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Beamtenstreikrecht

„Streik ist ein Grundrecht“

Am 1. März 2023 werden vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) die Beschwerden von GEW-Mitgliedern gegen das Beamtenstreikverbot in Deutschland verhandelt. Was erwarten sie von dem Verfahren?

Streik der GEW: Kampf für bessere Arbeitsbedingungen. (Foto: GEW)
  • E&W: Warum ist es aus Eurer Sicht wichtig, dass Lehrkräfte – Angestellte wie Beamte – streiken dürfen?

Eberhard Grabs: Streik ist ein Grundrecht, das man nur aus sehr wichtigen Gründen einschränken darf, zum Beispiel bei Polizistinnen und Polizisten. Diese Gründe gibt es bei Lehrerinnen und Lehrern nicht. Nach meiner Meinung kommt das Land als Dienstherr auch seiner „besonderen Fürsorgepflicht“ für Beamte nicht nach, da es zu wenig Lehrkräfte gibt und in der Folge die Arbeitsbelastung zu hoch ist. Dadurch wird auch der Bildungsauftrag nicht so erfüllt, wie es sein sollte.

Kerstin Wienrank: Zum Beamtenstatus gehört selbstverständlich die Dienst- und Treuepflicht. Das kann aber meines Erachtens nicht heißen, dass für uns Bürgerrechte wie beispielsweise das Streikrecht, die jedem Arbeitnehmer und jeder Arbeitnehmerin zustehen, eingeschränkt werden.

Monika Dahl: Lehrkräfte sollten streiken dürfen, weil es aus meiner Sicht viel am Bildungssystem und an den Arbeitsbedingungen zu verbessern gibt. Dafür auf die Straße zu gehen, so wie es andere Berufsgruppen tun, finde ich völlig legitim, egal ob als angestellte oder verbeamtete Lehrkraft.

  • E&W: Ihr habt 2009 bzw. 2010 an Warnstreiks teilgenommen, zu denen die GEW aufgerufen hatte. Was hat Euch damals persönlich motiviert, an dem Warnstreik teilzunehmen?

Grabs: In dem speziellen Fall ging es um die Übertragung des Tarifergebnisses für die angestellten Lehrkräfte auf die Besoldung der Beamtinnen und Beamte. Das ist eine Forderung, die ich damals und auch heute für berechtigt halte. Es war für mich daher eine Selbstverständlichkeit, an dem Warnstreik teilzunehmen.

Wienrank: Bei mir ging es um das gleiche Thema. Damals hatte die GEW in Niedersachsen zu dem Warnstreik mobilisiert und die Ungerechtigkeit, die in der Verweigerung des Landes, das Tarifergebnis auf uns Beamtinnen und Beamte zu übertragen, zum Ausdruck kam, hat mich empört.

Dahl: Bei mir war Grund für den Warnstreik ebenfalls die Nichtübernahme des für die angestellten Kolleginnen und Kollegen erzielten Ergebnisses bei den Tarifverhandlungen auf uns Beamtinnen und Beamte. Ich war überzeugt, dass unsere Forderungen richtig sind und habe viele meiner Kolleginnen und Kollegen dazu gebracht, dass sie zu den Protestaktionen nach Bonn und nach Düsseldorf gefahren sind, viele von ihnen nahmen zum ersten Mal überhaupt an einem Streik teil. Ich bin Gewerkschafterin und da ist es für mich ganz klar, dass wir alle streiken, also bin ich selbstverständlich mitgefahren.

  • E&W: Das juristische Verfahren hat sich in die Länge gezogen. Die Urteile deutscher Gerichte fielen unterschiedlich aus. 2018 bestätigte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) letztinstanzlich das Beamtenstreikverbot. Was hat Euch motiviert, über so viele Jahre dabei zu bleiben und bis vor den EGMR zu ziehen?

Grabs: Da ich den Warnstreik für berechtigt gehalten habe und noch heute halte, ist es auch konsequent, alle rechtlichen Mittel auszuschöpfen. Insbesondere hat mich geärgert, dass in der Urteilsbegründung des Bundesverfassungsgerichts etwas von „Rosinenpickerei“ stand. Ich bin eher der Meinung, dass der Staat eine „Rosinenpickerei“ betreibt, indem er seinen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern grundlegende Rechte verweigert und seine „besondere Fürsorgepflicht“ zu seinen Gunsten auslegt.

Wienrank: Ich bin überzeugt davon, das Richtige getan zu haben und möchte zeigen, dass es sich lohnt, sich zur Wehr zu setzen. Ich bin sehr erfreut, dass die GEW das Verfahren vorangetrieben hat.

Dahl: Nach meinem Streik wollte mich die Bezirksregierung mit 1500 Euro Bußgeld bestrafen und schüchterte mich mit Andeutungen ein, man hätte mir auch meine Rentenbezüge kürzen können. Da ging ich zu meiner Gewerkschaft und wollte das nicht hinnehmen. Für mich war es klar, dass ich bei dem Verfahren mit der GEW durch alle Instanzen gehe – selbst wenn es lange dauern sollte.

  • E&W: Was erhofft Ihr Euch von dem Urteil des EGMR?

Grabs: Ich hoffe, dass das Urteil im Sinne der Kolleginnen und Kollegen und der GEW ausgeht.

Wienrank: Auch ich hoffe, dass der EGMR in unserem Sinne entscheiden wird. Ich glaube, das würde zu mehr Gerechtigkeit in Deutschland beitragen.

Dahl: Ich würde es ebenfalls begrüßen, wenn der EGMR im Sinne der GEW entscheidet und es endlich ein Streikrecht für verbeamtete Kolleginnen und Kollegen gibt. Ich habe gestreikt, weil mir der Beruf und die Bildung der Kinder und Jugendlichen sehr am Herzen liegen. Dafür ist eine angemessene Bezahlung wichtig und für die müssen alle Lehrkräfte auch streiken können – unabhängig von ihrem Beschäftigungsstatus.

Eberhard Grabs war Lehrer für Mathematik, Physik, Chemie, Biologie, Erdkunde, Geschichte, Politik, Wirtschaft und Werte und Normen an einer Hauptschule in Nordhorn (Niedersachsen). In den Schuldienst trat er 1980 ein, 1983 wurde er Beamter auf Lebenszeit. Seit dem 1. August 2017 ist er im Ruhestand.

Kerstin Wienrank unterrichtet an einer Berufsbildenden Schule in Schiffdorf (Niedersachsen) die Fächer Hauswirtschaft und Politik. Lehrerin ist sie seit 1986, Beamtin auf Lebenszeit seit 1989.

Monika Dahl war seit 1999 als Deutsch- und Sportlehrerin in Bonn tätig, wurde 2001 verbeamtet und unterrichtete zuletzt an einer Realschule in Sankt Augustin (Nordrhein-Westfalen). 2013 hat sie den Schuldienst verlassen und ist seitdem freiberuflich als Filmemacherin tätig.