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fair childhood - Bildung statt Kinderarbeit

Verhindern, verzögern, verwässern

Schokolade, Shirts oder Schmuck ohne Kinderarbeit verlangt die GEW seit langem. Das Lieferkettengesetz könnte diese Forderung erfüllen, sagt Johanna Kusch von der Initiative Lieferkettengesetz – wenn die neue Bundesregierung nachbessert.

Das Lieferkettengesetz muss nachgeschärft werden, um beispielsweise Kinderarbeit bei der Kakaoernte endlich zu beenden. (Foto: Südwind/Christina Schröder)
  • E&W: Frau Kusch, Kinderarbeit und Lieferketten – wie würden Sie einem Zweitklässler dieses sperrige Thema in einem Satz erklären?

Johanna Kusch: Ich würde dem Kind sagen: Die Kakaofrüchte für die Schokolade, die wir alle so gerne essen, kommen aus Westafrika und werden dort oft unter schlimmen Bedingungen von Kindern geerntet, die deswegen nicht zur Schule gehen können. Das muss sich ändern.

  • E&W: Und einem älteren, sagen wir 17-jährigen Schüler?

Kusch: Dem würde ich außerdem sagen, dass kein Unternehmen wirklich Verantwortung dafür übernehmen muss, wie es den Menschen auf den Kakaoplantagen geht. Selbst wenn Kinder dort mit Macheten hantieren oder Pestizide versprühen müssen, hat das Unternehmen in Deutschland in der Regel keine Konsequenzen zu fürchten.

  • E&W: Kann ein Lieferkettengesetz das ändern?

Kusch: Ja, vorausgesetzt es ist ein starkes Lieferkettengesetz. Das kürzlich beschlossene Gesetz ist nur ein Etappenerfolg. Es schreibt zwar erstmals vor, dass Unternehmen die Menschenrechte in den Lieferketten achten müssen. Es verlangt von ihnen, Geschäfte mit Sorgfalt zu betreiben und entlang der Produktions- und Transportkette für sichere Arbeitsbedingungen und faire Löhne zu sorgen sowie Umweltschäden zu vermeiden – und zwar von der Gewinnung der Rohstoffe bis zur Entsorgung des Produkts. Aber das Gesetz hat große Schwächen.

Ein Beispiel: Ab 2023 muss jedes Unternehmen mit mehr als 3.000 Mitarbeitenden und ab 2024 mit mehr als 1.000 Beschäftigten diese Sorgfalt zeigen – von kleineren Firmen wird es nur erwartet. Viele Risikobranchen werden von dem Gesetz kaum erfasst: Nur 1,5 Prozent der Chemieunternehmen haben mehr als 1.000 Mitarbeitende. Und so fällt erstens nur 1 Prozent der 450.000 deutschen Unternehmen, die mehr als zehn Mitarbeitende haben, unter das Lieferkettengesetz. Und zweitens muss kein Betrieb für Schäden haften, die durch eine angemessene Sorgfalt vermeidbar gewesen wären.

  • E&W: Warum ist diese zivilrechtliche Haftungsklausel so wichtig?

Kusch: Weil ein Lieferkettengesetz nur dann vollständig wirkt. Dass eine Behörde – wie es das Gesetz vorsieht – die Einhaltung der Sorgfaltspflicht kontrolliert und Fehlverhalten sanktioniert, ist wichtig, um Schäden zu vermeiden. Ist aber ein Schaden bereits eingetreten, weil ein Unternehmen verantwortungslos handelte, müssen die Betroffenen vom Unternehmen Schadensersatz einklagen können – vor einem hiesigen Gericht. Das ist auf der bisherigen Rechtsgrundlage sehr schwierig.

Bei Unglücken wie dem Einsturz der Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesch, bei dem 1.134 Menschen starben, oder beim Brand in der pakistanischen Textilfabrik Ali Enterprises hätten die Auftraggeber aus Europa – wenn wir denn ein starkes Lieferkettengesetz hätten – präventiv Gebäudesicherheit durchsetzen müssen. Nach dem Schaden hätten sich KiK, Primark & Co. nicht einfach wegducken und damit rausreden können, Schuld habe ja der Produzent im fernen Ausland.

  • E&W: Ein Gesetz ohne Haftung – wer blockt und bremst?

Kusch: Vor allem Industrie- und Arbeitgeberverbände. Das war eine wahre Lobbyschlacht, und die passiert meist in drei Schritten: Schritt eins: das Gesetz möglichst verhindern. Dann verzögern. Wenn das nicht gelingt, dann verwässern. Auch beim früheren Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) fanden die Gesetzesgegner Gehör.

  • E&W: Wirtschaftsvertreter argumentieren, Sub-Lieferanten könne man nicht kontrollieren – zu verzweigt seien die globalen Lieferketten. Was entgegnen Sie denen?

Kusch: Dass die Firmen ja auch die Qualität entlang der Wertschöpfungskette überprüfen. Was bei Qualität geht, geht auch bei Löhnen oder Umweltauflagen.

  • E&W: Kritiker sagen auch, eine solche Kontrolle über die Lieferkette sei viel zu teuer – und erhöhe die Produktpreise. Stimmt das nicht?

Kusch: Natürlich kostet diese Sorgfalt Geld. Aber die Zusatzkosten liegen laut einer Studie im Auftrag der Kommission der Europäischen Union (EU) bei geschätzt 0,005 Prozent der Gewinne im Falle großer Konzerne. Und bei kleinen und mittelständischen Firmen bei 0,07 Prozent des Gewinns. Außerdem müssen die Unternehmen diese Mehrkosten nicht zwingend auf den Verbraucher abwälzen. Sie können auch eine geringere Marge akzeptieren.

  • E&W: Wird die neue Ampelregierung in Berlin das Lieferkettengesetz nachbessern?

Kusch: Die Initiative Lieferkettengesetz, ein Bündnis aus 125 zivilgesellschaftlichen Organisationen, darunter der Deutsche Gewerkschaftsbund, hofft das. Im Koalitionsvertrag steht auf Seite 34, dass man ein wirksames EU-Lieferkettengesetz unterstützen werde – die Kommission will Anfang 2022 einen Entwurf dafür veröffentlichen. Der Vorschlag des Europaparlaments ist erheblich strenger als das deutsche Pendant. Die Ampelkoalition versichert auch, das Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten unverändert umzusetzen und gegebenenfalls zu verbessern. Ich glaube dennoch nicht, dass das so schnell gehen wird.

  • E&W: Es gibt etliche deutsche Unternehmen, die sich für ein weitreichendes Lieferkettengesetz stark machen und jetzt schon fairere Löhne und Abnehmerpreise zahlen. Warum ist es so wichtig, dass alle Firmen mitmachen?

Kusch: Damit die Vorreiter, die wirklich nachhaltig arbeiten, die Kinderarbeit und Ausbeutung entlang ihrer Produktionskette weitgehend beenden wollen und die dadurch auch Mehrkosten haben, gegenüber rücksichtslosen Billigkonkurrenten endlich keinen Wettbewerbsnachteil mehr haben. Menschenrechte zu verletzen, darf sich nicht mehr lohnen.