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Tarifrunde TV-L 2021

„Der Job ist zu schlecht bezahlt“

In der Tarifrunde wird über Gehaltserhöhungen für die rund zwei Millionen Beschäftigten des öffentlichen Dienstes der Länder verhandelt. Alle haben Gründe, warum sie ein Lohnplus fordern. Vier Kolleginnen und Kollegen erzählen aus ihrem Berufsalltag.

Michael Hoyer ist Lehrer für Deutsch und Englisch am Chemnitzer Schulmodell, einer 1990 gegründeten Ganztagsschule für Grund- und Oberschüler. Lehrkräfte werden an der staatlichen Gemeinschaftsschule mit 500 Schülerinnen und Schülern vor allem als pädagogische Begleiter gesehen, Noten erst ab Klasse 8 vergeben. Der 34-Jährige, der seit sieben Jahren zum Team gehört, unterrichtet die 5. bis 10. Klassen mit Leidenschaft und engagiert sich im Lehrerbezirkspersonalrat. Doch seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie erfüllt der Familienvater noch einen Drittjob: als Administrator und Betreuer für den Online-Unterricht. Über die GEW hat er erst Schulungen für sich selbst absolviert, danach viele Kolleginnen und Kollegen weitergebildet. „Jetzt weiß ich, wie es funktioniert – aber es braucht viel Eigeninitiative, um so weit zu kommen“, sagt Hoyer.

Nach anderthalb Jahren mit der Doppelbelastung von Online- und Präsenzunterricht, Extraaufgaben, Online-Elternabenden und Motivationstiefs im Homeschooling, nach dem Ausstaffieren seines Arbeitszimmers mit Webcam, Mikro und Vorhängen und nach den Administrationskursen findet er, ist es Zeit für eine Geste des Arbeitgebers, des Freistaats Sachsen. „Ein finanzieller Ausgleich für diese Arbeit wäre ein wichtiges Signal: ein Zeichen des Dankeschöns und der Anerkennung“, sagt -Hoyer. Mit einem Gehaltsplus schaffe man auch eine zusätzliche Motivation, um Nachwuchskräfte nach dem Referendariat für den Schuldienst in Sachsen zu gewinnen. „In einigen Mangelregionen sowie im Oberschul- und Förderbereich ist die Lage noch immer katastrophal, teilweise kann kaum der Grundbereich abgedeckt werden“, erzählt er. „Die Politik muss endlich gegensteuern.“

„In gut eineinhalb Jahren Corona-Krise haben die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes gezeigt, dass sie und ihre qualifizierte Arbeit unverzichtbar sind.“ (Maike Finnern)

Hoyer ist einer von rund zwei Millionen Beschäftigten im öffentlichen Dienst der Länder, die auf ein spürbares Lohnplus in den Tarifverhandlungen in diesem Herbst setzen. Die GEW fordert mit anderen Gewerkschaften 5 Prozent mehr Gehalt, mindestens aber 150 Euro. Laufzeit des Tarifvertrags: ein Jahr. Die erste Verhandlungsrunde startete am 8. Oktober in Berlin (nach Drucklegung der E&W), weitere Runden sind für November geplant „In gut eineinhalb Jahren Corona-Krise haben die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes gezeigt, dass sie und ihre qualifizierte Arbeit unverzichtbar sind“, sagt die GEW-Vorsitzende Maike Finnern. „Ihre Leistungen sollen sich auch in Euro und Cent niederschlagen.“

Gehaltsabstand verringern

Dieser Ansicht ist auch Katharina Voge. Sie hat aber noch ein anderes Problem. Sie ist Ergotherapeutin an einer Schule in Nienburg an der Weser und kümmert sich um die Gesundheit vieler Schülerinnen und Schüler – aber sie findet sich am unteren Ende der Gehaltsgruppen des Bildungsbereichs wieder. „Unsere Profession ist deutlich von anderen abgekoppelt“, sagt Voge. „Wir gehören in Niedersachsen nicht zur S-Tabelle für den Sozial- und Erziehungsdienst der Länder und werden auch von dynamischen Zulagen abgekoppelt. Unser Job ist einfach zu schlecht bezahlt.“ Je nach Erfahrungsstufe könnten die Unterschiede zu den pädagogischen Fachkräften bis zu 500 Euro brutto im Monat ausmachen, sagt sie. Bei ihr selbst seien es mindestens 400 Euro brutto.

Dabei blickt die 46-Jährige auf viele Jahre Berufserfahrung zurück: Nach dem Berufseinstieg in einer Ergotherapie-Praxis arbeitet sie seit bald 20 Jahren im Förderschulbereich mit dem Schwerpunkt geistige Entwicklung, seit 2020 an der Alpheide-Grundschule mit Förderschulzweig Körperliche und Motorische Entwicklung. Zudem kümmert sie sich seit fünf Jahren als Schulbezirkspersonalrätin um viele Kolleginnen und Kollegen. „Die vollständige Entgrenzung der Arbeitszeit und Dauerüberforderung, besonders seit der Pandemie, belasten die Kollegien massiv“, sagt sie.

„Der Frust, dass unsere Arbeit nicht honoriert wird, ist riesengroß.“ (Katharina Voge)

Als Ergotherapeutin habe sie sich trotzdem für den Job an der Schule entschieden. „An einer Schule kann ich die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen ganzheitlicher begleiten als in einer Praxis“, erzählt sie. Häufig sei sie im Unterricht dabei und helfe, die Bedingungen an die Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler besser anzupassen. „Wir schaffen eine wichtige Basis dafür, dass die Kinder und Jugendlichen aktiv am Schulgeschehen teilnehmen können“, sagt Voge.

