Studie des Instituts für Wirtschaftsforschung (Ifo)
Viel Lärm um nichts
Für den Bildungserfolg und Berufseinstieg sind sie bedeutungslos: die Kopfnoten. Das geht aus einer Studie des Instituts für Wirtschaftsforschung (Ifo) hervor. Uschi Kruse, GEW-Vorsitzende in Sachsen, will die Verhaltensnoten abschaffen.
Verhaltensnoten für Schülerinnen und Schüler sind bedeutungslos für den Bildungserfolg und den Einstieg ins Berufsleben. Das hat eine Studie des Ifo Instituts herausgefunden. Weder bei Schulleistungen, Charaktereigenschaften oder der Erwerbstätigkeit konnten die Münchener Forscher bedeutsame Unterschiede bei Schulkindern mit und ohne Verhaltensnoten nachweisen. „Diese ‚Kopfnoten‘ scheinen sich also weder positiv noch negativ auf die Entwicklung der Schüler auszuwirken“, sagt Ifo-Forscher Florian Schoner. „Die heiß geführten Debatten darum waren also viel Lärm um nichts.“ Schoner erläutert weiter, dass der zusätzliche Informationsgehalt der Verhaltensnoten so gering sei, weil Fachnoten das Verhalten und die Mitarbeit der Schülerinnen und Schüler bereits zum Teil umfassten.
„Durch die gegensätzlichen Ansichten zu Nutzen und Schaden von Kopfnoten gab es in den 2000er-Jahren immer wieder Bildungsminister, die Kopfnoten abschafften oder wieder einführten. Diese zeitlichen Unterschiede zwischen den Bundesländern nutzen wir, um die Folgen dieser Benotungsform zu untersuchen“, erklärt Schoners Kollege Lukas Mergele. Für die Studie griffen die zwei Autoren und eine Autorin auf drei umfangreiche Datensätze zurück: Vergleichstests in der 9. Klasse, Messungen von Charaktereigenschaften wie Gewissenhaftigkeit sowie Daten zum Einstieg in das Erwerbsleben aus dem Mikrozensus.
Wenn die auf Evidenz beruhenden vernichtenden Fakten des Ifo früher bekannt gewesen wären, hätte die sächsische GEW-Vorsitzende Kruse einen leichteren Stand gehabt. In ihrem Bundesland gibt es schon länger eine emotional geführte Kopfnoten-Debatte. Auch Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) outete sich: „Ich bin ein großer Befürworter der Kopfnoten, denn wir wollen nicht nur fachliche Bildung, sondern auch soziale Bildung.“ Im Koalitionsvertrag für Sachsen heißt es dann auch erwartungsgemäß und apodiktisch, dass die „individuelle Bewertung eines jeden Schülers im Rahmen der Kopfnoten bestehen bleibt“.
Antrainierte Sekundärtugenden
Auslöser für so viel „Bekennermut“ war ein Prozess vor dem Verwaltungsgericht in Dresden. Ein Schüler hatte erfolgreich gegen die Kopfnoten (Betragen, Fleiß, Mitarbeit und Ordnung) in seinem Abschlusszeugnis geklagt. Er hatte argumentiert, dass die Angabe der Verhaltensnoten seine Chancen schmälerten, einen Ausbildungsplatz zu ergattern. Das Gericht beanstandete die fehlende Rechtsgrundlage.
Das Oberverwaltungsgericht Bautzen kassierte die Entscheidung. Im Urteil heißt es, die Kopfbenotung sei kein erheblicher Eingriff in das Grundrecht auf freie Wahl des Berufs oder einer Ausbildungsstelle. „Der Gesetzgeber durfte die Entscheidung über die Aufnahme der Kopfnoten in die Schulzeugnisse deshalb der Schulverwaltung überlassen“, heißt es im Urteil.
