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Mangel an Lehrkräften

Ochsentour mit ungewissem Ausgang

Trotz dramatischen Lehrkräftemangels tut sich Sachsen nach wie vor schwer, migrierte Lehrkräfte, die nicht aus Staaten der Europäischen Union (EU) kommen, anzuerkennen. Dabei hat in der Landespolitik schon ein Umdenken stattgefunden.

Oberschule Ohlendorf (Foto: Eckhard Stengel)

Schon vor dem russischen Angriff auf die Ukraine kamen seit 2015 rund 3.500 Lehrerinnen und Lehrer aus dem Ausland nach Sachsen – mit teils jahrzehntelanger Berufserfahrung. Doch noch heute arbeitet trotz des dramatischen Lehrkräftemangels nur ein verschwindend geringer Teil von ihnen in einer sächsischen Schule. Ein Missstand, der Gründe hat, weiß Juri Haas von der Fachgruppe Grundschulen der sächsischen GEW: „Das Anerkennungsverfahren war nicht nur in der Wahrnehmung der Antragsteller de facto lange ein Aberkennungsverfahren. Wir konnten uns des Eindrucks nicht erwehren, dass vor allem Kriterien gesucht wurden, anhand derer man die Bewerberinnen und Bewerber scheitern lassen konnte.“

Wer sucht, der findet: Schon im Antragsverfahren werden Sprachkenntnisse auf C2-Niveau verlangt. Doch die größere Hürde ist die Anerkennung der internationalen Abschlüsse. So studieren die angehenden Lehrerinnen und Lehrer in den meisten Ländern Europas neben Pädagogik nur ein Unterrichtsfach; in Deutschland sind zwei Fächer die Voraussetzung, um eine vollständige Ausbildung zur Lehrkraft zu erwerben. Abschlüsse von Bewerberinnen und Bewerbern aus EU-Staaten werden mittlerweile in Deutschland auch dann anerkannt, wenn sie nur ein Unterrichtsfach studiert haben.

Kandidatinnen und Kandidaten aus Nicht-EU-Staaten wird das zum Verhängnis, obwohl sie häufig ein Fach unterrichten könnten, das in Sachsen dringend benötigt würde. Dass sie das zweite Fach auch berufsbegleitend studieren können, geht aus den offiziellen Dokumenten nicht hervor. Eine Praxis, die angesichts des Lehrkräftemangels geändert werden muss, findet die GEW, die sich in ihrem Programm „15 Punkte gegen den Lehrkräftemangel“ deshalb unter anderem dafür einsetzt, dass ausländische Abschlüsse leichter anerkannt werden.

„Die Kriterien sind jedenfalls nicht danach ausgerichtet, diese Pädagoginnen und Pädagogen als vollwertige Kolleginnen und Kollegen anzuerkennen.“ (Lisa Gulich)

Lisa Gulich beschäftigt sich seit langem mit dem Schicksal geflüchteter Lehrerinnen und Lehrer in Sachsen – derzeit im Rahmen eines von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Promotionsprojektes an der Universität Frankfurt am Main. Viele hätten vierstellige Beträge für die Übersetzung von Abschlüssen und anderen Unterlagen bezahlt, erzählt die Pädagogin. Dennoch sei ein Lehrer aus der Türkei auch deshalb abgewiesen worden, weil in einem Dokument aus dem „Referendariat“ eine „Kandidatur“ wurde – ein Fehler des Dolmetschers, der, so Gulich, problemlos hätte richtiggestellt werden können – wenn man denn gewollte hätte.

Überhaupt hat Gulich eine „Defizitorientierung“ im Anerkennungsprozess festgestellt: „Die Kriterien sind jedenfalls nicht danach ausgerichtet, diese Pädagoginnen und Pädagogen als vollwertige Kolleginnen und Kollegen anzuerkennen.“ Eigentlich sollen die Anträge, wenn alle Dokumente vorliegen, innerhalb von drei Monaten vom sächsischen Landesamt für Schule und Bildung bearbeitet werden. Doch die Verfahren dauern durchschnittlich 16 Monate.

Restriktive Praxis auf den Ämtern

Dabei ist es dank der GEW in Sachsen seit 2019 möglich, auch Menschen mit einem Auslandsabschluss in nur einem Fach einzustellen – und das sogar mit Vorrang vor berufsfremden Seiteneinsteigerinnen und -einsteigern. Dennoch passierte das bis vor kurzem so gut wie nie. Das hat sich mittlerweile geändert. Zum einen, weil es kaum noch Seiteneinsteigerinnen und -einsteiger gibt. Und zum anderen, weil man bei den ukrainischen Lehrkräften seit Beginn des Krieges nicht annähernd so streng bei der Begutachtung ihrer Qualifizierung war.

Doch der Bewusstseinswandel in der Politik droht zu verpuffen, wenn er in den Behörden und Gerichten nicht ankommt. Die sächsische Besonderheit scheint allerdings eher die restriktive Praxis auf den Ämtern zu sein. Bayern beispielsweise erkennt überhaupt keine ausländischen Abschlüsse an.

Ich glaube, da arbeiten vor allem Leute, die es nicht gewohnt sind, dass jetzt so viele Ausländerinnen und Ausländer kommen.“ (Yuliya Schmidt)

Auch Yuliya Schmidt, die kürzlich mit einer Delegation im sächsischen Kultusministerium war, hat den Eindruck, man sei dort „erschrocken“ über die Schilderungen der Betroffenen gewesen. „Ich glaube, da arbeiten vor allem Leute, die es nicht gewohnt sind, dass jetzt so viele Ausländerinnen und Ausländer kommen.“ Schmidt weiß, wovon sie spricht. Seit 2018 versucht die gebürtige Belarussin, Lehrerin in Sachsen zu werden. 17 lange Monate dauerte es, bis ihr erstes Fach, Russisch, anerkannt wurde; weder Deutsch als Zweit- noch als Fremdsprache (das Studium schloss sie in Dresden mit dem Master ab) wurden akzeptiert.

Dabei hat sie in Belarus Deutsch, Literatur und Russisch an der Uni und in der Schule unterrichtet. Schmidt strengte ein Widerspruchsverfahren an. Seit Juli 2021 wartet sie ungeduldig auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichts: „Ich war 34 Jahre alt, als ich den Antrag gestellt habe, in Deutschland unterrichten zu dürfen. Jetzt werde ich bald 39.“