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Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Beamtenstreikrecht

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat am 14. Dezember 2023 ein Streikverbot für Beamtinnen und Beamte in Deutschland bestätigt. Die GEW hatte dagegen geklagt, dass verbeamtete Lehrkräfte ihre Interessen - etwa mit Blick auf Arbeitsbedingungen und Besoldung - in Deutschland auch mit Arbeitsniederlegungen vertreten dürfen, ohne Disziplinarmaßnahmen befürchten zu müssen. Der EGMR entschied in letzter Instanz, der Rechtsweg ist damit abgeschlossen.

Details zum Urteil des EGMR

Verbeamtete Lehrkräfte in Deutschland dürfen weiterhin nicht streiken. Das hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) am 14.12.2023 bestätigt. Die GEW akzeptiert diese Niederlage natürlich, zeigt sich aber enttäuscht über das Urteil. Immerhin enthält das Urteil auch den Auftrag an die Bundesrepublik Deutschland, die Beteiligungsrechte der Beamt*innen in Deutschland zu stärken und das Beamtenrecht fortzuentwickeln.

Da die Beschwerdeführer*innen vier verbeamtete Lehrkräfte waren, haben sich die Richter*innen zuvorderst mit Lehrkräften in Deutschland befasst. Das Urteil enthält darüber hinaus auch grundsätzliche Aussagen zum Streikrecht, diese sind natürlich allgemeingültig.

Lehrkräfte müssen nicht verbeamtet sein, und es sind auch nicht alle Lehrkräfte Beamte. Teilweise auch, weil ihnen der Beamtenstatus aus Altersgründen oder aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen oder aufgrund der Nationalität verwehrt wird. Die Entscheidung, wem eine Verbeamtung angeboten wird, ob eine Ernennung auf Lebenszeit oder wieder eine Entlassung aus dem Beamtenverhältnis erfolgt, trifft immer allein der Arbeitgeber und Dienstherr. 

Der Beamtenstatus hat für beide Seiten Vorteile, aber auch in mancher Hinsicht für verbeamtete Lehrkräfte Nachteile, wie etwa Hürden bei einem Wegzug in ein anderes Bundesland oder auch dem Wunsch nach einem Wechsel an eine andere Schule. Deswegen werden gerade in Zeiten des Lehrkräftemangels überall die meisten Lehrkräfte verbeamtet, daran wird sich auch so schnell nichts ändern.

Der Arbeitgeber kann die Lehrkräfte so fester an sich binden, sie können nicht so leicht zu anderen Arbeitgebern wechseln. Dadurch wird auch ein „Überbietungswettbewerb“ zwischen den Ländern eingedämmt. Für die Beschäftigten sind die Sicherheit des Jobs und die gute Altersversorgung wichtige Vorteile. Sie können sich dadurch ohne materielle Sorgen ganz ihrem wichtigen Beruf widmen. 

Was das Urteil für Beamt*innen bedeutet

Wie es mit den ruhenden Disziplinarverfahren wegen Streikteilnahme in der Vergangenheit jetzt weitergeht, wird die GEW nach einer gründlichen Auswertung des Urteils juristisch beraten. Die GEW wird sich dann mit allen Mitgliedern, die in dieser Frage GEW Rechtsschutz beantragt haben, unaufgefordert in Verbindung setzen. Von individuellen Rückfragen bitten wir zunächst abzusehen.

Es bleibt erst einmal alles so, wie es ist. Der EGMR hat mit seinem Urteil vom 14. Dezember 2023 das Streikverbot für Beamtinnen und Beamte in Deutschland bestätigt.

Dieses Urteil akzeptiert die GEW natürlich, wenngleich wir enttäuscht sind, dass für verbeamtete Lehrkräfte internationales Arbeitsrecht nicht so gilt, wie etwa in anderen europäischen Ländern. Damit ist der juristische Weg der Überprüfung des Streikverbotes für Beamt*innen beendet.

Es bleibt der politische Auftrag, Arbeitsbedingungen zu verhandeln, statt zu verordnen - seit 50 Jahren Beschlusslage bei GEW und DGB . Das Urteil des EGMR enthält auch den Auftrag an die Bundesrepublik Deutschland, wie die Beteiligungsrechte der Gewerkschaften als Kompensation für das fehlende Streikrecht in Deutschland gestärkt werden können. Für die GEW ist klar, diese Möglichkeiten zu prüfen und sich dafür einzusetzen, das Beamtenrecht demokratischer zu gestalten, eben Arbeitsbedingungen verhandeln statt verordnen.

