Klimaschutz
Weniger ist das neue Mehr
Wohlhabende Personengruppen können sich Klimafreundlichkeit eher leisten als finanziell schwache Schichten. Wie kann man diesen Konflikt lösen? Fragen an den Umweltethiker Prof. Markus Vogt.
- E&W: Herr Professor Vogt, haben Umweltethiker wie Sie auch das Thema soziale Gerechtigkeit bei den Antworten auf den Klimawandel im Blick?
Prof. Markus Vogt: Es geht darum, Gerechtigkeit auch auf globaler und internationaler Ebene mitzudenken. Es gibt aber auch innerhalb Deutschlands ein verteilungspolitisches Problem, die soziale Dimension muss hier stets mitgedacht werden. Es ist klar, dass gewaltige Umbrüche auf uns zukommen. Wir wissen, dass Arbeitsplätze verloren gehen. Die Reichen können sich die Belastungen leichter leisten, insofern muss Klimapolitik sozial abgefedert werden.
- E&W: Im Wahlkampf ist es schwierig, das Thema Klimawandel und soziale Gerechtigkeit zu diskutieren.
Vogt: Ja, aber wir müssen einen Bewusstseinswandel voranbringen. Das Klimaschutzgesetz von 2019, das 2045 Treibhausgasneutralität erreichen will, setzt da einen strengen Rahmen. Nach dem aufsehenerregenden Urteil des Bundesverfassungsgerichts* geht es um die Verteidigung der Freiheitsrechte mit Blick auf die nachwachsende Generation. Wir dürfen den Umbau nicht auf die Zeit nach 2030 verschieben.
- E&W: Die Rolle von Wachstum wird bei Umweltethikern kontrovers diskutiert. Braucht die Gesellschaft nicht ein gewisses wirtschaftliches Wachstum, um die Umbrüche einigermaßen sozial abfedern zu können?
Vogt: Ich bin kein kategorischer Gegner von Wachstum, es gibt viele Gebiete, die wachsen können und wachsen sollen, zum Beispiel im Bereich der nachwachsenden Rohstoffe. Diese können Grundlage für die Industriegesellschaft von morgen sein. Wir brauchen eine Ressourcenwende, etwa hin zu Bioplastik, ähnlich der Energiewende. Wir brauchen eine Entkoppelung von Wachstum und Verbrauch durch mehr Effizienz. Zusätzlich müssen wir uns fragen: Was ist uns wichtig? Wie können wir mehr Lebensqualität durch weniger erreichen? Zeitwohlstand ist ein wichtiges Beispiel. Die Mobilität, die wir heute haben, ist unsinnig und Ausdruck eines gehetzten Lebensstils. Die Reichen fliegen viel mehr als andere. Weniger Autoverkehr brächte weniger Lärm, das muss natürlich flankiert werden durch einen besseren öffentlichen Nahverkehr.
- E&W: Die Bekämpfung des Klimawandels gibt es nicht zum Nulltarif, höhere Steuern für reichere Personengruppen in der Gesellschaft werden kontrovers diskutiert. Was schlagen Sie vor, damit die Kosten nicht gerade die Bezieher niedriger Einkommen besonders treffen?
Vogt: Klar ist, wir haben eine gigantische Überschuldung durch die Corona-Krise: Es hat aber keinen Sinn zu sagen, wir haben jetzt alles ausgegeben, und die Klimakrise nehmen wir nicht ernst. Hier müssen wir investieren, wir können daher nicht kurzfristig zur „Schwarzen Null“ zurückkehren. Wir müssen jetzt den Übergang in eine postfossile Gesellschaft finanzieren. Die Politik muss in technische Innovationen investieren, um den industriellen Umbruch vor allem im Energie-, Gebäude- und Mobilitätssektor zu gestalten. Gleichzeitig können die staatlichen Einnahmen steigen. CO2-Steuern sind sinnvoll, da sie zu gewaltigen Einnahmen führen können. Aus diesen sind einkommensschwächere Haushalte zu unterstützen, bis hin zu einer kostenlosen Energieberatung.
- E&W: Eine Energieberatung wird nicht ausreichen. Was könnte der Staat tun, damit diese Menschen die Bekämpfung des Klimawandels finanziell entspannter unterstützen könnten?
Vogt: Ein wichtiger Bereich ist bezahlbares und klimaverträgliches Wohnen. Investitionen in Energiesparen müssen in wesentlichen Teilen von den Vermietern getätigt werden. Ein weiterer Bereich sind die Lebensmittel. Die Menschen in Deutschland geben im Schnitt 13 Prozent ihres Einkommens für ihr Essen aus. In der subjektiven Wahrnehmung wird dieser Bereich etwa im Vergleich zum Auto überschätzt. Die Umweltbelastung durch die Landwirtschaft ist sehr hoch, wir brauchen Rahmenbedingungen, um ökologisch verträgliche Lebensmittel zu entwickeln – auch bei den Discountern.
- E&W: Zwischen Arbeitnehmerschaft und Umweltbewegung gibt es Konflikte. Sehen Sie auch Gemeinsamkeiten?
Vogt: Die Ökobilanz von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ist besser, als man denkt. Im Durchschnitt beanspruchen sie eine geringere Wohnfläche, und sie fliegen auch weniger als finanziell Bessergestellte. Wichtig ist, das Gemeinsame zu entwickeln. Ein persönliches Beispiel: Ich habe viele Jahre günstig in der Wohnungsbaugenossenschaft West in München gelebt. Bewohner aller Gesellschaftsschichten leben hier zusammen. Das ökologische Management funktionierte hervorragend: viel geringere Heizkosten, rechtzeitige Fensterisolierung und ökologische Müllkonzepte intelligent organisiert.
- E&W: Wird der Aspekt von sozialer Gerechtigkeit und Klimawandel im Schulunterricht genügend behandelt?
Vogt: Ich wünsche mir, dass Klimawandel und Nachhaltigkeit nicht nur als Katastrophen- oder Zusatzthemen im Unterricht vorkommen. Hier sollte grundsätzlicher nachgedacht werden: In welcher Gesellschaft wollen wir leben, was sind die großen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts? Das Wohlstandsmodell sollte in Frage gestellt werden. Die Fragen der Jugendlichen sollten ernst genommen und Räume der Kommunikation über Zukunftsfragen geschaffen werden.