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Gemeinnützige Stiftungen

Undemokratische Lückenfüller

Gemeinnützige Stiftungen sind an unterfinanzierten Schulen und Hochschulen oft hochwillkommen. Doch viele verfolgen eigene Interessen, bevorzugen ihre Heimatregion – und kein Gesetz zwingt sie zu Transparenz.

Was unternehmensnahe Stiftungen fördern, verschafft mitunter auch dem Unternehmen Vorteile. (Foto: Colourbox.de)

Wäre das nicht etwas für Ihr Unternehmen? Eine „Kinder-Patenschaft“ zu übernehmen? Kostet 24.000 Euro. Dafür erhalten zehn „armutsbelastete Kinder“ der Klassen 1 bis 7 eine „Lernförderung“. Ein Jahr lang, wöchentlich zweimal 90 Minuten. Im Gegenzug winkt dem Unternehmen positive Public Relation (PR). Es gebe eine „Vielzahl von Möglichkeiten der Bekanntmachung Ihres Engagements“, lockt der Werbeflyer des Vereins Tausche Bildung für Wohnen e. V. (TBFW), der auch von vielen gemeinnützigen Stiftungen – darunter Evonik Stiftung, Deutsche Telekom Stiftung, Ikea Stiftung und Vodafone Stiftung – gefördert wird.

„Keine grundsätzliche Lösung für das Armutsproblem“

Die Stiftungen finden unterstützenswert, dass TBWF jungen Erwachsenen im Ruhrgebiet ein kostenloses WG-Zimmer vermittelt und ihnen 420 Euro monatlich Taschengeld zahlt. Im Gegenzug arbeiten die jungen Leute 40 Stunden pro Woche für die „Lernförderung“. Der GEW-Landesverband Nordrhein-Westfalen (NRW) kritisierte das Projekt bereits 2019. „Ein Tropfen auf den heißen Stein“, urteilte die damalige GEW-Landesvorsitzende Dorothea Schäfer. Was der Verein leiste, sei „keine grundsätzliche Lösung für das Armutsproblem in unserer Gesellschaft“. Die GEW NRW forderte, „dass das Land NRW Schulen an benachteiligten Standorten deutlich besser ausstattet“, vor allem mit zusätzlichen qualifizierten Lehrkräften. Das Problem hat sich seither verschärft. TBFW behauptet jedoch: „Wir gestalten eine bildungsgerechte Zukunft.“ Der Verein eröffnete, unterstützt von seinen Stiftungspartnern, inzwischen Zweigstellen in Witten, Dortmund, Essen und Gelsenkirchen.

Kein Zweifel: Stiftungen tun Gutes. An Schulen sponsern sie das Chemie-Labor, bilden Streitschlichter aus oder vergeben Stipendien für talentierte Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund. An Hochschulen zeichnen sie herausragende Forschungsarbeiten aus, finanzieren Lehrstühle und helfen, marode Gebäude zu sanieren. Die Robert Bosch Stiftung betreibt das „Deutsche Schulportal“, eine der wichtigsten Internet-Plattformen für Pädagoginnen und Pädagogen. Auch politisch setzen sie Akzente. Als im März 2023 der Versuch der Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) krachend scheiterte, mit den Bundesländern gemeinsam Lösungen für die wachsende Schulmisere zu finden, meldeten sich Stiftungen kraftvoll zu Wort. Sie veröffentlichten den Appell „Für einen Nationalen Bildungsgipfel“, dem sich auch DGB, ver.di und GEW anschlossen.

Auch Vorteile für Unternehmen

Doch gibt es reichlich Anlass, Wasser in den Wein zu gießen. Unternehmensnahe Stiftungen nehmen etwa Einfluss im Streit, wie wirtschaftliche Zusammenhänge im Unterricht zu behandeln sind. So engagieren sich die Stiftung Familienunternehmen, die Dieter von Holzbrinck Stiftung und die PricewaterhouseCoopers-Stiftung im „Bündnis Ökonomische Bildung“. Dieses propagiert, ökonomische Bildung an allen weiterführenden Schulen zu verankern – mit einem eigenständigen Fach Wirtschaft. DGB und GEW hingegen warnen seit Jahren davor, den Ökonomie-Unterricht auf unternehmerisches Denken zu verengen. Es gelte, politische, kulturelle und ethische Fragestellungen einzubeziehen.

Weiterer Kritikpunkt: Was unternehmensnahe Stiftungen fördern, verschafft mitunter auch dem Unternehmen Vorteile. Beispiel Dieter Schwarz Stiftung. Stifter ist der Multimilliardär Dieter Schwarz, der Gründer von Lidl und Kaufland. Seine Stiftung begann in den frühen 2000er-Jahren, Heilbronn als Bildungsstandort auszubauen. Sie finanziert unter anderem eine Zweigstelle der TU München, deren Heilbronner Lehrstühle sich mit „Digital Marketing“ oder „Supply Chain Management“ (Lieferketten-Management) befassen. Gefördert wird auch die Heilbronner Außenstelle der Dualen Hochschule Baden-Württemberg – mit BWL-Schwerpunkten wie „Food Management“ und „Handel“.

Deren Forschungsergebnisse sowie die Absolventinnen und Absolventen dürften auch für Lidl und Kaufland interessant sein – die Zentrale der beiden Unternehmen liegt im benachbarten Neckarsulm. Auf E&W-Anfrage erklärt die Stiftung: Die Unternehmensgruppe habe keine Möglichkeit, auf Forschung und Lehre der beiden Hochschulen Einfluss zu nehmen: „Lidl und Kaufland profitieren im gleichen Maße von den Absolvent:innen wie alle anderen Unternehmen in unserer Region.“

Viele Stiftungen verhalten sich intransparent

Kritikwürdig ist zudem: Wenn Stiftungen Sinnvolles fördern, profitiert oft nur die Heimatregion der jeweiligen Stiftung. Andernorts gehen die Bildungseinrichtungen leer aus. Beispiel Claussen-Simon-Stiftung, gegründet von einem ehemaligen Vorstandsmitglied des Hamburger Beiersdorf-Konzerns. Sie fördert vor allem in der Hansestadt. So erhalten Hamburger Schulen für „neuartige Lernformen und Ideen der Unterrichtsgestaltung“ jeweils bis zu 10.000 Euro. Die Vector Stiftung beschränkt ihre Bildungsprojekte auf Baden-Württemberg. Die Possehl-Stiftung ist ausschließlich in Lübeck tätig.

Weiterer Vorwurf: Gemeinnützige Stiftungen sind undemokratisch. Sie zahlen weder Körperschaft- noch Gewerbe- oder Erbschaftsteuer. Doch haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie Bürgerinnen und Bürger keinen Einfluss darauf, was die Stiftung mit ihren Einnahmen macht. Allein Stifter und Stiftungsvorstand entscheiden.

Viele Stiftungen verhalten sich zudem intransparent. Sie sind per Gesetz weder gezwungen, ihr Vermögen offenzulegen, noch müssen sie Einnahmen und Ausgaben publizieren. Wenn Stiftungen dies tun, geschieht das freiwillig. Auskunftspflichtig sind sie allein gegenüber der Stiftungsaufsicht – in NRW sind dafür die Bezirksregierungen zuständig – und dem Finanzamt. Wenig von Transparenz hält etwa die Hamburger Hannelore und Helmut Greve Stiftung für Kultur und Wissenschaften, gegründet vom Immobilien-Unternehmer Helmut Greve. Wer sich über diese Stiftung informieren will, findet nicht einmal eine Webseite. Offenheit sieht anders aus.