Dämpfungsfaktoren
Doch der wichtigste Mechanismus, um Ausgaben zu dämpfen, lief über das Rentenniveau. Steigen die Renten langsamer als die Löhne, sinkt das Rentenniveau. In einem ersten Schritt wurden die Rentenanpassungen acht Jahre lang um je 0,5 Prozentpunkte vermindert, da die Beitragszahler nun auch vier Prozent zusätzlich für ihre kapitalgedeckte Vorsorge aufwenden müssten. Dann baute man die Rentenformel so um, dass sie automatisch reagiert: Steigt der Rentenbeitrag, vermindert das die Rentenerhöhung (Beitragssatzfaktor). Entwickelt sich das Verhältnis von Beitragszahlern zu Rentnern ungünstig, reduziert das ebenfalls den Rentenanstieg ("Nachhaltigkeitsfaktor"). Was viele sich dabei nicht klarmachen: Die Rentenanpassung betrifft nicht nur alle Renten, sondern auch den Wert der Rentenanwartschaft (des Rentenkontos) aller Versicherten.
In diesem Jahr trug, neben den höheren Löhnen, der Nachhaltigkeitsfaktor dazu bei, dass die Renten besonders stark stiegen. Beides war eine Folge der sehr guten Entwicklung am Arbeitsmarkt und nicht, wie es z.B. die Tageszeitung "Die Welt" unterstellte, ein "Wahlkampfmanöver", um sich die Stimmen der Älteren zu sichern. Denn nicht auf die Zahl der "Köpfe" in den jeweiligen Altersgruppen kommt es an, sondern darauf, wie viel in das System eingezahlt worden ist. Mehr Frauenerwerbstätigkeit, mehr Arbeitsplätze für Ältere, mehr Einwanderung in den Arbeitsmarkt, all das hat zu einer positiven Entwicklung in den vergangenen Jahren beigetragen, die vor 15 Jahren keiner erwartet hatte. Und wenn das Statistische Bundesamt im September meldet, dass 5,7 Millionen Menschen Arbeit suchen oder mehr arbeiten wollen, ist da noch viel Luft nach oben.
Das Rentenniveau beschreibt das Verhältnis von Löhnen zu Renten. Das Standard-Rentenniveau netto vor Steuern beträgt aktuell 47,9 Prozent: Vom Durchschnittsentgelt 2016 von 3.022 Euro brutto bleiben nach Abzug der Sozialbeiträge noch 2.502 Euro. Die Rente aus 45 Entgeltpunkten beträgt seit dem 1. Juli 2016 1.370 Euro brutto, nach Abzug von Kranken- und Pflegeversicherung 1.197 Euro. Das Verhältnis der beiden: 2.502 zu 1.197 Euro = 47,9 Prozent. |
In den 2020er Jahren werden die "Babyboomer"-Jahrgänge das Rentenalter erreichen. Der stärkste Geburtsjahrgang 1964, der als erster bis zum Alter von 67 Jahren erwerbstätig sein muss, geht 2031 in Rente. Dass dies für jedes Alterssicherungssystem eine Belastung darstellt, ist unbestritten. Deshalb hatten DGB und Gewerkschaften schon 2011 von der schwarz-gelben Regierungskoalition gefordert, die gute Finanzlage zu nutzen und das Geld als "Demografiereserve" für die kommenden Jahre zurückzulegen. Diese Chance hat Politik jedoch verspielt: Der Beitragssatz wurde seit 2011 wider besseres Wissen von 19,9 Prozent in mehreren Schritten auf 18,7 Prozent gesenkt. Doch auch jetzt, in den letzten verbliebenen "ruhigen" Jahren, ließe sich durch kleine, verkraftbare Erhöhungen des Beitragssatzes ein kleines Polster aufbauen, mit dem man die sonst unvermeidbaren sprunghaften Beitragssatzsteigerungen in den 2020er Jahren glätten könnte.
Die eingebauten Automatismen in der Rentenformel werden das Rentenniveau weiter senken. Nach aktuellen Prognosen wird das Rentenniveau (netto vor Steuern) bis 2030 von derzeit knapp 48 Prozent auf gut 44 Prozent fallen. Ohne gesetzliche Eingriffe wird sich der Prozess auch nach 2030 weiter fortsetzen. Die Bundesregierung rechnet derzeit für das Jahr 2045 mit einem Rentenniveau von 41,6 Prozent.
15 Jahre sind vergangen, seit proklamiert wurde, den Lebensstandard zu sichern, sei künftig nur im Zusammenspiel der drei Säulen gesetzliche, betriebliche und private Altersversorgung zu erreichen. Heute wissen wir: Der rentenpolitische Paradigmenwechsel hat sich als Irrweg erwiesen. Es ist Zeit, innezuhalten und das ganze System neu auszutarieren. Dazu muss eine neue Bundesregierung 2017 in einem ersten Schritt den Sinkflug des Rentenniveaus anhalten. Nur dann werden die heute Jungen noch bereit sein, das gesetzliche Umlagesystem weiter zu finanzieren. Und: Nur auf der Basis eines stabilen gesetzlichen Rentenniveaus lohnt es sich, auch gewerkschaftlich für arbeitnehmerfreundlichere Betriebsrentensysteme zu kämpfen.
Mathematik könne keine Politik ersetzen, hat Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) bei der Auftaktveranstaltung zur DGB-Rentenkampagne Mitte September gesagt. Der DGB und die Gewerkschaften werden dafür kämpfen, dass dieser Einsicht auch Taten folgen.