GEW-Landeschefin Kruse geht es in ihrer Kritik aber nicht um die fehlende Rechtsgrundlage: „Ich halte Kopfnoten für verzichtbar. Nicht nur wegen meiner ,3‘ in Betragen.“ Sie erinnert sich auch an einen klugen Schulleiter, der darauf verwies, dass Betragen, Ordnung, Mitarbeit und Fleiß nur Sekundärtugenden seien. Sie hätten, so der Pädagoge, nur dann einen Wert, wenn sie auf etwas Gutes gerichtet seien. Denn: Menschen hätten viele grausame Dinge getan – und das diszipliniert, ordentlich und fleißig. „Diese Anmerkungen haben mich endgültig überzeugt, um zu sagen: Kopfnoten? Nein danke!“, erläutert Kruse.
„Die DDR hat nicht nur durch fehlende Demokratie und drakonische Maßnahmen so lange überlebt, sondern auch durch das Wohlverhalten ihrer Bürgerinnen und Bürger. Und das wurde auch in der Schule antrainiert.“ (Uschi Kruse)
Sie erinnert an Erfahrungen aus Vorwendezeiten. „Die DDR hat nicht nur durch fehlende Demokratie und drakonische Maßnahmen so lange überlebt, sondern auch durch das Wohlverhalten ihrer Bürgerinnen und Bürger. Und das wurde auch in der Schule antrainiert.“ In der DDR habe es, so Kruse, zusätzlich zu den üblichen Kopfnoten auch das Fach „Gesamtverhalten“ gegeben, um Linientreue und Angepasstheit zu messen. „Deshalb hat es mich verwundert, dass der Widerstand gegen die Wiedereinführung des alten Kopfnotenkatalogs gerade in Sachsen so gering war.“ Schließlich sei dies das Land gewesen, in dem die Bürgerrechtsbewegung die DDR mit zu Fall brachte. „Und wir, die wir damals auf die Straße gegangen sind, hatten alle in ‚Gesamtverhalten‘ eine 4.“ Und genau hier erhielten Schülerinnen und Schüler für Verhalten wieder eine Note, „das hat mich doch sehr verwundert“.
Zeichen der Hilflosigkeit
Die GEW-Landeschefin betont, dass Kopfnoten nicht geeignet seien, das Sozialverhalten der Schülerinnen und Schüler angemessen zu beschreiben. Sie verweist auf die häusliche Situation: „Es ist schlicht einfacher, seine Arbeiten pünktlich vorzulegen, wenn die Eltern kontinuierlich nachfragen und unterstützen.“ Sie ist davon überzeugt, dass Kopfnoten „in Wirklichkeit nur ein schlechtes Vehikel sind, weil es den Lehrkräften an Zeit für ausführliche Beschreibungen und Gespräche fehlt“.
Politikerinnen und Politiker in Sachsen glauben, den Arbeitgebern mit Kopfnoten einen Gefallen zu tun. Bei einer guten Note in Betragen, so die Annahme, könnten die Betriebe davon ausgehen, dass sich die Bewerberinnen und Bewerber auf einen Ausbildungsplatz in der Schule gut benommen haben und sie das vermutlich auch weiterhin tun. Diese Einschätzung wird von der Industrie geteilt. Gefordert seien Motivation, Pünktlichkeit, Teamfähigkeit und ordentliches Auftreten, erläutert Hans-Joachim Wunderlich, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Chemnitz. Deshalb wünsche sich die Industrie die Beibehaltung der Kopfnoten.
Ob sie damit aber wirklich die erhofften Kompetenzen bekommt, ist mehr als fraglich. Eigentlich sei es ein Zeichen von Hilflosigkeit und Mangel, „wenn wir versuchen, über Kopfnoten etwas zu steuern, was wir besser über Zuwendung, soziale Unterstützung und Schulpsychologen erreichen müssten“, argumentiert Kruse. Deshalb stimmt sie dem Ifo zu, das fordert, dass sich die politischen Bemühungen auf „andere Bereiche konzentrieren sollten, um die Qualität des Bildungssystems zu erhöhen“.