Sozialarbeit
„Ohne Vertrauen können wir nicht arbeiten“
Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter demonstrierten in Berlin für ein Recht auf Zeugnisverweigerung. Anlass waren Strafbefehle gegen Mitarbeitende eines Fußballfanprojekts.
Matthias Stein leitet das Fanprojekt Jena, und wer seine Visitenkarte bekommt, findet auf der Rückseite einen Text: Sieben Paragrafen aus Sozial- und Strafgesetzgebung sind dort aufgelistet, sodass er und seine Kolleginnen und Kollegen jederzeit ihre Geschäftsgrundlage vorzeigen können. Von Besonderem Vertrauensschutz ist dort die Rede, und von Verletzung von Privatgeheimnissen.
Eine Regelung steht dort nicht, weswegen sich der Jenaer Fanprojektleiter an diesem Märztag auf dem Berliner Hausvogteiplatz zu Wort meldet: Paragraf 53 der Strafprozessordnung listet auf, welche Berufsgruppen „zur Verweigerung des Zeugnisses“ berechtigt sind. Ärzte und Psychotherapeuten, Geistliche, Anwälte, Medienschaffende, Bundestagsabgeordnete und einige mehr. Sozialarbeiterinnen und -arbeiter sind – mit Ausnahme von Beschäftigten in der Drogenhilfe und der Schwangerschaftsberatung – keine Berufsgeheimnisträger.
Strafbefehle und Androhung von Beugehaft
Was das bedeutet, erleben derzeit drei Mitarbeitende des Karlsruher Fanprojekts: Sie verweigern die Aussage zu einem Spiel des Karlsruher SC gegen FC St. Pauli, bei dem Fans Pyrotechnik gezündet und elf Menschen verletzt hatten. Unter Vermittlung von zwei Sozialarbeitern und einer Sozialarbeiterin kam es zu einem Ausgleichsgespräch zwischen Geschädigten und Fanszene und der Fall konnte so außergerichtlich beigelegt werden. Die Staatsanwaltschaft ermittelte jedoch eigenständig wegen der „Freisetzung von Giftstoffen“, warf den Dreien Strafvereitelung vor und schickte ihnen vor Kurzem Strafbefehle mit 120 Tagessätzen à 60 Euro ins Haus. Matthias Stein hält seine Rede kurz und knackig: „Die Strafbefehle müssen den Letzten aufgeweckt haben. Herr Buschmann, schaffen Sie ein echtes Zeugnisverweigerungsrecht. Ein kleiner Schritt für einen Justizminister ist ein großer für die Soziale Arbeit.“
Aufgerufen zu der Demonstration hat ein breites „Bündnis für ein Zeugnisverweigerungsrecht in der Sozialen Arbeit“, in dem auch die GEW und ver.di Mitglied sind. Juri Schaffranek, seit 1988 für den Träger Gangway e.V. auf Berlins Straßen unterwegs, berichtet, dass die derzeitige Rechtslage auch andere trifft: Streetworker würden ebenfalls immer wieder dazu aufgefordert, als Zeugen auszusagen. Das bringe nicht nur die Beziehungsarbeit in Gefahr: „In der Zusammenarbeit mit gewaltaffinen und klandestinen Gruppen ist es regelrecht gefährlich.“ Auch der Deutsche Bundesverband für Soziale Arbeit (DBSH) ist vor Ort, für den Alexandra Anastasio für den gesamten Berufsstand fragt: „Wie sollen wir dem Auftrag von Gesellschaft und Politik gerecht werden, wenn wir mit einem Bein in Haft sind?“
„Vertrauen, Respekt, Anerkennung – ohne können wir nicht arbeiten.“ (Thomas Jelinski)
Viele der rund 50 Demonstrierenden stammen aus der Fußball-Szene. Sogar ein paar Fans haben die Vertreter von Fanprojekten motiviert, die sich teils seit Jahrzehnten in der Szene umtun. „Und das durchaus deeskalierend“, erklärt Thomas Jelinski, seit 1994 pädagogischer Mitarbeiter des Fanprojekts Berlin. „Vertrauen, Respekt, Anerkennung – ohne können wir nicht arbeiten“, sagt er, und verweist darauf, dass es auch neue Sozialarbeiterinnen und -arbeiter gibt, die sich all das erst mal verdienen müssen: „Wenn nur der leiseste Verdacht aufkommt, sie könnten mit der Polizei kooperieren, wird das nie was. Von unseren Fans spricht niemand mit der Polizei.“ Auch wenn ihm in Berlin ein Fall wie der Karlsruher in 30 Jahren nicht untergekommen ist, sitzt, wenn er mit den Fans von Hertha BSC oder dem BFC Dynamo zum Auswärtsspiel fährt, immer das Bewusstsein mit im Bus: „Mir ist schon klar, dass ich an jeder Raststätte auf einer Kamera landen kann.“
„Wir fordern Bundesjustizminister Buschmann auf, die Strafprozessordnung anzupassen. Nur so kann die Soziale Arbeit ihren grundlegenden Auftrag erfüllen!“ (Doreen Siebernik)
Die zunehmende Überwachung ist indes nicht der Hauptgrund, dass alle hier ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) von 1972 für überholt halten, das Sozialarbeit aus dem Zeugnisverweigerungsrecht ausnimmt. Sie argumentieren vor allem mit veränderten Zeiten gegenüber jener, als Sozialarbeit vom BVerfG noch als „Fürsorgearbeit“ tituliert wurde. Dass das einem „modernen Professionsverständnis“ nicht mehr entspricht, attestiert auch Peter Schruth, Professor für Recht in der Sozialen Arbeit – bei der Demo ebenfalls vor Ort – in einem Gutachten.
Auch ein Schritt in das Bundesjustizministerium, dem Amtssitz von Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP), wurde im Rahmen der Demonstration gemacht: Alessandro Novellino, Referent für Jugendhilfe, Sozialarbeit und Ganztag an Grundschulen im GEW-Hauptvorstand, übergab im Foyer ein Plakat mit den Forderungen an einen Mitarbeiter. Doreen Siebernik, GEW-Vorstandsmitglied für Jugendhilfe und Sozialarbeit erklärte anlässlich der Demonstration: „Wer seine Arbeit gewissenhaft macht, wird potenziell bestraft. Wir fordern Bundesjustizminister Buschmann auf, die Strafprozessordnung anzupassen. Nur so kann die Soziale Arbeit ihren grundlegenden Auftrag erfüllen!“