Hintergrund zum Verfahren

Der Dienstherr verordnet, wie lange gearbeitet wird, er entscheidet über die Einkommen, Erhöhung oder Kürzung der Bezahlung und die Arbeitsbedingungen. Das fanden einige GEW-Mitglieder nicht richtig und haben sich an Warnstreiks beteiligt. Mal ging es um die Übertragung des Tarifabschlusses auf die Besoldung, mal ging es gegen eine vom Arbeitgeber einseitig diktierte Pflichtstundenerhöhung. Sie alle haben Disziplinarstrafen kassiert, vom einfachen Verweis bis zur Geldbuße oder Beförderungssperre. 

Dagegen haben viele Kolleg*innen geklagt, und vier dieser Klagen wurden vor dem Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) verhandelt. Der EGMR hat die bisherige Rechtsprechung und damit das Streikverbot für verbeamtete Lehrkräfte bestätigt. Immerhin enthält das Urteil Ansätze, die Beteiligungsrechte der Beamt*innen in Deutschland zu stärken und das Beamtenrecht fortzuentwickeln. Dafür wird sich die GEW weiterhin einsetzen.

Die GEW sollte mit dem Verfahren das Beamtenrecht modernisieren und die Position der Beamtinnen und Beamten, der Lehrerinnen und Lehrer stärken.

Bis heute sind diese vom Wohlwollen der Arbeitgeber in Bund, Ländern und Kommunen abhängig. Der Dienstherr verordnet, wie lange gearbeitet werden soll. Er entscheidet über die Einkommen, die Erhöhung oder Kürzung der Bezahlung und die Arbeitsbedingungen. Allein! Ohne ein demokratisches Mitspracherecht der Beschäftigten. Aus „Fürsorge“. Das hört sich stark nach Ständestaat des 18. Jahrhunderts, nicht aber nach dem 21. Jahrhundert an. Das wollte das GEW ändern, ohne dass sie den Beamtenstatus als solchen in Frage stellt. Der EGMR hat in seinem Urteil die bisherige Rechtsprechung und damit das Streikverbot für verbeamtete Lehrkräfte bestätigt. Immerhin enthält das Urteil Ansätze, die Beteiligungsrechte der Beamt*innen in Deutschland zu stärken und das Beamtenrecht fortzuentwickeln. Dafür wird sich die GEW weiterhin einsetzen.

Das Menschenrecht der Beschäftigten, sich in Gewerkschaften zusammenzuschließen, mit den Arbeitgebern über die Arbeitsbedingungen zu verhandeln und dabei als letztes Mittel den Streik einzusetzen, wird durch die EMRK und das Internationale Arbeitsrecht geschützt. In Deutschland wird den Beamtinnen und Beamten dieses Recht jedoch vorenthalten. 2009 hat der EGMR das Streikverbot für Beamtinnen und Beamte in der Türkei in mehreren Urteilen als für nicht mit der EMRK vereinbar bezeichnet. Das gelte für Beamtinnen und Beamte wie Lehrkräfte, die nicht wie Bundeswehr oder Polizei direkt „hoheitliche Aufgaben“ wahrnehmen.

Auch in Deutschland hängt das Streikverbot nicht an der Funktion – also dem, was man tut – sondern am Status als Beamtin oder Beamter. Deshalb sieht die GEW die Chance, die Diskussion über eine Demokratisierung des Beamtenrechts auch in der Bundesrepublik voranzubringen. Dafür braucht es – nach der Klärung juristischer Grundsatzfragen – viel politischen Gestaltungswillen!

Nein. Trotz der Einschränkung der Verhandlungsrechte ist der Beamtenstatus bei vielen Menschen beliebt. Viele Vorteile des Beamtenstatus sind aber in den vergangenen Jahren gefallen. Die Arbeitszeit hat sich erhöht, die Besoldung wurde von den durch Streiks der Angestellten erkämpften Tariferhöhungen abgekoppelt, in vielen Bundesländern wurde das Urlaubs- und Weihnachtsgeld gestrichen.

Das Urteil des EGMR hat das Streikverbot bestätigt. Immerhin enthält das Urteil auch den Auftrag an die Bundesrepublik Deutschland, die Beteiligungsrechte der Beamt*innen in Deutschland zu stärken und auch das Beamtenrecht fortzuentwickeln. Die GEW wird sich dafür einsetzen.

Wir verlief der juristische Weg bisher?

Am 1. März wurde vor der großen Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) in mündlicher Verhandlung die Beschwerde von vier GEW-Mitgliedern gegen die Bundesrepublik verhandelt. Ein Urteil wurde an diesem Tag noch nicht gesprochen.

