Zum Inhalt springen

Welthochschulkonferenz

Coronapandemie verstärkt Bildungsprivatisierung an Hochschulen

Die Corona-Krise ist ein Einfallstor für Bildungsprivatisierung im Hochschulbereich, warnt die aktuelle Studie "Pandemic Privatisation in Higher Education“. Sie wurde auf der Welthochschulkonferenz der Bildungsinternationale (BI) vorgestellt.

Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Welthochschulkonferenz solidarisieren sich mit Lehrkräften und Gewerkschaften in Myanmar (Foto: Bildungsinternationale).

Weltweit hat die COVID19-Pandemie das Hochschulwesen in den Krisenmodus versetzt - Campus-Schließungen und der Übergang zu Online-Kursen wurden für mehr als 220 Millionen Studierende im Tertiären Bereich zum Regelfall. Die von der Bildungsinternationale (BI) in Auftrag gegebene Studie "Pandemic Privatisation in Higher Education - Edtech & University Reform" (Summary) zeigt: Aus den Notfall-Maßnahmen könnte in naher Zukunft ein neuer Normalzustand werden. "Der Studie zufolge wird die Bildungslandschaft nach der Pandemie zunehmend privatisiert, kommerzialisiert, digitalisiert und datengetrieben sein", so der BI-Generalsekretär David Edwards.

„Bildungsgewerkschaften setzen sich weltweit für eine moderne Hochschulbildung in der digitalen Welt ein, erteilen aber der Privatisierung und Kommerzialisierung von Studium und Lehre eine Absage.“ (Andreas Keller)

Die Studie wurde auf der Welthochschulkonferenz der Bildungsinternationale (BI) vorgestellt, die am 9. und 10. Februar online stattfand. „Dieser Austausch war wichtig. Bildungsgewerkschaften setzen sich weltweit für eine moderne Hochschulbildung in der digitalen Welt ein, erteilen aber der Privatisierung und Kommerzialisierung von Studium und Lehre eine Absage. Wissenschaftsfreiheit, Hochschulautonomie und sozialer Dialog mit den Beschäftigten und ihren Gewerkschaften müssen Eckpfeiler eines globalen Hochschulraums werden. In diesem Sinne wird sich auch die GEW weiter unter dem Dach der Bildungsinternationale engagieren“, erklärt Andreas Keller, stellvertretender Vorsitzender der GEW.

"Katastrophen-Techno-Kapitalismus" schafft Probleme

Für private Bildungsdienstleister und Digitalkonzerne hat sich die rasche Bereitstellung der notwendigen Technologie gelohnt: das Marktvolumen im "EdTech"-Bereich könnte von 36 Milliarden Dollar 2019 auf bis zu 75 Milliarden Dollar im Jahr 2025 steigen, so die Studie.

Der "Katastrophen-Techno-Kapitalismus" als Helfer in der Not bringt für die Hochschulen viele neue Probleme mit sich, betonen die AutorInnen der Studie, Anna Hogan (Universität Queensland) und Ben Williamson (Universität Edinburgh):

  • weitere Public/Private-Partnerships verwischen die Grenzen zwischen Bildungssektor und Wirtschaft
  • Online-Lernplattformen werden zunehmend zum Geschäftsmodell, sowohl für öffentliche Universitäten wie für private Konkurrenz
  • individualisierte Bildungsprogramme forcieren die Überwachung und automatisierte Bewertung durch KI-System
  • Hochschulbildung wird noch stärker auf die direkte Verwertbarkeit im Job ("Employability") konzentriert

"Wir müssen sicherstellen, dass auch zukünftig die Interessen der Studierenden wichtiger sind als Profite." (David Edwards)

"Die Zukunft der Hochschulbildung sollte aber nicht von Start-Ups und privaten Investoren bestimmt werden, sondern von Profis aus der Lehre, die genau wissen, was guten Fernunterricht und einen guten Mix aus verschiedenen Lernmethoden ausmacht", so Edwards. "Wir müssen sicherstellen, dass auch zukünftig die Interessen der Studierenden wichtiger sind als Profite."

Konkrete Probleme gibt es schon jetzt, warnen zudem die AutorInnen der Studie. So zeige sich etwa der Gatekeeper-Charakter der digitalen Dienstleister: Manche Unterrichtseinheiten oder Konferenzen mit kritischen Perspektiven seien wegen der Geschäftsbedingungen von Video-Streaming-Plattformen abgesagt worden.

Die Tatsache, dass Vorlesungen und Seminare nun aufgezeichnet werden und online abrufbar sind, erleichtere außerdem die administrative Kontrolle. Man müsse deshalb befürchten, dass HochschullehrerInnen ihre Kursinhalte im vorauseilenden Gehorsam selbst zensieren.

Bedenklich sei aber auch: Digitalisierung könne überhaupt nur dort stattfinden, wo die notwendigen Strukturen bestehen. In vielen Schwellenländern des globalen Südens sei der Unterricht mangels digitaler Alternativen seit Beginn der Pandemie ganz einfach komplett ausgefallen.

Die Studie gibt zwei klare Empfehlungen:

  • Die Auswirkungen der beschleunigten Digitalisierung und Privatisierung des Hochschulwesens in Corona-Zeiten müssen ausführlich wissenschaftlich begleitet und untersucht werden.
  • Die Beteiligten -  Studierende, Hochschulbeschäftigte und Gewerkschaften - sind aufgefordert, Alternativen zur Privatisierung zu formulieren.

Wissenschaftsfreiheit verteidigen

Die Wissenschaftsfreiheit wird jedoch nicht nur durch das verstärkte Auftreten privater Akteure gefährdet. Auch die zunehmende Verschlechterung der Betreuungsrelation und die Prekarisierung der Arbeitsbedingungen von WissenschaftlerInnen trägt dazu bei.

Mit Sorge registrierte die Welthochschulkonferenz, dass die Angriffe auf die Wissenschaftsfreiheit zunehmen: Der Bericht „Free to Think“ 2020 dokumentierte 341 Angriffe auf die Autonomie der Hochschulen und der Wissenschaftsfreiheit in 58 Ländern innerhalb eines Jahres. Besonders gravierend ist die Situation unter anderem in Rumänien, Polen, Ungarn, der Türkei und Belarus.

Die Welthochschulkonferenz zeigte sich solidarisch mit der Demokratiebewegungen in Hong Kong und Myanmar und forderte die sofortige Freilassung des Wissenschaftlers Sean Turnell, der seit dem Militärputsch inhaftiert ist.