Dialog
Wenn Alter zum Risiko wird
Es fehlt in Deutschland an bezahlbarem und altersgerechtem Wohnraum. Mit dem demografischen Wandel steigt der Bedarf. Und nun?
Hartmut Jeromin liebt seine Wohnung. Den herrlichen Blick von der Anhöhe über Kreischa, einen kleinen Ort im Speckgürtel von Dresden. Die Getreidefelder, die Apfelplantagen in der Nähe. Seit 25 Jahren lebt er in der 108-Quadratmeter-Wohnung. Nun hat der Vermieter gekündigt. Ende des Sommers müssen er und seine Lebensgefährtin raus.
Jeromin seufzt: „Im Alter umzuziehen, ist nicht lustig.“ Der ehemalige Realschullehrer ist 83 Jahre alt, seine Partnerin betreuungsbedürftig. Sie leben gern im dörflichen Kreischa, die Verkehrsanbindung nach Dresden ist gut. Während für Kolleginnen und Kollegen aus Zittau, Bautzen oder Hoyerswerda eine GEW-Sitzung in Dresden schnell zum Tagesausflug wird, bringen ihn Bus und S-Bahn flott in die Stadt. In Kreischa gibt es einen Supermarkt, ein Dorfgemeinschaftshaus, Apotheker, Arzt, Fußpflege, ein paar Cafés. „Mir fehlt hier nichts.“
„Ich will Geld für den Alltag übrig haben. Mal nach Fischland an der Ostsee, mal ins Thermalbad in der Nähe.“ (Hartmut Jeromin)
Nun wartet Jeromin auf einen Besichtigungstermin bei der neuen Einrichtung für betreutes Wohnen im Ort. Denn ohne Betreuung wird es für seine Partnerin nicht gehen. Doch es drängeln sich 200 Bewerbende für 70 Wohnungen. Und die Einrichtung ist teuer, zu teuer eigentlich für zwei. Also trennen? Sie in das betreute Wohnen, er in die Seniorenresidenz am Ort? Auch das ist nicht billig. „Und ich will Geld für den Alltag übrig haben. Mal nach Fischland an der Ostsee, mal ins Thermalbad in der Nähe.“ Vielleicht zieht er zu einem Freund nach Collditz bei Leipzig, der hat ein Haus geerbt, das zu groß für ihn ist. „Oder in die leerstehende Einraumwohnung im Keller meines Nachbarn“, sagt Jeromin. „Wenn‘s schlimm kommt, vermietet er sie mir.“
„Oft reicht das Geld aus dem Verkauf eines Hauses im Grünen nicht mal für eine kleine Wohnung in der Stadt.“ (Reiner Braun)
Wohnen kann für ältere Menschen ein Problem werden. In den Städten steigen die Mieten, bezahlbares Eigentum ist Mangelware, Wohnraum wird knapp. Auf dem Land ist es zwar günstiger, doch etwas zu finden, das zu den Bedürfnissen der späten Lebensphase passt, ist schwierig. Zu teuer, nicht barrierefrei, schon gar nicht bei Pflegebedürftigkeit geeignet. Und je weiter es raus geht, desto mehr hapert es an der Infrastruktur. Supermärkte, Ärzte, Begegnungsräume, Nahverkehrsangebote fehlen. Wer nicht mehr Auto fahren kann, für den wird Mobilität zur Herausforderung. Viele Ältere zieht es daher nach Studien des Berliner Immobilienforschungsinstituts Empirica in die Städte zurück. „Doch oft reicht das Geld aus dem Verkauf eines Hauses im Grünen nicht mal für eine kleine Wohnung in der Stadt“, so Empirica-Forscher Reiner Braun.
Zu groß und nicht barrierefrei
Sicher ist: Der Wohnbedarf für Ältere steigt. Ab 2040 wird voraussichtlich jeder Vierte über 65 Jahre alt sein. Die Generation der Menschen, die zwischen 1955 und 1965 geboren worden sind, geht langsam in Rente. Jedes Jahr kommen nach Angaben der Hamburger Körber-Stiftung bis zu 1,4 Millionen Ruheständlerinnen und Ruheständler hinzu. 65 Prozent leben im urbanen Raum, oft im Speckgürtel, etwa die Hälfte im Eigenheim. „Wenn die Kinder ausziehen, sind die Häuser zu groß, barrierefrei ohnehin nicht“, so David Menn, Programm-Manager Alter und Kommune bei der Körber-Stiftung. „Aber die Älteren schätzen Selbstständigkeit und gewohntes Umfeld.“ Nach dem Deutschen Altensurvey ist die Mehrheit der Menschen ab 65 Jahren zufrieden mit ihrer Wohnsituation.
