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Welche Rolle spielen Gewerkschaften?

Keine Kinderarbeit, angemessene Einkommen – zwei Kriterien der Siegelorganisation Fairtrade. Gewerkschaften helfen, sie durchzusetzen. Das sei vor Ort nicht immer leicht, sagt Rapha Breyer von Fairtrade Deutschland.

Auch in der Textilfabrik SAGs Apparels in Indien organisiert Fairtrade Deutschland die Interessenvertretung von Arbeiterinnen. (Foto: Siva Pavi/Fairtrade)
  • E&W: Herr Breyer, welche Rolle spielen Gewerkschaften bei Fairtrade?

Rapha Breyer: Eine große Rolle. Wir arbeiten ja nicht nur – wie etwa bei Kakao oder Kaffee – mit meist familiär geführten Kleinbauern-Kooperativen zusammen. Sondern bei Rosen, Reis, Tee oder Kleidung auch mit Plantagen und Fabriken, die Leute beschäftigen. Fairtrade und Gewerkschaften haben dasselbe Ziel: Die Menschen sollen einen sicheren und angemessen bezahlten Arbeitsplatz haben. Wer sich zusammenschließt, kann besser verhandeln.

  • E&W: Was heißt das für Ihre zertifizierten Partner – etwa eine Textilfabrik in Indien oder eine Ananas-Plantage in Costa Rica?

Breyer: Dass diese ihren Nähern oder Pflückerinnen ermöglichen, sich gewerkschaftlich zu organisieren. Die Betriebe müssen Gewerkschaftsvertretenden Zugang zum Betrieb geben und ihnen erlauben, sich mit den Beschäftigten zu treffen. Gibt es einen Tarifvertrag, müssen sich die Plantagen und Fabriken daran halten.

  • E&W: Wie sieht diese Kooperation vor Ort konkret aus?

Breyer: Ich beschreibe das mal am Beispiel der Textilproduktion in Indien. 2016 haben wir den Fairtrade-Textilstandard eingeführt. Darin formuliert sind hohe soziale Kriterien für jede Stufe der Produktion. Das heißt: Jedes T-Shirt muss aus Fabriken stammen, die nach dem Standard zertifiziert sind. Die Kriterien umzusetzen, war und ist für die Fabriken eine echte Herausforderung. Es war nicht leicht, Partner zu finden.

  • E&W: Warum?

Breyer: Fabrikbesitzer und Arbeitervertretungen haben in Indien keine eingeübte Kooperation, sondern verharren in traditioneller Konfrontation. Die einen drohen sofort mit Streik, die anderen sofort mit Rauswurf. Gewerkschaften spielen in den wenigsten Textilfabriken eine Rolle. Das liegt auch daran, dass Gewerkschaften in Indien in der Regel parteinah sind und damit von der Opposition für politische Zwecke genutzt werden. Arbeiterinnen und Arbeiter engagieren sich deswegen wenig in Gewerkschaften. Kurz: Die Erde war 2016, als wir dort Partner suchten, ziemlich verbrannt.

Jetzt steht in unserem Textilstandard aber, dass es demokratisch gewählte Arbeitervertreter-Kommitees geben muss, mit denen bei Kontrollen auch ein Auditor spricht. Wir fördern vor Ort die Vertretung der Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, indem wir nicht nur die Belegschaft, sondern auch das Management etwa in Verhandlungstaktiken schulen. Und indem wir über Mitspracherechte aufklären und den Arbeiterinnen und Arbeitern helfen, ihre Vertretung zu wählen. Das ist nicht leicht in einem Land, in dem viele, Stichwort Kastensystem, noch meinen, gar keine Rechte zu haben. Aber inzwischen arbeiten wir mit zehn indischen Textilfabriken zusammen und erreichen so rund 7.000 Beschäftigte.

  • E&W: Das stört die Fabrikbosse nicht?

Breyer: Nein, weil zumindest die Leitung unserer Partner verstanden hat, dass sich etwas ändern muss. Und weil alle Ebenen sehen, dass sie etwas davon haben, wenn sie miteinander reden. In den wenigsten Textilfabriken in Indien gibt es eine Beschwerdekultur. Die Leute haben Angst vor Strafe und Angst, den Job zu verlieren. Man hält den Mund – oder geht. Die Fluktuation ist enorm. Einer der Geschäftsführer, mit dem wir arbeiten, sagte zu mir, er sei froh, dass die Probleme jetzt zur Sprache kommen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter blieben heute im Schnitt sechs Monate statt wie früher drei. Das erscheine wenig, aber: Immer wieder Leute neu einzuarbeiten, koste Geld. Das habe er jetzt für höhere Löhne zur Verfügung. 

„Wer sich zusammenschließt, kann besser verhandeln.“ (Rapha Breyer, Fairtrade Deutschland / Foto: (angefragt))