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WissZeitVG

Ziel verfehlt

Die Novelle des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) hat das Befristungsunwesen an den Hochschulen laut Evaluation nur leicht eingedämmt. Die GEW mahnt eine radikale Reform an.

Nach wie vor sind rund vier Fünftel des wissenschaftlichen Personals an Universitäten und Hochschulen befristet angestellt. (IMAGO/YAY Images)

Auf 243 Seiten belegt die Mitte Mai 2022 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) veröffentlichte „Evaluation des novellierten Wissenschaftszeitvertragsgesetzes“ detailreich: Die 2016 in Kraft getretene Reform des WissZeitVG hat unsachgemäße Kurzzeitbefristungen längst nicht so wirksam wie geplant verhindert. Das verantwortliche HIS-Institut für Hochschulentwicklung (HIS-HE) bilanziert: „Die Evaluation hat eine positive, jedoch noch keine nachhaltige Veränderung der Vertragslaufzeiten festgestellt.“ Kritischer liest die GEW den Bericht: „Die wesentlichen Ziele der WissZeitVG-Novelle wurden verfehlt“, sagt Hochschulexperte Andreas Keller.

Laut HIS-HE betrug die durchschnittliche Vertragslaufzeit an den Universitäten 2015 rund 15 Monate (nicht promovierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler) bzw. 17 Monate (Promovierte); 2017 lag sie bei 21 bis 22 Monaten. 2018 und 2019 pendelten sich die Laufzeiten bei etwa 20 Monaten ein, im Pandemie-Jahr 2020 sank der Wert um 2,7 Monate.

„Dieser Befund ist nicht nur dramatisch für die betroffenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, auch die Kontinuität und damit die Qualität der Forschung und Lehre werden unterminiert.“ (Andreas Keller)

Der Anteil der Kurzbefristungen konnte demzufolge nach der Gesetzesnovelle reduziert werden, es bleibe jedoch ein dauerhafter Sockel, stellt das Gutachten fest. Das Corona-Jahr 2020 nicht berücksichtigt, habe an Universitäten und Hochschulen für Angewandte Wissenschaften (HAW) etwa ein Drittel der Verträge eine Laufzeit von weniger als zwölf Monaten, bei den außeruniversitären Forschungseinrichtungen (AuF) und in der Humanmedizin sei es ein Viertel.

Für die GEW reicht diese Entwicklung nicht aus und ändert nichts am Grundproblem. Der Anteil der befristet beschäftigten wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sei mit 84 Prozent an den Universitäten und 78 Prozent an den HAW so hoch wie vor der Reform, sagt Keller. Die Laufzeiten der Verträge seien wieder auf das Niveau vor 2017 zurückgefallen. „Dieser Befund ist nicht nur dramatisch für die betroffenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, auch die Kontinuität und damit die Qualität der Forschung und Lehre werden unterminiert“, betont der Hochschulexperte.

GEW fordert Wissenschaftsentfristungsgesetz

Das WissZeitVG war 2007 in Kraft getreten und ermöglichte sachgrundlose Qualifizierungsbefristungen sowie befristete Arbeitsverträge bei Drittmittelfinanzierung. 2011 wurde das Gesetz erstmals evaluiert. Ergebnis damals: Mehr als 50 Prozent der Verträge, die zwischen dem 1. Februar 2009 und dem 31. Januar 2010 mit den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in der Qualifizierungsphase abgeschlossen wurden, liefen kürzer als ein Jahr.

Die Novelle von 2016 sollte dies eindämmen. Seitdem gilt, dass die Vertragslaufzeiten einer angestrebten Qualifikation entsprechen sollten. Zum Beispiel sollte während der Promotionsphase ein Vertrag so lange laufen, bis die Promotion abgeschlossen ist. Bei Drittmittelprojekten muss die Laufzeit des Vertrags identisch mit der Dauer des Projektes sein.

Dem aktuellen Evaluationsbericht zufolge gehen befristete Arbeitsverträge meist auf Qualifizierungsbefristungen zurück: An den Universitäten werden 65 Prozent der Verträge auf dieser Basis abgeschlossen, an den außeruniversitären Forschungseinrichtungen 82 Prozent. Die Drittmittelbefristung wird an Unis für 23 Prozent der Verträge genutzt. Der unbestimmte Rechtsbegriff der Qualifizierungsbefristung ist aus Sicht der GEW das große Problem: Er bietet so viel Spielraum, dass Arbeitgeber praktisch jede wissenschaftliche Tätigkeit als Qualifizierung ansehen können.

„Die Folge sind Kettenbefristungen – wer acht Jahre und länger wissenschaftlich an einer Universität beschäftigt ist, blickt im Mittel auf sieben bis acht Verträge zurück.“ 

Zudem betrage die durchschnittliche Promotionsdauer nach Angaben des Bundesberichts Wissenschaftlicher Nachwuchs 2021 knapp sechs Jahre (ohne Medizin), rechnet Keller vor. Bei einer Durchschnittsvertragslaufzeit von 1,5 Jahren könne das Qualifizierungsziel Promotion nicht erreicht werden. „Die Folge sind Kettenbefristungen – wer acht Jahre und länger wissenschaftlich an einer Universität beschäftigt ist, blickt im Mittel auf sieben bis acht Verträge zurück.“

Die GEW fordert daher die Weiterentwicklung des WissZeitVG zu einem Wissenschaftsentfristungsgesetz. Im Juni legte sie ein Acht-Punkte-Programm für ein solches Gesetz vor. Eckpfeiler sind unter anderem eine Engführung des Qualifizierungsbegriffes und Mindestlaufzeiten für befristete Qualifizierungsverträge. Ziel sei, bis zum Herbst einen Gesetzentwurf für ein Wissenschaftsentfristungsgesetz auszuarbeiten, heißt es darin.