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Demokratiebildung

Politische Bildung kommt zu kurz

Politische Bildung ist zum einen fächerübergreifend, zum anderen als Kernfach in der Schule verankert. Zu meinen, damit sei dem demokratischen Auftrag von Schule Genüge getan oder gar beides gegeneinander auszuspielen, ist fahrlässig.

Politische Bildung in und außerhalb der Schule ist für das Funktionieren der Demokratie unerlässlich. (Foto: IMAGO/Fotostand)

Die aktuelle curriculare Verankerung von Fächern der politischen Bildung ist besorgniserregend. Politische Bildung wird in keinem Bundesland durchgängig von der Sekundarstufe I über die Sekundarstufe II und nur in geringem Stundenumfang unterrichtet (Gökbudak et al. 2022). Im schulischen Unterricht kommt politische Bildung also zu kurz. Besonderes erschütternd ist, dass der Zugang zu politischer Bildung ungleich verteilt ist. Es kommt nicht nur darauf an, in welchem Bundesland gelernt wird, sondern auch in welcher Schulform. Achour und Wagner (2019) zeigen, dass aufgrund der Qualität und Verteilung der Angebote schulischer politischer Bildung soziale Ungleichheiten reproduziert werden. Neben der Unterrichtszeit bedarf es politikdidaktisch gut ausgebildeter Lehrkräfte, die das Fach qualitativ ansprechend und lerngruppengerecht unterrichten. Ein weiterer Punkt, an dem Verbesserung notwendig wäre.

Angesichts aktueller demokratischer und gesellschaftlicher Herausforderungen sollte nun angenommen werden, dass vermehrt in politische Bildung investiert würde. Befürchtet werden muss das Gegenteil, wie es sich zum Beispiel in Bezug auf außerschulische politische Bildung derzeit an der Planung für den Bundeshaushalt 2024 zeigt: So sollen etwa die Mittel der Bundeszentrale für politische Bildung gekürzt werden. Auch steht mit Thüringen derzeit ein Bundesland in der Kritik, weil es anstrebt, den curricularen Umfang des Schulfaches zu verringern.

Curriculares Kernfach nötig

Politische Bildung kommt in Schulen im mehrfachen Sinn zu kurz. Themen mit aktueller gesellschaftlicher Relevanz werden gern vornehmlich den Fächern der politischen Bildung zugeordnet. Hier vermutet man die Zuständigkeit, Expertise und vermeintliche zeitliche Ressourcen. Obwohl das Hervorbringen einer demokratischen Gesellschaft Kernanliegen schulischer Bildung ist, fühlen sich für Fragen der Gesellschaft, Politik und Demokratie nicht unbedingt alle Lehrkräfte in ihren Fächern zuständig. Angesichts dichter Curricula und selten im allgemeinen Lehramtsstudium integrierter Hochschulangebote für Demokratiebildung bzw. politischer Bildung ist diese Position allerdings wenig verwunderlich.

Die Idee demokratischer Schulkultur lebt sicherlich auch außerhalb des Unterrichts; etwa in Gremien wie der Schülerinnen- und Schülervertretung, dem Klassenrat oder der Elternvertretung. Aber trotz dieser wichtigen Mitbestimmungsgremien können Schulen aufgrund ihrer Konstitution – bei realistischer Betrachtung – keine „kleinen Demokratien“ sein oder werden. Als funktionaler Teil unserer demokratischen Gesellschaft folgen sie einer behördlichen Logik. Deshalb bedarf es selbst neben einem idealtypischen demokratischen Miteinander, einem Zuwachs an Selbstverwaltung und verschiedenen Formen demokratischen Lernens in Schule eines curricularen Kernfaches, in dem politische Bildung klar verortet ist. Nur so wird der Auseinandersetzung mit Politik verlässlich und explizit Raum und Zeit gegeben.

Wer politisch interessiert ist, eignet sich eher politisches Wissen an, wer mehr politisches Wissen hat und politisch interessiert ist, nimmt eher an Wahlen teil.

Und dies nicht, weil nur in solch einem Fach erklärt werden kann, wie Politik funktioniert. Wohl aber deshalb, weil zwischen politischem Wissen und politischem Interesse eine die politische Partizipation bedingende Wechselwirkung besteht, auf die politikdidaktisch informierter Unterricht positiv einwirken kann. Wer politisch interessiert ist, eignet sich eher politisches Wissen an (vice versa), wer mehr politisches Wissen hat und politisch interessiert ist, nimmt eher an Wahlen teil (Westle 2005, 509).

Es genügt jedoch nicht, politisches Wissen einfach nur zur Verfügung zu stellen. Lernenden muss ein Zugang zum Politischen und darüber hinaus die Fähigkeit zu einer kritisch-konstruktiven Auseinandersetzung mit Politik ermöglicht werden. Lernende müssen sich mit politischen Vorstellungen anderer, Gesellschaft und Politik ins Verhältnis setzen, sich selbst als politisches Subjekt erkennen, politisch mündig werden. Hierzu gehört auch, Kritik zu üben und über den demokratischen Gehalt und die Verhältnismäßigkeit der eigenen Kritik nachzudenken, Utopien zu entwickeln, was demokratisch leistbar ist und antidemokratische Dystopien als solche zu entlarven.

Erprobte Instrumente

Mit politikdidaktischen Prinzipien, politikdidaktischen Zugängen und spezifischen Methoden besitzt politische Bildung erprobte Instrumente, die den Erwerb dafür notwendiger Fähigkeiten nachhaltig unterstützen. Eine im Politikunterricht entwickelte sozialwissenschaftliche Analyse-, Urteils- und Handlungsfähigkeit schafft dabei nicht nur die Voraussetzung, sich selbstwirksam mit komplexen politischen Fragen auseinanderzusetzen. Diese Fähigkeit befördert zudem ein reflektiertes Nachdenken über gesellschaftliche Verhältnisse im Allgemeinen. Damit wird Politikunterricht fundamental bedeutsam für andere fächerübergreifende Themen wie Medien- und Sprachbildung, Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) oder Europabildung.

Mit guter politischer Bildung gelingt es, dass sich Menschen weniger ohnmächtig gegenüber politischen Problemen und komplexen gesellschaftlichen Fragen fühlen.

Im Rahmen politischer Bildung lassen sich System- und Machtstrukturen als Teilaspekt fächerübergreifender Themen problematisieren und sinngebende soziale Fragen koppeln: Warum ist ein reflektierter Umgang mit Medien wichtig? Warum ist Sprache bedeutsam für gesellschaftliche Teilhabe? Warum steckt hinter Nachhaltigkeit mehr als individueller Konsumverzicht und so weiter. Mit guter politischer Bildung gelingt es, dass sich Menschen weniger ohnmächtig gegenüber politischen Problemen und komplexen gesellschaftlichen Fragen fühlen, weil sie Basiswissen und Fähigkeiten erwerben, um Strukturen zu erkennen und zu verstehen. Politische Bildung kann damit Lernende wie auch die Demokratie stärken – ohne zu indoktrinieren. 

S. Achour, S. Wagner: Wer hat, dem wird gegeben. Politische Bildung an Schulen. Bestandsaufnahme, Rückschlüsse und Handlungsempfehlungen. Berlin 2019. M. Gökbudak, R. Hedtke, U. Hagedorn: 5. Ranking Politische Bildung. Politische Bildung im Bundesländervergleich. Bielefeld, 2022. B. Westle: Politisches Wissen und Wahlen. In: J. W. Falter, O. W. Gabriel, B. Weßels: Wahlen und Wähler. Wiesbaden, 2005.