
Rudolf Hickel: Ich finde es völlig richtig, dass der „Soli“ zum großen Teil abgeschafft wurde, denn er war ja nur zur Finanzierung der Ost-West-Angleichung gedacht. Die dahintersteckende Idee, nämlich die Reichen bei Sonderaufgaben wie jetzt in der Corona-Krise stärker heranzuziehen, sollte aber wieder aufgegriffen werden – und zwar in Form einer Vermögensabgabe.
Hickel: Die Spitzenverdiener sollten für die durch Corona entstandenen Staatsschulden zur Kasse gebeten werden. Ich wäre für einen großzügigen Freibetrag von bis zu zwei Millionen Euro bei Privatpersonen und fünf Millionen bei Betriebsvermögen. Oberhalb dieser Grenzen müsste 1 Prozent des Vermögens als Abgabe bezahlt werden. Dieser Satz könnte bei höheren Vermögen auch bis auf 30 Prozent steigen. Bei einer Laufzeit von 20 Jahren brächte das etwa 310 Milliarden Euro. Bund, Länder und Kommunen könnten ihre Corona-bedingten Schulden in einen Fonds einbringen, der durch die Vermögensabgabe abfinanziert würde. So könnten die öffentlichen Haushalte von der Tilgung entlastet werden, der Spielraum auch für Bildungsinvestitionen würde größer und die Unterfinanzierung des Bildungssystems ließe sich abbauen. Später sollte man die zeitlich befristete Abgabe in eine Vermögenssteuer umbauen.
Hickel: Beides auf einmal ist politisch nicht machbar. Es gibt ein historisches Vorbild für eine solche Abgabe: Um die Folgekosten des Zweiten Weltkriegs zu finanzieren, wurde 1952 ein Lastenausgleich eingeführt.
Hickel: Bei der Einkommensteuer sollte der Spitzensteuersatz erhöht werden. Die derzeit geltenden 42 Prozent (beziehungsweise 45 Prozent bei besonders Reichen) sind zu niedrig. Man sollte den Satz nach und nach auf 53 Prozent erhöhen, wie zu CDU-Kanzler Helmut Kohls Zeiten. Außerdem sollten Kapitalerträge wieder voll als Einkommen versteuert werden und nicht nur wie derzeit mit 25 Prozent Abgeltungssteuer. Und als Schmankerl obendrauf könnte die lang diskutierte Finanztransaktionssteuer auf Börsengeschäfte eingeführt werden.
Hickel: Nein, denn sie belastet überproportional Menschen mit geringerem Einkommen. Aber dass der reduzierte Satz von 7 Prozent zum Beispiel für Blumensträuße oder bestimmte Luxusgüter wie Trüffel gilt, während etwa Windeln oder Schulhefte mit den vollen 19 Prozent besteuert werden – das müsste dringend überarbeitet werden.
Hickel: Die Schuldenbremse ist eine Katastrophe und eine Todsünde, denn sie verhindert, dass gesellschaftlich wichtige, nachhaltige Investitionen auch über Kredite finanziert werden. Sie hat den Staat gezwungen, in wichtigen Infrastrukturbereichen zu kürzen. Das sieht man ja an den Schulen, wo teilweise nicht mal mehr Reparaturen finanziert werden, geschweige denn neue Gebäude. Bei den Kommunen gibt es – durch den Druck der Null-Verschuldung bei den Ländern – einen Investitionsstau in Höhe von 44 Milliarden Euro allein bei den Schulen. Der lässt sich nur durch neue Kredite abbauen. Die Schuldenbremse ist zu einer Investitions-, ja: Zukunftsbremse geworden. Kein Unternehmen käme auf die Idee, auf Kredite für seine später rentierlichen Investitionen zu verzichten.
Hickel: Absolut richtig! Dass Staatsschulden künftige Generationen zu sehr belasten würden, ist ein dummes Argument. Wir belasten künftige Generationen eher durch mangelnde Zukunftsinvestitionen. Wenn wir heute investieren, dann profitieren davon auch die späteren Generationen. Deshalb können sie sich auch an der Refinanzierung beteiligen. Wenn wir Zukunftsinvestitionen allein aus laufenden Steuereinnahmen zahlen, dann finanziert die aktuelle Generation Investitionen, die erst für künftige Generationen wirksam werden. Das ist erst recht nicht generationengerecht.
Hickel: Was die unmittelbaren Corona-Kosten betrifft, hat die Politik überraschend problembewusst reagiert, indem sie alles Notwendige über Kredite finanziert hat. Auch das unsinnige Kooperationsverbot für Bund und Länder bei den Bildungsausgaben wurde inzwischen enttabuisiert, wie man am Digitalpakt für die Schulen sehen kann. Es wäre eine absolute Katastrophe, wenn die Corona-Schulden später durch Einsparungen getilgt werden müssten, denn die träfen auch das Bildungssystem.
Hickel: Ja, das ist ein Dreigestirn. Natürlich brauchen wir auch eine Ausgaben- und Aufgabenkontrolle. Dazu gehört zum Beispiel, alle ökologisch belastenden Subventionen abzubauen, aber auch bei der Rüstung zu kürzen oder verschwenderischen Ausgaben für Unternehmensansiedlungen. Aber zweitens brauchen wir eben auch eine Erhöhung der Einnahmen, indem die Vermögenden mehr herangezogen werden und Steuerhinterziehung besser bekämpft wird. Und drittens die höhere Staatsverschuldung. Die Schuldenbremse muss weg!
Hickel: Eine Voraussetzung dafür wäre die Entlastung von den Corona-Schulden durch die Vermögensabgabe. Bei der Haushaltsaufstellung müssten dann klare Prioritäten für die Bildung gesetzt werden. In einem mittelfristigen Investitionsprogramm könnte für einen Zeitraum von mindestens vier Jahren festgelegt werden, dass der 44-Milliarden-Rückstau abgebaut wird und zusätzlich 20 Milliarden für Strukturverbesserungen fließen. Ein Sonderfonds nur für Bildung ist nicht zu empfehlen. Die Bildungsausgaben müssen dauerhaft im normalen Haushalt untergebracht werden.
Hickel: Das ist der Kampf um die Prioritäten. Denkbar wäre ein bundesweiter Bildungsfinanzierungsplan. Darin könnte fixiert werden, wie hoch der Bedarf ist und wie sich die Finanzierung über mehrere Jahre auf Bund, Länder und Kommunen verteilen sollte. In einer Finanzierungsvereinbarung könnte festgelegt werden, dass diese Beträge dann tatsächlich bei den Haushaltsberatungen berücksichtigt werden.
Hickel: Das eine schließt das andere nicht aus. Aber Technik allein reicht als Lösung nicht. Die Lehre aus Corona ist ja unglaublich brutal. Plötzlich merken wir, wie wichtig Hygiene ist und wie dringend Toiletten repariert werden müssen. Und plötzlich fällt auf, dass sich viele Fenster nicht richtig öffnen lassen. Das ist unglaublich. Um jetzt zu handeln, bedarf es wohl des Schocks dieser Krise.