht mehr, wo ich anfangen soll“

Martin Neumann ist Schulleiter einer Beruflichen Schule in Hamburg und amtiert außerdem als Vorsitzender der GEW-Bundesfachgruppe Gewerbliche Schulen. Im E&W-Gespräch erläutert er, was sich ändern muss, damit die Belastung von Schulleitungen sinkt.

„Wenn es um wichtige Themen geht, kann man Termine nicht ausfallen lassen. Da sage ich: ‚Okay, ich geh‘ jetzt hin, auch wenn es mir nicht gut geht,‘“ sagt Schulleiter Martin Neumann (Foto: privat).
  • E&W: Sie gehören zu einem siebenköpfigen Leitungsteam, sind verantwortlich für 1.300 Schülerinnen und Schüler. Müssen Sie zusätzlich auch noch unterrichten?

Martin Neumann: Teilweise. In Notlagen springe ich ein, um Engpässe zu überbrücken. Das kann auch mal für ein halbes oder ganzes Jahr sein. Dann unterrichte ich in meinen alten Fächern, das sind Automatisierungstechnik und Wirtschaft und Gesellschaft.

  • E&W: Wie groß ist denn Ihre körperliche und psychische Belastung als Schulleiter?

Neumann: Ich würde sie als hoch bezeichnen. Ich bin bei 50 Arbeitsstunden pro Woche. Wobei ich mich glücklicherweise gesundheitlich in einem guten Zustand befinde. Und sagen würde, ich kann mit Stress ganz gut umgehen.

  • E&W: Welche Aufgabe empfinden Sie als besonders belastend?

Neumann: Wir stehen aktuell vor einer großen Gebäudesanierung. Und bei jeder Steckdose wird der Schulleiter gefragt, wo die angebracht werden soll. Hinzu kommt ein hoher Aufwand, was Verwaltung angeht. Es gibt Probleme bei der Beschaffung von Fahrkarten für den öffentlichen Nahverkehr für die Schülerinnen und Schüler. Da muss man hinterher sein und mit den verantwortlichen Leuten kommunizieren. Es geht vom Klopapier bis hin zur Personalentscheidung. Das ist auf der einen Seite spannend und interessant. Aber manchmal weiß ich nicht mehr, wo ich anfangen soll.

  • E&W: Kommt es vor, dass Sie zur Arbeit gehen, obwohl Sie krank sind?

Neumann: Es gibt viele Termine, bei denen nur der Schulleiter oder die Schulleiterin aussagefähig ist. Zum Beispiel das Bauprojekt bei uns oder übergeordnete administrative Dinge. Da laufen alle Informationen bei der Schulleitung zusammen. Wenn es um wichtige Themen geht, kann man Termine nicht ausfallen lassen. Da sage ich: „Okay, ich geh‘ jetzt hin, auch wenn es mir nicht gut geht.“

  • E&W: Das Arbeitsschutzgesetz, ein Bundesgesetz, schreibt vor: Arbeitgeber müssen die psychischen Belastungen bei der Arbeit ihrer Beschäftigten regelmäßig untersuchen. Dies gilt auch für den Arbeitsplatz von Lehrkräften, nicht aber von Schulleitungen. Ein Missstand?

Neumann: Ich denke, das ist eine Lücke. Es gibt genug schulische Leitungskräfte, bei denen man mal nachfragen könnte: „Hey, wie sieht es bei euch aus?“ 

  • E&W: Beschäftigt sich Ihr Dienstherr, das Hamburger Institut für Berufliche Bildung, inzwischen mit der Gesundheit der Schulleitungskräfte?

Neumann: Ich höre, dass das Thema mittlerweile angekommen ist. Das hat damit zu tun, dass Nachwuchs für Leitungsfunktionen gesucht wird. Dass man sich Gedanken macht, wie können wir diese Arbeitsplätze attraktiv gestalten. Zudem ist bekannt geworden, dass es die von der GEW initiierte Belastungs-Analyse gibt – mit ziemlich eindeutigen Ergebnissen. Entscheidungen sind aber noch nicht gefallen.

  • E&W: Welche Sofortmaßnahmen könnten Ministerien und Schulbehörden ergreifen, um Schulleitungen zu entlasten?

Neumann: Erste Maßnahme wäre, sich ein Bild zu verschaffen. Wo liegen die Belastungen? Es geht ganz viel um administrative Geschichten. Je mehr wir digitalisieren, desto mehr Daten werden erhoben und müssen gepflegt werden. Das ist ein großer Bereich. Wenn ich 1.300 Schülerinnen und Schüler habe, die brauchen alle einen Benutzernamen, die brauchen alle ein Kennwort. In einem Bereich müsste sofort etwas passieren: Wir brauchen dringend eine bessere Ausstattung mit IT-Personal und Fachkräften in der Verwaltung.

  • Regelmäßige Belastungsstudien durch die Arbeitgeber.
  • Verpflichtende Präventionsmaßnahmen durch den Arbeitgeber.
  • Politische Maßnahmen:
  • Ressourcen für Bildung stärken.
  • Die schlechte Ausstattung der Schulen sorgt für eine wachsende Arbeitsbelastung der Schulleitungen. Deshalb ist eine gesicherte, nachhaltige Ausstattung der Schulen ein wichtiger Faktor, um Belastungsfaktoren zu verringern.
  • Entlastung durch zusätzliches Personal (auch IT-Administratoren und Verwaltungsfachkräfte).
  • Entlastungsstunden für Leitungskräfte und zusätzliche Funktionsstellen.
  • Bessere Bezahlung.
  • Maßnahmen gegen den Lehrkräftemangel (s. 15-Punkte-Programm der GEW).
  • Die mangelhafte Ausstattung der Schulen ist für die Leitungskräfte eine große Belastung. Deshalb müssen das Startchancenprogramm, der Digitalpakt 2.0 und der Pakt für die Berufsbildenden Schulen, aber auch die bauliche, energetische und pädagogische Sanierung der Schulen umgehend angegangen werden.