Zum Inhalt springen

Kita-Notversorgung in der Corona-Pandemie

„Wir werden verheizt und gedemütigt“

Während des Lockdowns stehen die Schulschließungen und mögliche Ausnahmen im Fokus der Debatten. Die Kitas rücken dabei eher in den Hintergrund. Dabei ist die Lage in der Notbetreuung teils dramatisch, wie eine Berliner Erzieherin der GEW berichtet.

Foto: GEW / Shutterstock
"Wir sind bereits jetzt bei fast zwei Dritteln der normalen Gruppenstärke. Jeden Tag werden es mehr Kinder", sagt eine Kita-Leiterin. (Foto: GEW/Shutterstock)

Die GEW hat in den vergangenen Tagen ein Notruf erreicht: Die Leiterin einer großen Kita im Berliner Bezirk Steglitz-Zehlendorf, in der rund 20 Beschäftigte im Regelbetrieb 150 Kinder betreuen, schilderte die massiven Probleme, welche die Notversorgung für die Einrichtung mit sich bringt. „Die momentanen Vorgaben sind eine Frechheit“, schrieb die Pädagogin, die anonym bleiben möchte.

Im Wortlaut heißt es in ihrer E-Mail an die GEW:

„Seit dem 16. Dezember 2020 befinden wir uns in der sogenannten Notversorgung. Wir ermöglichen Familien gern die Betreuung ihrer Kinder, wenn diese einen ‚außerordentlich dringlichen Bedarf‘ haben und ‚keine andere Betreuungsmöglichkeit organisieren können‘. Anders als im März 2020 sehen die Vorgaben indes keine Systemrelevanz der Eltern mehr vor. Der Einzelfall soll entscheiden.

Dies bedeutet für uns Unmenschliches. Wir hängen stundenlang am Telefon, bekommen unzählige Mails; wir verhandeln mit Eltern, ob ihr Bedarf tatsächlich ‚dringlich‘ ist. Im Sinne der Kontaktreduzierung und zum Schutz unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden wir detektivisch, setzen Vertrauensverhältnisse aufs Spiel und bleiben dabei jederzeit freundlich, denn wir wissen, dass unsere Zeit für alle schwer auszuhalten ist.

Die Verantwortlichkeiten werden auf uns abgewälzt – auf die, die weder angemessen verdienen noch eine Lobby haben.

Wenn Eltern verlangen, dass wir das ältere Geschwisterkind betreuen, weil es anstrengend für sie sei, mit zwei Kindern in Elternzeit zuhause zu sein und das jüngere Kind mehr Aufmerksamkeit brauche, muss ich tief einatmen, an Kontaktreduzierung erinnern, um Verständnis bitten. Die Verantwortlichkeiten werden auf uns abgewälzt – auf die, die weder angemessen verdienen noch eine Lobby haben. Rufen Sie doch bitte die Bildungssenatorin Frau Scheeres direkt an, würde ich dann gern sagen.

Wir sind bereits jetzt bei fast zwei Dritteln der normalen Gruppenstärke. Jeden Tag werden es mehr Kinder. Meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind nach wie vor völlig ungeschützt – wenn ein Kind uns braucht, sind wir da. Wir nehmen die weinenden und schniefenden Kinder auf den Schoß und auch die, die einfach Nähe benötigen.

Die Berliner Kitas sind während des bundesweiten Lockdowns bis 31. Januar 2021 nicht im Regelbetrieb, sie bieten lediglich für sogenannte außerordentlich dringliche Fälle eine Notversorgung an.

Grundsätzlich sind Eltern aufgefordert, ihre Kinder derzeit möglichst zu Hause zu betreuen. Es gibt keine Liste systemrelevanter Berufe.

Liegt ein außerordentlich dringender Bedarf vor und ist keine andere Betreuung für das Kind oder die Kinder möglich, müssen Eltern diesen Bedarf der Kita gegenüber erklären. Der erste Ansprechpartner für Eltern ist dabei die jeweilige Kita-Leitung und der Kita-Träger.

Der Senat weist „ausdrücklich darauf hin, dass auch die Vermeidung von Verdienstausfällen einen außerordentlich dringlichen Betreuungsbedarf darstellt“.

Quelle: Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie; Stand: 13. Januar 2021

Inzwischen können Eltern nicht nur aus beruflichen, sondern auch aus privaten Gründen außerordentlich dringlichen Betreuungsbedarf anmelden, wie es im Senatsbrief vom 7. Januar 2021 heißt. Soll ich nun etwa nachfragen, welchen privaten Grund es gibt? Das geht zu weit, die Vorgaben sind eine Frechheit. Nicht nur, dass wir Eltern verhören sollen, inwieweit sie berechtigt sind, die Notversorgung in Anspruch zu nehmen. Ab jetzt bringt auch die Mutter in Elternzeit ihr Kind zu uns, weil sie ‚es nervlich nicht schafft‘. Bei allem Verständnis: wieder ein Kind mehr.

Wir sollen verantwortungsvoll entscheiden. Wir Erzieherinnen und Erzieher werden jedoch verheizt und gedemütigt, die Politik entscheidet verantwortungslos für uns.

Der psychische Druck ist zu groß, auch Erzieherinnen und Erzieher haben Angst vor einer Infektion mit dem Coronavirus.

Meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bringen ihre Kinder selbst in die für sie vorgesehene Notbetreuung. Das bedeutet für uns etwa ein bis zwei Kontaktherde mehr pro Erzieherin oder Erzieher. Dieses Risiko tragen die Beschäftigten wiederum in die Kita und erhöhen das Risiko für alle. Warum wird Erzieherinnen und Erziehern, die Eltern sind, nicht gestattet, in der aktuellen Situation ihre eigenen Kinder mitzubringen? Das wäre echte und verantwortungsvolle Kontaktreduzierung.

Meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beginnen, krank zu werden, und es werden mehr. Der psychische Druck ist zu groß, auch Erzieherinnen und Erzieher haben Angst vor einer Infektion mit dem Coronavirus. Laut einer Studie erkranken sie mehr als doppelt so häufig wie andere Berufsgruppen an Covid-19. Trotz dieses Wissens werden wir kaum geschützt, werden uns die Kitas vollgemacht.

Was wir gerade erleben, ist kein Notbetrieb. Es ist ein eingeschränkter Regelbetrieb – Augenwischerei, Täuschung, Betrug.“

Für die Kitas verlangt die GEW, die individuellen Gefährdungsbeurteilungen nach Arbeitsschutzgesetz umzusetzen. Jede Kita braucht passgenaue und wirksame Hygienepläne. „Die Regelungen der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) für Kitas zum Infektionsschutz sind zu beachten und umzusetzen. Weiter müssten alle Kitaträger Betriebsmediziner einsetzen, diese sollten die Risikogruppen bei den Beschäftigten beraten und im Einzelfall von der Arbeit in der Kita freistellen“, sagte GEW-Chefin Marlis Tepe. Sie regte zudem an, freiwillige, kostenfreie Coronatests sowie eine Grippeschutzimpfung für die Beschäftigten anzubieten.

  • Freiwillige, kostenfreie Coronatests sowie eine Grippeschutzimpfung für die Beschäftigten
  • Passgenaue und wirksame Hygienepläne für jede Kita
  • Umsetzung der Empfehlungen der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) an Kitas
  • Risikogruppen von Betriebsmedizinern beraten lassen und im Einzelfall von der Arbeit an der Kita freistellen

Übersicht: Alles, was sich an Bildungseinrichtungen mit Blick auf den Gesundheitsschutz in Corona-Zeiten an ändern muss.