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Tagung

Schulsozialarbeit muss Anwalt der Kinderrechte sein

Schulsozialarbeit kann einen wichtigen Beitrag zu einer besseren Schulbiographie leisten. Das zeigte eine Tagung des Kooperationsverbundes Schulsozialarbeit, dem auch die GEW angehört.

Jede Bildungsbiographie ist ein Puzzle, das sich aus vielen Teilen zusammensetzt und das zum Gelingen gute Voraussetzungen benötigt. Das zeigten die Vorträge und Workshops Anfang Dezember auf der Nikolaustagung des Kooperationsverbundes Schulsozialarbeit „Armut in Deutschland. Auftrag und Handlungsfelder der Schulsozialarbeit“.

„Der Status der Eltern ist nach wie vor weitgehend bestimmend für den Bildungserfolg der Kinder.“ (Thomas Pudelko)

Deutschland bleibe, das illustrierten die PISA-Studie und der Bericht des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen UNICEF zur Kinderarmut in Deutschland, sozial ungerecht, betonte Prof.Thomas Pudelko von der Hochschule für Soziale Arbeit und Pädagogik (HSAP) Berlin für die Veranstalter. „Der Status der Eltern ist nach wie vor weitgehend bestimmend für den Bildungserfolg der Kinder.“

Das Nachsehen haben jene, die von klein auf in ihrer gesellschaftlichen Teilhabe, der materiellen Versorgung, Gesundheit und Bildung eingeschränkt werden. Nahezu jeder vierte junge Mensch in Deutschland gilt als arm oder armutsgefährdet. Was das für das Individuum bedeutet, zeigte Irina Volf vom Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik (ISS) Frankfurt am Main bei der Präsentation der Langzeitstudie „Armut im Lebensverlauf“.

Der soziale Aufstieg gelingt selten

Zusammen mit der Arbeiterwohlfahrt (AWO) hat das ISS ab den frühen 1990er Jahren die Biographien von mehr als 800 Kindern aus AWO-Kitas über einen Zeitraum von 22 Jahren wissenschaftlich begleitet – vom Kindergarten bis zum Alter von 25 Jahren. Dabei habe sich, so Volf, gezeigt: Von Armut betroffene Kinder hätten es mit zunehmendem Alter immer schwerer, der Armut zu entkommen. Volf: „23 Prozent haben das auch als junge Erwachsene nicht geschafft.“

Prof. Francis Seeck von der Technischen Hochschule Nürnberg nannte in ihrem Referat – es musste wie die gesamte Tagung aufgrund des Bahnstreiks kurzfristig ins Internet verlegt werden – soziale Herkunft als zentralen Diskriminierungsgrund. Der soziale Aufstieg gelinge eher selten, der Armutskreislauf werde in der Regel nicht durchbrochen. Seeck plädierte dafür, „Klassismus“ als Diskriminierungskategorie anzuerkennen, denn Einkommen und Vermögen (oft in Form von Erbschaften) seien für das individuelle Fortkommen und den Bildungsverlauf entscheidend.

„Die große Selektion passiert in der Schule.“ (Francis Seeck)

Diskriminierung aufgrund von Klassenherkunft spielt Seeck zufolge auch in der Schule eine Rolle. Bildungszertifikate würden immer wichtiger, während Kinder aus Arbeiterfamilien weiterhin diskriminiert würden; sei es beim Übergang auf weiterführende Schulen oder bei einer akademischen Karriere. „Die große Selektion passiert in der Schule.“ Darauf müsse eine klassismuskritische Schulsozialarbeit reagieren. 

Politischen Anspruch nicht aufgeben

Praktische Erfahrungen aus der Schulsozialarbeit steuerten Anke Vollert und Madeleine Opitz von der AWO Halle-Merseburg bei. „Klassismus als soziales Ungleichverhältnis“ thematisierten Silke Starke-Uekermann und Michael Scholl von der Katholischen Jugendsozialarbeit. Praktische Konsequenzen daraus zu ziehen, sei nicht einfach: Schule sei sehr hierarchisch strukturiert. Da fehle vielen der Mut, bei Problemen Stellung zu beziehen. Das betreffe besonders jene, die direkt von der Hochschule an die Schulen kämen, dort alleine gelassen würden und direkt der Schulleitung unterstellt seien.

Schulsozialarbeit dürfe den politischen Anspruch der sozialen Arbeit nicht aufgeben. Darin waren sich alle Diskutanten weitgehend einig. Sie müsse ihr anwaltschaftliches Engagement immer wieder zum Thema machen. Dreh- und Angelpunkt seien die Kinderrechte. Diese könne die Schulsozialarbeit mittels Empowerment-Angeboten stärken. Das sei ein systemisches Problem, weil Armut und die Angst vor dem sozialen Abstieg essentiell notwendig seien, um das System am Laufen zu halten. Angesichts der Erfolge der AfD, „einer extrem klassistischen Partei“, forderte der Soziologe und Publizist Andreas Kemper „die Politisierung der Schulsozialarbeit“. Das sei notwendig und reiner Selbstschutz.