Am Gehalt bekommen sie und ihre Berufskollegen diese wichtige Aufgabe nicht zu spüren – sie sehen sich im Vergleich zum übrigen Schulteam benachteiligt. „Der Frust, dass unsere Arbeit nicht honoriert wird, ist riesengroß“, erzählt sie. „Die Kollegen und Kolleginnen sagen: Es reicht! Bei Therapeutinnen und Therapeuten muss sich dringend etwas ändern, um die Attraktivität des Berufs zu steigern.“ Hinzu kommt: Der Bund und die Kommunen zahlten bessere Gehälter als die Länder. „Diesen Abstand müssen wir verringern“, sagt Voge. Schon deshalb seien die Forderungen der Gewerkschaften absolut gerechtfertigt.

In der Tarifrunde öffentlicher Dienst der Länder fordern die Gewerkschaften 5 Prozent, mindestens jedoch 150 Euro mehr Gehalt für die Beschäftigten. Dazu zählen bei der GEW vor allem die angestellten Lehrerinnen und Lehrer an den Schulen in Deutschland, aber auch die Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst sowie an den Hochschulen.

Außerdem soll es 100 Euro monatlich mehr für alle in Ausbildung geben. Die GEW setzt sich weiter für die vollständige Paralleltabelle ein, die eine bessere Eingruppierung für viele angestellte Lehrerinnen und Lehrer unterhalb der Entgeltgruppe 13 und damit mehr Gehalt bringen würde. Zudem fordert die GEW, dass Verhandlungen für einen Tarifvertrag für studentische Beschäftigte aufgenommen werden.

Die TV-L Tarifrunde 2021 gilt als eine der schwierigsten der vergangenen 20 Jahre. Die öffentlichen Arbeitgeber geben sich bisher wenig verhandlungsbereit und verweisen unter anderem auf die Kosten der Coronapandemie. Die Gewerkschaften betonen die hohen Belastungen der Beschäftigten in dieser Zeit und wollen einen fairen Ausgleich.

Drei Verhandlungsrunden

Die erste Verhandlungsrunde zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften findet am 8. Oktober in Berlin statt, die zweite und dritte Runde sind für den 1./2. November und den 27./28. November jeweils in Potsdam geplant.

Die Forderung der Gewerkschaften bezieht sich auf eine Laufzeit des Tarifvertrags von einem Jahr.

In der Tarifrunde 2021 für den öffentlichen Dienst der Länder geht es um Gehaltserhöhungen für rund zwei Millionen Beschäftigte. Ver.di hat gegenüber der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) die Verhandlungsführerschaft für die DGB-Gewerkschaften GEW, GdP und IG BAU sowie die dbb tarifunion.

Engagement wertschätzen

Frust herrscht auch an den Hochschulen im Heer der zahllosen befristet beschäftigten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Menschen wie Hinnerk Thür in Flensburg. Der 29-Jährige hat einen Master of Education in Musik und Philosophie, derzeit promoviert und arbeitet er als Dozent am Seminar für Medienbildung an der Europa-Universität. Schon als Student engagierte er sich in der GEW und leitet seit 2017 die Fachgruppe Hochschule und Forschung in Schleswig-Holstein. „Die meisten Nachwuchswissenschaftler schlagen sich mit befristeten Teilzeitverträgen von 50, 60 oder 75 Prozent durch, sie arbeiten aber Vollzeit und darüber hinaus – besonders seit Corona“, sagt Thür. Höhere Gehälter seien daher dringend nötig und absolut berechtigt: „Angesichts der Entwicklung von Reichtum und Vermögen in Deutschland ist die Forderung der Gewerkschaften keineswegs unpassend.“

Thür hat nur eine Qualifizierungsstelle mit 50 Prozent bekommen und stockt mit einem weiteren Vertrag an der Hochschule auf. Wenn sein jetziger Vertrag erneut nach drei Jahren auslaufe, gebe es keine Fortsetzung mehr, und er müsse wohl aus Flensburg wegziehen. Eine erhoffte Familiengründung sei für viele Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler unter diesen Bedingungen ein Vabanque-Spiel. Außerdem legt der Doktorand besonderen Wert darauf, dass endlich einheitliche Tarife für studentische Beschäftigte eingeführt werden. „Zurzeit haben wir keinen Tarifvertrag, an jeder Hochschule gelten andere Stundensätze, in Flensburg liegen sie nicht viel über dem Mindestlohn“, sagt Thür. „Dieser Flickenteppich muss beendet werden.“

„Gerade das vergangene Schuljahr war extrem anstrengend“, sagt Schüler. „Nun fehlt eine Anerkennung der Politik.“ (Ingeborg Schüler)

Um mehr Gerechtigkeit geht es auch Ingeborg Schüler, Lehrerin für Mathe, Sport und andere Fächer an einer Schule in Stuttgart. „Keine Lehrkraft arbeitet nur die Anzahl der Stunden, die im Vertrag steht – sie alle leisten deutlich mehr“, sagt die 60-Jährige, die 26 Jahre Berufserfahrung auf dem Buckel hat. In der Pandemiezeit habe sie sich sehr intensiv um ihre Abschlussklasse gekümmert, um Impfungen und Testungen, um Prüfungsvorbereitungen und Elterngespräche. „Gerade das vergangene Schuljahr war extrem anstrengend“, sagt Schüler. „Nun fehlt eine Anerkennung der Politik. Wenn diese Wertschätzung nur finanziell möglich ist, dann erwarte ich eben eine deutliche Gehaltserhöhung.“ Dafür engagiert sich Schüler nun im Tarifteam der GEW. „Ich will“, sagt sie, „etwas für die jungen Kolleginnen und Kollegen tun.“