Bildungsgewerkschaften kämpfen gegen Privatisierung
„Bildung ist kein Fast Food“
Die kommerzielle Privatschulkette Bridge International Academies unterrichtet in Afrika und Asien. Sie setzt Billiglehrkräfte ein, die den Unterrichtsstoff vom Tablet-Computer ablesen. Bildungsgewerkschaften bekämpfen dieses Modell – mit Erfolg.
Nairobi, Kenia. Dieser „Teacher Guide“ mache das Unterrichten leichter, sagt die Lehrerin und zeigt auf ihren Tablet-Computer. Er gebe vor, wann welcher Schulstoff zu behandeln ist und wie. „Außerdem kann ich damit feststellen, bei welchen Themen meine Schülerinnen und Schüler Schwierigkeiten haben“, erklärt die Frau in dem PR-Video, das auf YouTube zu sehen ist.
Schulen in jämmerlichem Zustand
Sie arbeitet für Bridge International Academies, eine Privatschulkette, die in Kenia, Liberia, Nigeria, Uganda und Indien präsent ist. Gegründet 2009, unterrichtete Bridge 2018 weltweit 100.000 Mädchen und Jungen in über 520 Schulen und Vorschulen. Die Schulgebühren seien niedrig, versichert das Unternehmen. Auch Eltern, die im Slum wohnen, könnten ihre Kinder in eine Bridge-Schule schicken. Die Lehrkräfte seien kompetent und motiviert, der „Teacher Guide“ sorge für bestmögliche Unterstützung.
Das klingt attraktiv – denn in Ländern wie Kenia sind öffentliche Schulen häufig in jämmerlichem Zustand. Viel zu große Klassen, 40 Kinder und mehr, schlechte Ausstattung und miserabel bezahlte Lehrkräfte, die gezwungen sind, nebenher Taxi zu fahren oder im Handy-Shop zu arbeiten. Oft fällt der Unterricht einfach aus.
Schweres Geschütz gegen Kritiker
Aber Gewerkschaften wie die kenianische Kenya National Union of Teachers (KNUT) kritisieren die Bridge International Academies seit Jahren. Wer dort unterrichte, habe keine ausreichende Ausbildung. Die Klassenräume seien unzureichend, häufig nur einfache Gebäude im Slum. Außerdem halte sich Bridge nicht an die nationalen Lehrpläne. Das Unternehmen reagierte – 2017 warf es dem damaligen KNUT-Vorsitzenden vor, Lügen zu verbreiten. Doch das zuständige Gericht, der High Court of Kenya, wies den Antrag zurück, dem Gewerkschaftsvorsitzenden kritische Äußerungen zu verbieten.
„Auf dem ganzen Kontinent haben wir beobachtet, dass die sogenannten Low-Cost-Privatschulen rasant zunahmen.“ (Christian Addai-Poku)
Auch in Uganda ging Bridge gegen Kritiker vor. Im Mai 2016 reiste der kanadische Bildungsforscher Curtis B. Riep ins Land, um die Qualität des Unterrichts der Privatschulkette zu untersuchen. Bridge ließ darauf eine Zeitungsanzeige schalten: Riep sei unter falschem Namen unterwegs und behaupte, Angestellter von Bridge zu sein. In Wirklichkeit arbeite er für Education International (EI), den Weltverband der Bildungsgewerkschaften. Der Kanadier wurde in Uganda verhaftet. EI und Bildungsgewerkschaften in vielen Ländern protestierten. Im Juni 2016 kam Curtis B. Riep frei.
„Auf dem ganzen Kontinent haben wir beobachtet, dass die sogenannten Low-Cost-Privatschulen rasant zunahmen“, kritisiert Christian Addai-Poku, Präsident des Afrikanischen Regionalkomitees von EI. Diese Schulen seien bekannt dafür, dass Lehrkräfte dort kaum Arbeitnehmer*innenrechte haben. „Sie operieren, wenn überhaupt, mit wenig Kontrolle und Transparenz.“ Obwohl das Schulgeld relativ niedrig ist, könnten die ärmsten Familien das Geld oft nicht aufbringen. Das habe zur Folge, dass vor allem Mädchen von Schulbildung ausgeschlossen werden.
Bedenkliche Datenspeicherung
Auf Bedenken von Gewerkschaften stößt auch, was Lehrkräfte auf ihrem „Teacher Guide“ an Daten speichern: Von wann bis wann sind Schülerinnen und Schüler sowie die Lehrkräfte anwesend? Welche Noten gab es bei Klassenarbeiten und Prüfungen? Wie weit ist eine Klasse mit dem Lernstoff? Wie schnell begreift eine Schülerin oder ein Schüler den Lernstoff?
Die Hinterleute
Die Bridge International Academies gehören zum Bildungskonzern NewGlobe. Zu dessen Investoren zählen drei US-Milliardäre: Facebook-Chef Mark Zuckerberg mit seinem Investment-Vehikel Chan Zuckerberg Initiative, Bill Gates und der eBay-Gründer Pierre Omidyar mit dem Omidyar Network. Hinzu kommt der britische Bildungskonzern Pearson. Geld gab zudem der kommerzielle Ableger der Weltbank-Gruppe, die International Finance Corporation (IFC).
