Hermann Müller und Marlies Meier sind 66 Jahre alt und seit einem Jahr im Ruhestand. Sie haben 45 Jahre lang in derselben Firma gearbeitet, stets in Vollzeit, und ihr Gehalt entsprach immer exakt dem Durchschnittseinkommen der Bevölkerung. Beide waren nie länger krank, haben keine Kinder betreut und keine Angehörigen gepflegt. Müller bekommt monatlich 1.222,09 Euro Rente und Meier 1.150,25. Der Unterschied resultiert daraus, dass Meier im Osten und Müller im Westen der Republik wohnt und die Rentensysteme auch 27 Jahre nach der friedlichen Revolution in der DDR immer noch nicht angeglichen sind. Die beiden sind trotzdem zufrieden.
Einziges Problem: Es gibt sie gar nicht. Müller und Meier stehen für den "Eckrentner", der für die Berechnung des Standardrentenniveaus herangezogen wird. Im wirklichen Leben wird man eine solche Normalerwerbsbiografie kaum finden. Wer beispielsweise studiert hat, schafft keine 45 Berufsjahre. Erziehungszeiten, Arbeitslosigkeit, Jobwechsel, Zeiten der Selbstständigkeit, Teilzeit – all das zerstört die am Schreibtisch errechnete Biografie des Eckrentners und führt zu niedrigeren Renten. Immer mehr alte Menschen müssen unterstützend Grundsicherung beantragen. In der Realität sind Herr Müller und Frau Meier keine glücklichen Rentner: Sie müssen zusehen, wie sie über die Runden kommen.
Für die "E&W" hat Grit Gernhardt mit RentnerInnen gesprochen, die knapp über der Armutsgrenze leben oder sogar darunter und Grundsicherung benötigen. Ihre Reportage ist in der Novemberausgabe zu lesen.