„Es fehlt bezahlbarer Wohnraum für Ältere, im sozialen Wohnungsbau gibt es einen enormen Sanierungsstau und in manchen Vierteln können sich die Älteren nicht mal das Busticket ins Zentrum leisten.“ (Hubert Weis)
Wie Hubert Weis. Der ehemalige Sonderschullehrer und Referatsleiter in der Schulaufsicht lebt seit dem Tod der Mutter in seinem Elternhaus, 90 Quadratmeter mitten in Trier. 20 Minuten von der Fußgängerzone entfernt, einen Katzensprung bis in das Lokal, in dem er sich regelmäßig mit Bekannten trifft, Theater und Oper um die Ecke. Weis fühlt sich wohl im Quartier seiner Kindheit, umgeben von viel Grün. „Barrierefrei ist in meinem Haus tatsächlich nichts“, sagt Weis. Treppen statt Aufzug, Schwellen statt ebenerdig. „Für den Rollstuhl top ungeeignet, aber es hält fit.“ Weis lacht. „Wenn es nicht mehr geht, muss ich mich nach etwas anderem umschauen. Natürlich, mit meiner Pension kann ich mir vieles leisten, das ist ein Privileg.“
Als Vorsitzender des Seniorenbeirates der Stadt Trier weiß der 78-Jährige, dass es vielen alten Menschen in der Stadt anders geht. „Es fehlt bezahlbarer Wohnraum für Ältere, im sozialen Wohnungsbau gibt es einen enormen Sanierungsstau und in manchen Vierteln können sich die Älteren nicht mal das Busticket ins Zentrum leisten“, sagt Weis.
Wohnen im Alter
- Informationen beschaffen: Was kommt auf die Gesellschaft zu, wenn Menschen in den Ruhestand gehen? Wie verändert sich das Angebot von Wohnraum für ältere Menschen? In der Studie „Ageing in Place. Wohnen in der alters-freundlichen Stadt“ hat ein Team des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung gemeinsam mit der Körber-Stiftung untersucht, wie sich Bedarf und Formen altersgerechten Wohnens verändern. Die Publikation zeigt kommunale Handlungsoptionen und innovative soziale Lösungen für gutes Wohnen im Alter. Die Studie „Wohnen im Alter“ des Empirica-Instituts nimmt barrierefreies Wohnen unter die Lupe. Was gehört dazu, wie -verbreitet es sich, wie lässt es sich erweitern?
- Beraten lassen und planen: Die meisten älteren Menschen möchten gerne so lange wie möglich in ihrem aktuellen Zuhause bleiben. Das zeigt der Deutsche Altensurvey, das belegen viele andere Studien. Umso wichtiger ist es, frühzeitig zu planen, wie man vorgehen möchte, wenn das plötzlich nicht mehr ohne weiteres möglich sein sollte. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungsanpassung berät in punkto barrierefreier Umbau der eigenen Wohnung und informiert über alternative Wohnformen für ältere Menschen mit Einschränkungen. Die Website gibt einen Überblick über die regionalen Wohnberatungsstellen in Deutschland, sammelt Kontakte zu Ansprechpartnern in den Bundesländern und leitet an die Online-Wohnberatung des Vereins Barriere-frei Leben weiter. Sehr hilfreich ist das Niedersachsenbüro Neues Wohnen im Alter. Es informiert online und vor Ort über neue Wohnformen und Nachbarschaften, unterstützt beim Aufbau neuer Wohn-Pflegeformen im Quartier, Mehrgenerationeninitiativen, barrierefreier Bauprojekte und Selbsthilfegruppen.
Umbau statt Neubau
Viele Expertinnen und Experten sind sich einig: Altersgerechter Neubau allein ist kaum eine Lösung. Der Bau dauert zu lange, ist teuer. Derzeit wird gerade mal die Hälfte der barrierefreien Neubauten von Seniorinnen und Senioren bewohnt, der Rest von jungen Familien. „Und wenn in 20 Jahren die geburtenschwächeren Jahrgänge in den Ruhestand gehen, könnte Leerstand drohen“, so Demografie-Experte Menn.
Ohne den Umbau bestehender Wohnungen wird es kaum gehen. Einerseits durch den Staat. Städte wie Hoyerswerda versehen bereits Fünfgeschosser mit Liften im Treppenhaus und barrierearmen Bädern. Nach einer Studie des Pestel-Instituts aus Hannover fehlen schon jetzt 2,2 Millionen altersgerechte Wohnungen in Deutschland. Wie viele genau in den einzelnen Bundesländern bereits zur Verfügung stehen und wo künftig noch mehr gebraucht werden, erhebt derzeit das Empirica Institut in einer Studie.
„Ältere sollten sich unbedingt frühzeitig Gedanken über die Kosten für altersgerechten Umbau ihrer Wohnung machen.“
Andererseits müssen auch die Bewohnenden selbst aktiv werden. Empirica-Forscher Braun: „Ältere sollten sich unbedingt frühzeitig Gedanken über die Kosten für altersgerechten Umbau ihrer Wohnung machen.“ Wie teuer ist die Verbreiterung der Türen, die Beseitigung der Schwellen, die Ausstattung des Bades mit Stützhilfen? Wie lassen sich Räume bedarfsgerecht umnutzen? „Dann kann man solide planen: Rechnet sich das später oder ist ein Umzug in eine altersgerecht sanierte Wohnung günstiger?“
Viele Kommunen experimentieren mit neuen Ansätzen, um die Wohnraumsituation für Ältere zu verbessern. „Clusterwohnen“ zum Beispiel, bei dem sich mehrere kleine, abgeschlossene Wohnungen ein gemeinsames großes Wohnzimmer teilen. „Servicewohnen“, bei dem Bewohnende Einkaufsdienste, Pflege oder Sportangebote nach Bedarf dazubuchen können. Andere richten „Pflegekerne“ ein, mobile Servicestationen in Nachbarschaften mit einem hohen Anteil älterer Bewohnender.
