Malawi
Nicht verloren
In Malawi arbeitet fast die Hälfte aller Fünf- bis 14-Jährigen auf Feldern, in der Fischerei oder in fremden Haushalten, statt in der Schule zu lernen. Ein fair-childhood-Projekt zeigt, wie Kinder und Jugendliche in den Unterricht zurückfinden.
Manchmal passen schlechte und gute Nachrichten in einen einzigen Artikelabsatz. So auch wenn es darum geht, wie viele Mädchen und Jungen in Malawi, einem der ärmsten Länder auf dem afrikanischen Kontinent, eine Schule besuchen: Sechs von zehn Kinder beenden die Grundschule nicht, sind also sogenannte Dropouts, hat die deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) im Jahr 2019 errechnet – also noch vor der Corona-Pandemie, als auch in Malawi sämtliche Schulen für Monate ihre Türen schlossen. Nach dem Lockdown würden noch mehr Kinder dem Unterricht fernbleiben, stellte die UNESCO fest.
Doch es geht auch anders, etwa in der ländlichen Region rund um die Stadt Dowa im Westen des gebirgigen und trockenen Landes. Dort haben es engagierte Lehrkräfte der beiden malawischen Gewerkschaften Teachers‘ Union of Malawi (TUM) und Private Schools Employees Union of Malawi (PSEUM) zwischen Sommer 2021 und Sommer 2022 geschafft, 1.071 der rund 1.600 Kinderarbeiter zurück an die Schulen zu bringen. Unterstützt wurden die Lehrkräfte von der Bildungsinternationale (BI) und der GEW-Stiftung fair childhood.
Die Lehrerinnen und Lehrer gingen in alle Dörfer, von Haus zu Haus. Sie sprachen mit Eltern und den lokalen Chiefs, den Ortsvorstehern und Dorfältesten, über Kinderrechte, das Recht auf Bildung und die Verantwortung der Eltern, Familien, der ganzen Gesellschaft. Sie boten Nachhilfeunterricht für die ehemaligen Kinderarbeiter an, damit diese den versäumten Stoff nacharbeiten und aufholen konnten. Sie stellten mit den Chiefs Regeln und Deadlines auf: Eltern, die ihr Kind nicht bis zu einem bestimmten Tag in die Schule schicken, müssen nun in manchen Dörfern eine Strafe von umgerechnet drei bis zehn Euro an die Gemeinschaft zahlen.
„Dieser Mangel an höheren Schulen nimmt vielen Schülerinnen und Schülern die Motivation, einen Abschluss zu machen.“ (Samuel Grumiau)
In anderen werden sie von Dorfprogrammen ausgeschlossen, etwa der Vergabe von Gemeindekrediten oder dem gemeinsamen Kauf von Dünger. Vor allem aber gelang es den Lehrerinnen und Lehrern der beiden Gewerkschaften, Väter, Mütter und Großeltern dafür zu sensibilisieren, dass Bildung für die Kinder der einzige Weg aus der Armut ist. Gerade einmal umgerechnet 500 Euro im Jahr beträgt der Durchschnittsverdienst in dem 21 Millionen Einwohner zählenden Land.
Von der kinderarbeitsfreien Zone rund um Dowa profitieren rund 11.300 Kinder im Schulalter; sie umfasst 15 Schulen. Heute besuchen in vier von fünf Schulen dieser Zone fast alle schulpflichtigen Jungen und Mädchen den Unterricht. Es sei jedoch nicht immer leicht, die Eltern zu überzeugen, ihre Kinder zur Schule zu schicken, sagt Samuel Grumiau von der BI, der das Projekt im November des vergangenen Jahres evaluiert hat. Viele Väter und Mütter sehen keinen Sinn darin, dass ihr Kind die Primary School – diese geht in Malawi bis zur 8. Klasse – beendet.
Denn weiterführende Schulen sind rar im Land. „Dieser Mangel an höheren Schulen nimmt vielen Schülerinnen und Schülern die Motivation, einen Abschluss zu machen“, sagt Grumiau. Obwohl sie einen solchen vorweisen konnten, bekamen 2022 nur 40 Prozent aller Schulabgängerinnen und -abgänger einen Platz in einer Secondary School. Auf eine private Schule zu wechseln, können sich die wenigsten leisten. Und so suchen viele Minderjährige, die durch dieses Raster fallen, einen Job auf den Feldern, in der Fischerei, als Hausangestellte. Grumiau: „Fehlende Schulen und Kinderarbeit – das hängt auf jeden Fall zusammen.“