Hintergrund: Die Lehrkräfte hatten 2009 dafür gestreikt, dass der Tarifabschluss für die Angestellten der Länder auf die Beamtenbesoldung übertragen wird. 2010 streikten sie gegen eine höhere Lehrverpflichtung und die Streichung der Altersermäßigung. Alle Lehrkräfte erhielten eine Disziplinarstrafe und klagten sich dagegen mit GEW-Rechtsschutz durch die Instanzen.

Das BVerfG entschied 2018, dass sich das Beamtenstreikverbot zwingend aus den „hergebrachten Grundsätzen des Beamtentums“ (einem „ungeschriebenen Gesetz“) ergebe. Dahinter müsse die in Artikel 9 des Grundgesetzes garantierte Koalitionsfreiheit, die das Streikrecht begründet, zurückstehen. Dagegen legten die vier Lehrkräfte Beschwerde beim EGMR ein, weil sie in der BVerfG-Entscheidung eine Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) sahen.

Das Bundesverfassungsgericht hat am 12. Juni 2018 das Urteil in Karlsruhe verkündet. Damit bleibt es dabei: Beamtinnen und Beamte dürfen nicht streiken. Das gilt auch weiterhin für verbeamtete Lehrerinnen und Lehrer. Das Bundesverfassungsgericht hat am 12. Juni 2018 die Verfassungsbeschwerden der vier Lehrerinnen und Lehrer, die die GEW vertritt, zurückgewiesen.

Bereits im Januar 2018 wurden vor dem Bundesverfassungsgericht ein Fall aus Nordrhein-Westfalen, ein Fall aus Schleswig-Holstein sowie zwei niedersächsische Fälle verbeamteter Lehrkräfte mündlich verhandelt. Ende September 2015 wurden – neben anderen Verbänden und Sachverständigen – die GEW, der DGB sowie ver.di vom Bundesverfassungsgericht zu einer Stellungnahme eingeladen.

„Das ist ein Schwarzer Tag für Demokratie und Menschenrechte“, kommentierte die damalige GEW-Vorsitzende Marlis Tepe das Urteil. Aus dem Urteil geht hervor, dass Beamtinnen und Beamte sich in Deutschland zwar in Gewerkschaften zusammenschließen, aber eben nicht streiken dürfen. Das höchste deutsche Gericht hält das für verfassungsgemäß. Das Grundrecht auf Koalitionsfreiheit fände eine Schranke in den sogenannten „hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums“, begründete der Präsident des Gerichts, Andreas Voßkuhle, das Urteil.

Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Urteil vom 12. Juni 2018 das Streikverbot gestärkt und die Beschwerde der GEW zurückgewiesen. Mit diesem Urteil ist der Weg zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg geöffnet. Die GEW hat intensiv diskutiert und Ende November 2018 entschieden, dass sie elf Kolleginnen und Kollegen, die wegen einer Streikteilnahme disziplinarisch belangt wurden, dabei unterstützt, Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte einzulegen.

Die GEW hat ihre Positionen im Wege einer sogenannten Drittintervention in das Verfahren eingebracht. Eine Drittintervention bietet Gewerkschaften und Berufsverbänden die Möglichkeit, ihre Positionen in das Verfahren einzubringen, sofern eigene Rechte betroffen sind.

Die GEW sieht sich durch das Beamtenstreikverbot in ihrer Tätigkeit als Gewerkschaft beschränkt, sich für eine Verbesserung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ihrer verbeamteten Mitglieder einzusetzen. Da die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zum Beamtenstreikverbot einen Kernbereich gewerkschaftlicher Tätigkeit betrifft, haben auch der DGB sowie der Europäische Gewerkschaftsbund eine Drittintervention eingereicht.

Wie steht es um die Streikrechte der Lehrkräfte?

Tarifverhandlungen beginnen üblicherweise damit, dass die Gewerkschaften ihre Forderungen z. B. nach einer Gehaltserhöhung oder Arbeitszeitverkürzung vortragen und vom Arbeitgeber dazu ein Angebot erwarten. Erst wenn dieses nicht kommt oder nicht akzeptabel ist und alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft sind, greifen die Gewerkschaften zum Streik als ihrem letzten Druckmittel (lat. ultima ratio).

In Tarifauseinandersetzungen für die angestellten Lehrkräfte hat die GEW immer wieder bewiesen, dass sie mit dem Mittel des Streiks verantwortungsvoll umgeht. Erst wenn die Arbeitgeber sich in den Verhandlungen absolut nicht bewegt haben, hat die GEW zu Warnstreiks aufgerufen. Auch bei den Beamtenstreiks, über die vor dem Bundesverfassungsgericht und dann vor dem EGMR verhandelt wurde, ging es um Warnstreiks von einer bis vier Unterrichtsstunden.