Hartmut Jeromin steht noch vor der Entscheidung: Welche Variante ist die beste Lösung für meine späte Lebensphase? „Aber eines weiß ich: Am liebsten möchte ich hier in Kreischa den Rest meines Lebens verbringen.“
Für die Lebensplanung im Alter ist eine solide Daseinsvorsorge in den Kommunen unerlässlich.
Irgendwann steht die Entscheidung für uns alle an: Wie wohne ich in der letzten Phase meines Lebens? Wenn Krankheiten, vielleicht Pflegebedürftigkeit näher rücken. Wenn das selbstständige Leben mühsamer wird und sich der Gedanke nicht mehr so leicht beiseiteschieben lässt: Wie weiter, wenn mein Partner oder meine Partnerin nicht mehr sein sollte?
Natürlich, die Auseinandersetzung mit diesen Fragen mag erst mal etwas Erschreckendes, Unbequemes haben. Doch letztlich sollte sie ebenso selbstverständlich sein, wie es die Planungen junger Eltern vor der Familiengründung sind: Wie wollen wir Erwerbsarbeit und Care-Aufgaben aufteilen, wie möchten wir wohnen, wo ist ein gutes Umfeld für unsere Kinder, gibt es gute Kitas und Schulen? Alter ist kein Horror, sondern eine neue, schöne Lebensphase, die wir genauso planen und besprechen sollten. Welche Lebensform passt zu uns, wie wollen und können wir uns verändern, was macht uns Freude?
So wichtig die Lebensplanung des Einzelnen ist, so unerlässlich ist die solide Daseinsvorsorge in den Kommunen. Dazu gehören eine flächendeckende Grundversorgung, öffentlicher Nahverkehr, ausreichend bezahlbarer, altersgerechter Wohnraum, digitale Anbindung, Räume der Begegnung im Quartier. Das Staatsziel der gleichwertigen Lebensverhältnisse aller Menschen in Deutschland, egal wo sie leben oder wie alt sie sind, ist im Grundgesetz verankert. Es ist die Aufgabe von Bund, Ländern und Kommunen, das endlich umzusetzen.
Frauke Gützkow, GEW-Vorstandsmitglied, verantwortlich für Seniorinnen- und Seniorenpolitik
Susanne Schlossarek, 75, Studiendirektorin an einer Fachschule für Sozialpädagogik, Berlin, im Ruhestand
Ich habe sehr gern gearbeitet und ich hatte einen sehr schönen Abschied, das war mir wichtig. Danach – ab in die Freiheit! Ich habe zu Beginn meines Ruhestands eine Radtour unternommen. Am ersten Schultag bin ich eine Lindenallee irgendwo in Brandenburg entlang geradelt – da rief mich meine Nachfolgerin an mit einer Frage. Die habe ich gern beantwortet und bin danach glücklich weitergefahren.
Ich hatte ein sehr nettes Kollegium. Ich habe weiter Kontakt gehalten und einen Neujahrsumtrunk bei mir eingeführt. Aber im Laufe der Jahre ist mir die Schulwelt weiter weggerückt. Ich bin in der GEW aktiv und mache in einer Trommelgruppe mit. Dafür hätte ich früher keine Zeit gehabt. Wir machen Stimmung auf Demos, das macht großen Spaß.
Ehrenamtlich unterstütze ich junge Frauen mit Migrationsgeschichte in ihrer Ausbildung zur Erzieherin. Es freut mich, dass ich ihnen etwas von meinem Know-how weitergeben kann und ich bekomme dadurch Einblicke in ihre Schicksale. Es beeindruckt mich, wie diese Frauen aus Bosnien, Angola oder Syrien, fast alle mit Kindern, ihr Leben meistern. Sie sind mutig, wie jene junge Frau, die im Flüchtlingslager im Libanon erlebt hat, wie sexuelle Übergriffe durch Mitarbeiter von Mädchen und Frauen aus Scham verschwiegen wurden. Jetzt hat sie in ihrer Kita-Gruppe ein Projekt zu dem Thema organisiert.
Das Schönste ist für mich die Zeit in den Bergen. Wandern von Hütte zu Hütte, Bergsteigen. Früher war ich im Himalaya, heute reichen mir die Ammergauer Alpen oder das Bergell. Ich möchte noch viele Berge besteigen. Aber mein Mann macht lieber Strandurlaub. Langweilig wird es mir auch in Zukunft sicher nicht. Ich habe zwei Enkel, dann der Sport gegen die Alterserscheinungen, Radtouren, Doppelkopf spielen und die Kultur.