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Coronapandemie

„Wie das fünfte Rad am Wagen“

Corona hat die rund 58.000 Kitas in Deutschland vor Veränderungen und Schwierigkeiten gestellt. Für die Beschäftigten waren damit teils große Belastungen, Spannungen und Unsicherheiten verbunden, wie eine Studie an der Universität Leipzig zeigt.

Foto: GEW/shutterstock.com
In der Pandemie ist in den Kitas wenig Zeit für pädagogische Arbeit. (Foto: GEW/Shutterstock)

Die Erziehungswissenschaftlerinnen Katrin Lattner und Victoria Jankowicz vom Arbeitsbereich für Pädagogik der frühen Kindheit haben Interviews mit 37 Fach- und Leitungskräften in Kitas geführt. Die Gespräche fanden von Juli bis Oktober 2020 in Sachsen sowie von Juli bis September 2021 in Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Berlin statt. Sie wurden als Einzel- oder Paarinterviews geführt und dauerten bis zu zwei Stunden.

Den zweiten Lockdown im Frühjahr 2021 hätten einige Kitas – neben der Notbetreuung – noch für konzeptionelle Arbeit, pädagogischen Austausch, digitale Fortbildungen, Teambildung und Elternarbeit nutzen können, berichtet Co-Autorin Jankowicz. Gravierender seien die Belastungen im eingeschränkten Regelbetrieb gewesen: „Je nach Art der Kita wurden sehr unterschiedliche Erfahrungen gemacht.“

In Kitas mit einem geschlossenen Konzept seien Schutzverordnungen meist etwas einfacher umzusetzen gewesen als in Kitas mit offenen Gruppen. Einige Vorschriften waren dabei für kaum eine Einrichtung umzusetzen: feste Toilettenzeiten für Kleinstkinder zum Beispiel, drei Meter Essensabstand mit 20 Kindern pro Gruppe oder Spielzeug-Desinfektionen nach jeder Nutzung. „Zudem führte das Besuchsverbot für Eltern dazu, dass sie die Räume monatelang nicht von innen gesehen haben“, berichtet Lattner.

Ein Jahr lang kein freies Wochenende oder Urlaub

Überdies sei die pädagogische Arbeit massiv in den Hintergrund getreten. Der Großteil der Fach- und Führungskräfte habe sich stark belastet gefühlt und auf simple Betreuungsfunktionen reduziert gesehen. Hinzu kamen sich ständig verändernde Anforderungen, die oft von Freitagnachmittag auf Montagfrüh umgesetzt werden mussten. „Wir haben mit Leitungskräften gesprochen, die ein Jahr kein freies Wochenende oder keinen Urlaub hatten“, erzählt Lattner. Der hohe bürokratische Mehraufwand und die Dokumentationspflichten hätten sie übermäßig belastet.

Wichtig seien daher in Zukunft vor allem mehr zeitlicher Vorlauf zur Umsetzung neuer Verordnungen, mehr personelle Unterstützung etwa bei Hygiene- und Verwaltungsaufgaben, mehr Planungssicherheit und schnellere Behördenabläufe bei unklaren Verordnungen. „Die Fachkräfte wünschen sich“, betont Lattner, „dass mit ihnen darüber gesprochen wird, was aus ihrer Sicht umsetzbar ist.“

Allen Kolleginnen und Kollegen habe vor allem ein Gefühl der Wertschätzung gefehlt. Politik, Öffentlichkeit, Gesellschaft und teils auch Eltern würden nach Ansicht der Interviewten kaum anerkennen, was Erzieherinnen und Erzieher täglich „an der Front“ leisteten. Dass Kita-Fachkräfte bei der Festlegung systemrelevanter Berufe, bei Impf-Priorisierungen und regulär finanzierten Tests nicht von Anfang an berücksichtigt wurden, sei für viele ein Zeichen gewesen, dass ihr anspruchsvoller Job, ihre besondere Belastung und ihre große Ansteckungsgefährdung nicht gesehen und anerkannt würden. „Viele Fachkräfte fühlten sich wie das fünfte Rad am Wagen“, sagt Jankowicz. „Sie wünschen sich ein klares Signal der Politik.“ Dabei gehe es nicht nur um ein Wort der Dankbarkeit, sondern auch um finanzielle Anerkennung und die Wahrnehmung ihrer Expertise.

Gestärkt aus der Krise hervorgegangen

Neben allen Herausforderungen und Belastungen für die Erzieherinnen und Erzieher habe sie aber ebenso nach Chancen in der Krise für die Kitas gefragt, betont Lattner, die seit Jahren zur psychischen Gesundheit der Kita-Fachkräfte forscht. Tatsächlich habe es positive Nebeneffekte gegeben. Dazu gehörten etwa digitale Elternabende und -gespräche, an denen nun Mütter und Väter gleichzeitig teilnehmen konnten, wie auch digitale Teamberatungen, die es zuvor nicht gab. „Manche Erzieherinnen und Erzieher“, sagt Lattner, „haben die Pandemie auch als eine Krise erlebt, aus der sie als Team gestärkt hervorgegangen sind.“ Ihre Studie wollen Lattner und Jankowicz im Sommer fortführen. Am Ende, so der Plan, solle auch eine Handreichung zum Krisenmanagement in Kitas entstehen.