Mehr dazu in den Fragen und Antworten zum „Streik“.

Sich zusammenschließen und Gewerkschaften beitreten dürfen auch verbeamtete Lehrkräfte – deshalb ist die GEW die größte Gewerkschaft im Bildungsbereich. Aber Beamtinnen und Beamte dürfen nicht streiken – diese konservative Rechtsauffassung ist Mehrheitsmeinung unter Juristinnen und Juristen in Deutschland.

In der Vergangenheit sind jedoch immer wieder auch verbeamtete Lehrerinnen und Lehrer den Streikaufrufen der GEW gefolgt. Sie haben Disziplinarmaßnahmen in Kauf genommen, z. B. Verweise oder Rügen, die nach einigen Jahren aus der Personalakte entfernt wurden. Um die mit internationalem Recht nicht mehr vereinbare, konservative Rechtsauffassung zu verändern, hat die GEW seit 2009 einzelne Kolleginnen und Kollegen unterstützt, wenn sie gegen die Disziplinarmaßnahmen klagen wollten.

„Wer verbeamtet ist, darf und muss nicht streiken“ – diese Auffassung vertreten konservative Juristinnen und Juristen in Deutschland bis heute. Diese Rechtsauslegung stützt sich auf Artikel 33, Absatz 5 des Grundgesetzes: „Das Recht des öffentlichen Dienstes ist unter Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums zu regeln und fortzuentwickeln.“

Darin wird der Streik allerdings nicht verboten. Stattdessen werden „Grundsätze des Berufsbeamtentums“ angeführt, die zu regeln sind. Diese Grundsätze sind teils bis weit ins 19. Jahrhundert zurückreichende Traditionen, die nie von einem Parlament beschlossen, sondern nur von Richtern und Rechtsgelehrten weiterentwickelt wurden. Sie ranken sich häufig um altmodisch anmutende Begriffe wie „besondere Treuepflicht“ oder „amtsangemessene Alimentation“. Dahinter verbirgt sich die Fiktion, Beamtinnen und Beamte würden nicht für eine bestimmte Leistung, die sie zu erbringen haben, bezahlt, sondern zu Monatsanfang der Würde ihres Amtes entsprechend ausreichend alimentiert, um sich unabhängig und frei von Existenzsorgen ganz der Amtsführung hingeben zu können.

Nach Auffassung von GEW, DGB und ver.di verbieten diese Grundsätze den Streik nicht. Im Gegenteil: Das Beamtenrecht kann und muss reformiert und die Treuepflicht neu interpretiert werden. Dadurch wird der Status der Beamtinnen und Beamten aber nicht aufgegeben: An den Anforderungen wie Loyalität, dem vollen beruflichen Einsatz oder der unabhängigen und gesetzestreuen Wahrnehmung der Amtspflichten ändert sich nichts und damit auch nicht am Status der Beamtinnen und Beamten.

Das Bundesverfassungsgericht hat am 12. Juni 2018 jedoch eine andere Haltung vertreten und das Streikverbot von Beamtinnen und Beamten für verfassungsgemäß erklärt. Der EGMR ist dieser Haltung in seinem Urteil vom 14. Dezember 2023 gefolgt und hat das Streikverbot bestätigt.

Nein. Schon seit den frühen 1970er Jahren ist es Beschlusslage des DGB, auch Beamtinnen und Beamten die vollen Koalitionsrechte zuzugestehen. Dazu gehört – außerhalb des Kernbereichs hoheitlicher Tätigkeit – auch das Recht, zum Streik als letztes Mittel zu greifen. Auch der Europäische Gewerkschaftsbund und der Internationale Gewerkschaftsbund haben wiederholt das pauschale Beamtenstreikverbot in Deutschland kritisiert.

Die Bundesrepublik Deutschland steht wegen des Beamtenstreikverbots seit Jahrzehnten in der Kritik internationaler Organisationen wie der Internationalen Arbeitsorganisation ILO, der UN-Komitees für Menschenrechte und für Sozialschutz oder dem Europäischen Komitee für Soziale Rechte. Das ficht die verschiedenen Bundesregierungen (egal welcher politischer Couleur) aber nicht an, sie verteidigen das Streikverbot stets mit Verweis auf die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums als angeblich zentralen Bestandteil der deutschen Staatsarchitektur.

Für Menschen aus anderen demokratischen Ländern mutet diese Argumentation sehr befremdlich an. Viele europäische Länder kennen einen Beamtenstatus mit Lebenszeitprinzip und Alimentationsanspruch. Doch keines dieser Länder käme auf die Idee, deshalb das Streikrecht völlig unabhängig von der konkreten Funktion der Beschäftigten kategorisch auszuschließen.