„Schäm Dich, Weltbank“ – „Bridge beutet afrikanische Kinder aus“. Mit diesen Slogans protestierten Mitglieder von Bildungsgewerkschaften gegen das Engagement der IFC. Auch die GEW beteiligte sich an der Kampagne. Bridge sei ein For-Profit-Unternehmen argumentieren die Gewerkschaften. Und wer solche Akteure finanziere, verstoße gegen das UN-Nachhaltigkeitsziel Nummer 4. Das schreibt fest, dass bis 2030 alle Kinder weltweit Zugang zu inklusiver und kostenfreier hochwertiger Bildung erhalten müssen.
Die Proteste zeigten offenbar Wirkung. Im März 2022 gab die IFC bekannt, dass sie die Förderung auslaufen lasse. Seit 2014 hatte die Weltbank-Tochter 13,5 Millionen US-Dollar an Bridge gezahlt, um private Schulen in Afrika und die Expansion des Unternehmens auf anderen Kontinenten zu finanzieren. „Wir rufen die anderen Investoren der Bridge International Academies auf, dem Beispiel der IFC zu folgen“, erklärte David Edwards, Generalsekretär von Education International. Bildungsgewerkschaften weltweit fordern mit ihrer Kampagne „Global Response“, die Privatisierung von Bildung zu stoppen und das öffentliche Bildungswesen zu stärken.
Umstrittene Studie
Nun sorgt eine US-amerikanische Studie dafür, dass die Diskussion um Bridge wieder Fahrt aufnimmt. „Can Education be Standardized? Evidence from Kenya“ (Kann Bildung standardisiert werden? Nachweise aus Kenia) lautet der Titel der im Juni 2022 veröffentlichten Untersuchung. Zu den Finanziers der Studie gehören die Weltbank, die Bill and Melinda Gates Foundation und das Omidyar Network. Das Ergebnis scheint zunächst für die Privatschulkette zu sprechen: Wer zwei Jahre lang eine Bridge-Schule besuchte, zeigt deutlich bessere Testergebnisse als die Vergleichsgruppe, die auf eine öffentliche Schule ging. Bei Bridge-Grundschulkindern war der Vorsprung so groß, als hätten sie fast zehn Monate länger Unterricht gehabt („0.89 additional equivalent years of schooling“). Bei den Vorschulkindern lag der Unterschied gar bei eineinhalb Jahren („1.48 additional equivalent years of schooling“). Ein Ergebnis, das Bridge für Eigen-PR zu nutzen weiß: Die Untersuchung, so die firmeneigene Homepage, zeige „Lerngewinne, die zu den größten gehören, die jemals in der internationalen Bildung gemessen wurden“.
Gleichwohl enthält die Untersuchung zahlreiche Aussagen, in denen Skepsis am Bridge-Modell durchscheint. „Das Unternehmen stellte Lehrkräfte ein, die weniger formale Bildung und Erfahrung als Lehrkräfte an öffentlichen Schulen haben, zahlt ihnen weniger und lässt sie mehr Stunden pro Woche arbeiten“, heißt es in der Zusammenfassung. Standardisiert habe Bridge auch das System zur täglichen Kontrolle der Lehrkräfte.
Die Studie erinnert zudem an das miserable öffentliche Schulwesen in Kenia. Untersuchungen hätten gezeigt, dass kenianische Lehrerinnen und Lehrer bei 47 Prozent der unangekündigten Schulbesuche nicht anwesend waren. Im Durchschnitt unterrichteten kenianische Lehrkräfte lediglich zwei Stunden und zwanzig Minuten am Tag. Außerdem betont die Studie: NewGlobe, die Muttergesellschaft von Bridge, habe im Untersuchungszeitraum – also ab 2016 – die Zahl der Bridge-Schulen in Kenia von 405 auf 112 reduziert.
Kein gutes Haar an der Studie lässt Education International. „Die Finanziers der Studie waren Investoren von Bridge“, beanstandet EI. „Unkorrekt“ sei zudem, dass die Testergebnisse auf die „Standardisierung“ von Bildung zurückzuführen seien. Andere Faktoren spielten eine Rolle. „Bridge-Schulen haben substanziell kleinere Klassen als kenianische öffentliche Schulen.“ Außerdem gebe es bei Bridge mehr Unterrichtsstunden, die Ausstattung mit Schulbüchern und anderen Ressourcen sei besser.
„Sie machen aus Lehrerinnen und Lehrern Automaten.“ (David Edwards)
David Edwards, Generalsekretär der EI, wird grundsätzlich: Das bisherige Bridge-Konzept habe mit Bildung nichts zu tun. „Sie machen aus Lehrerinnen und Lehrern Automaten.“ Bridge „strebt nach Rationalisierung, will Kosten senken und Profit machen“. Bildung sei aber „kein Fast Food“. Bildung könne allein durch ausgebildete Lehrkräfte vermittelt werden, die beruflich eigenständig arbeiten und ausreichend Ressourcen nutzen können.“Keine noch so voreingenommene Studie wird daran etwas ändern.“
Dieser Artikel wurde erstmals in der Broschüre ‚Ungleichheit weltweit – Wie der Finanzmarktkapitalismus die Transformation der Arbeitswelt herausfordert‘ im Dezember 2022 im Rahmen des Projekts Gute Arbeit weltweit beim DGB Bildungswerk BUND veröffentlicht.