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Tagung der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES)

Wie soll Ganztag gehen?

Immer mehr Schülerinnen und Schüler besuchen eine Ganztagsschule. Den Anspruch auf mehr soziale Chancengleichheit kann die Ganztagsschule bislang jedoch nur bedingt einlösen, wie eine Tagung der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) zeigte.

Die Zahlen, mit denen eine gutgelaunte Familienministerin den Tag eröffnete, waren ganz frisch: Laut Deutschem Institut für Wirtschaftsforschung bringt der für 2025 geplante Rechtsanspruch auf einen Ganztagsgrundschulplatz Steuerzahlern und Sozialkassen bis zu zwei Milliarden Euro, weil durch ihn vor allem Mütter länger oder überhaupt erst arbeiten. Franziska Giffey (SPD) machte keinen Hehl aus der Nützlichkeit dieser Zahlen: „Jenseits von Bildungsgerechtigkeit und Teilhabe finanziert sich der Rechtsanspruch gleichsam von selbst. Für die, denen alles andere unwichtig ist, müssen wir dieses Argument auch bringen!“ Zum Beispiel im Kabinett, damit der Bund sich zusätzlich zu den zugesagten zwei Milliarden Euro Investitions- auch an steigenden Betriebskosten beteiligt. Bettina Martin (SPD), Bildungsministerin in Mecklenburg-Vorpommern, ließ keinen Zweifel daran, was die Länder erwarten: Der Bund dürfe ihnen nicht einen Rechtsanspruch aufdrücken, den „wir politisch unterstützen, aber nicht umsetzen können“. Es gehe nicht um „Aufbewahrung“.

Letztere will von allen Experten aus Jugendhilfe und Schule, Politik und Wissenschaft, die der Einladung Ein ganzer Tag Ganztag gefolgt waren, natürlich niemand. Was das bedeutet, rechnete der Direktor des Deutschen Jugendinstituts, Thomas Rauschenbach, vor: bis 2025 mehr als fünf Milliarden Euro Investitionskosten, also drei mehr als vom Bund zugesagt. Sind Schulen nebst Mensa, Horten, Bewegungsräumen et cetera gebaut, fallen jährlich geschätzte 3,2 Milliarden Betriebskosten an. Unberücksichtigt bleibe dabei noch, so Rauschenbach, wie man „Anreize“ schaffe, damit es die zahlreichen Erzieherinnen und Erzieher – zusätzliche Lehrkräfte werden laut DJI-Prognose nur wenige benötigt – überhaupt gibt. Nur das Schulgeld, das Erzieherinnen für ihre Ausbildung zahlen müssen, zu streichen, so Giffeys Forderung, genüge nicht.

„Wir müssen Familien- und Frauenpolitik zusammendenken. Betreute Grundschule kann wunderbar sein.“  (Ute Erdsiek-Rave)

Inhaltlich wurde deutlich: Selbst in einer so homogenen Gruppe, wie von der FES geladen, gehen die Meinungen, wie eine ganztägige Schule organisiert sein soll, weit auseinander. Das gilt, erstens, für die Frage, ob sie gebunden sein soll, also verpflichtend für alle, die sie besuchen. Vorgestellt wurden zwei erfolgreiche Schulen, die gebunden bzw. teilgebunden arbeiten; in letzterer bleiben an zwei von fünf Tagen alle Schülerinnen und Schüler im Haus. Dies, deutete Oliver Kaczmarek, bildungspolitischer Sprecher der SPD im Bundestag, an, könne angesichts der „Elternwünsche“ ein Kompromiss sein. Giffey wiederum will „nicht mit Verpflichtung, sondern mit Qualität überzeugen“. Offen ist zweitens: Wie viel Bildung und wie viel Betreuung sollen in der Ganztagsschule stecken?

Schulentwicklungsforscher Prof. Heinz Günter Holtappels plädierte dafür, Lernentwicklung und die „Verhinderung von Bildungsverlierern“ in den Mittelpunkt zu stellen. Er erinnerte an die Begleitforschung, die das sogenannte SteG-Konsortium jüngst vorgestellt hatte: Nach 15 Jahren Ganztagsschule gibt es so gut wie keine Hinweise auf die Entkopplung von Herkunft und Bildungserfolg. Holtappels, Mitglied der Forschergruppe für die „Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen“ (SteG), warnte vor einer „Ausbau-Qualitäts-Falle“, in die die Ganztagsschule bereits jetzt gelaufen sei. Kaczmarek wies darauf hin, dass im Koalitionsvertrag von SPD und CDU/CSU „Betreuung“ verankert sei: „Mehr war nicht drin.“ Ute Erdsiek-Rave (SPD), bis 2009 Bildungsministerin in Schleswig-Holstein, wollte das Modell einer hochwertigen Ganztagsschule ohne mehr Unterricht nicht abtun: „Wir müssen Familien- und Frauenpolitik zusammendenken. Betreute Grundschule kann wunderbar sein.“