Die Einigkeit zeigte sich auch in der gemeinsamen Stellungnahme von GEW, DGB und ver.di für das Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht. Darin machten die Gewerkschaften deutlich, dass nicht der Gesetzgeber die Kollisionslage zwischen dem nationalen und dem Völkerrecht auflösen muss. Das Bundesverfassungsgericht selbst sei befugt und verpflichtet, die Widerspruchsfreiheit herzustellen. Auch das Arbeitskampfrecht der Tarifbeschäftigten sei schließlich Richterrecht. Die von den Gerichten entwickelten Maßstäbe für die Verhältnismäßigkeit von Streiks gelten unabhängig vom Status der Streikenden. Vorschläge, die Beteiligungsrechte der Beamtinnen und Beamten zu erweitern, endeten beim Letztentscheidungsrecht der Dienstherren, also der Exekutive oder des Parlaments. Diese Vorschläge lösten deshalb das Problem nicht, sondern würden das „kollektive Betteln“ nur auf eine höhere Stufe heben.

Der DGB hat sich in den vergangenen Jahrzehnten in Kongressbeschlüssen regelmäßig zu „vollen Koalitionsrechten für Beamte“ bekannt. Auch der Europäischen und den Internationalen Gewerkschaftsbund, die sich in wiederholten Beschlüssen mit dem Kampf der deutschen Gewerkschaften für ein Beamtenstreikrecht solidarisch erklärt haben.

Deshalb haben sich auch der DGB, die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und der Europäische Gewerkschaftsbund EGB als sog. Drittintervenienten an dem Verfahren vor dem EGMR angeschlossen, weil sie durch das willkürliche, statusbezogene Streikverbot grundlegende Gewerkschaftsrechte in Gefahr sahen.

Tatsächlich kämpft die GEW bereits seit den 1970er Jahren für das Beamtenstreikrecht. Auf dem Weg dorthin hat es immer wieder unterschiedliche Urteile gegeben. Besonders entscheidend sind aber zwei Urteile von 2009 und 2014:

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) urteilte 2009, dass das Streikrecht und das Recht auf kollektive Vereinbarung der Arbeitsbedingungen Menschenrechte sind, die den Beschäftigten nicht einfach mit Verweis auf einen „Beamtenstatus“ abgesprochen werden dürfen. Einschränkungen des Streikrechts sind im internationalen Recht nur zulässig auf gesetzlicher Grundlage und ausschließlich dort, wo die Beschäftigten im engen Sinne hoheitlich tätig sind (Polizei, Justizvollzug und Streitkräfte) – dort wiederum unabhängig von der rechtlichen Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses.

2014 sah das Bundesverwaltungsgericht einen offensichtlichen Widerspruch zwischen dem für Deutschland bindenden internationalen Recht (Europäische Menschenrechtskonvention) und dem nationalen Verfassungsrecht. Das Bundesverwaltungsgericht vertritt die Auffassung, dass dieser Widerspruch nur durch den Gesetzgeber aufgelöst werden kann. Bis dahin allerdings gelte das Beamtenstreikverbot fort. Als sich die Bundesregierung Anfang 2015 erneut wegen des Beamtenstreikverbots vor der ILO rechtfertigen musste, zog sie sich darauf zurück, sie wolle dem Bundesverfassungsgericht nicht vorgreifen.

2018 kam es dann im Januar zu einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht, im Sommer 2018 wurde das Urteil veröffentlicht. Die obersten Richterinnen und Richter bestätigten voll und ganz die konservative Linie der deutschen Rechtswissenschaft: Das Streikverbot sei Teil der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums, die nach Art.33 Abs.5 Grundgesetz zu beachten seien, und das Berufsbeamtentum als solches ein essentieller Teil der deutschen Staatsarchitektur. Die in Art.9 Grundgesetz „für jedermann“ garantierte Koalitionsfreiheit muss dahinter zurückstehen.

Schon als die GEW sich 2009 entschied, gegen Disziplinarverfahren vorzugehen, hatte sie entschieden, nötigenfalls bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu ziehen. Daher legten Ende 2018 mehrere GEW-Mitglieder Beschwerde gegen das Urteil des BVerfG ein. Diese Verfahren wurden 2022 an die Große Kammer des europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte überwiesen. Am 1. März 2023 findet dort eine mündliche Verhandlung statt.

Einen kompletten Überblick über die Geschichte der Urteile zum Beamtenstreikrecht gibt es hier.