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Coronapandemie

Nachholbedarf beim Gesundheitsschutz

Lehrkräfte leiden in der Corona-Pandemie unter starken psychischen Belastungen. Das zeigt eine Studie der Uni Mainz, die mit Unterstützung der GEW entstanden ist.

Generalisierte Angststörungen haben während der Pandemie zugenommen. (Foto: Pixabay / CC0)

Fragen an den Koordinator der Studie, Clemens Köstner, und Prof. Stephan Letzel, Leiter des Instituts für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der Uni Mainz.

  • E&W: Herr Köstner, Sie sind Psychologe und haben die Studie koordiniert. Welches Ergebnis hat Sie am meisten überrascht?

Clemens Köstner: Dass die Umsetzung von arbeitsschutzrechtlichen Vorgaben an den Schulen eine so große Rolle spielt. Wo Infektionsschutz-Belehrungen, Unterweisungen und die Gefährdungsbeurteilungen gut klappen, da haben die Lehrkräfte weniger Angst, sich zu infizieren. An diesen Schulen zeigen sich zudem bessere Werte für körperliche und psychische Gesundheit sowie eine höhere Arbeitszufriedenheit.

  • E&W: Die Studie zeigt auf, dass generalisierte Angststörungen während der Pandemie zugenommen haben. Was genau haben Sie untersucht?

Köstner: Wir haben untersucht, wieviel Prozent der Befragten ein positives Screening hinsichtlich einer generalisierten Angststörung haben. Liegt ein positives Screening vor, würde es sich aus psychologischer Perspektive lohnen, diagnostisch weiterzuarbeiten – das positive Screening ist also nicht gleichzusetzen mit der Diagnose generalisierte Angststörung. Vor der Pandemie kamen in der Allgemeinbevölkerung 6,3 Prozent der Männer auf ein positives Screening. Nach Beginn der Pandemie im Jahr 2020 waren es 8,7 Prozent. Bei Frauen stieg der Wert von 8,4 Prozent auf 13,3 Prozent.

  • E&W: Und bei Lehrkräften?

Köstner: Unsere Daten stammen aus dem März 2021, während der dritten Welle der Pandemie, mit stark steigenden Infektionszahlen und Schulschließungen. Diesen Kontext gilt es bei der Interpretation der Ergebnisse zu berücksichtigen. Die Online-Befragung ergab, dass 20,5 Prozent der männlichen Lehrkräfte und 31,4 Prozent der weiblichen ein positives Screening aufweisen. Das sind Indizien, nach denen Lehrerinnen und Lehrer deutlich stärker mit generalisierten Angststörungen belastet sind als die Allgemeinbevölkerung.

  • E&W: Sie haben sich auch mit Depression befasst. Mit welchem Ergebnis?

Köstner: Wir haben erneut gesehen, dass die Werte bei Lehrkräften höher liegen als in der Allgemeinbevölkerung. Bei Frauen aus der Allgemeinbevölkerung liegt der Anteil eines positiven Screenings bei 13,3 Prozent. Bei weiblichen Lehrkräften sind es 25,4 Prozent. Bei Männern in der Allgemeinbevölkerung liegt der Anteil bei 9,8 Prozent. Bei männlichen Lehrkräften sind es 21,9 Prozent.

  • E&W: Welche Rolle spielt das Alter der Lehrkräfte?

Köstner: Bei Depression ist es so: Je jünger die Lehrkraft, desto höher der Anteil positiver Screenings. Bei generalisierten Angststörungen ist es von der Tendenz ähnlich, aber nicht so ausgeprägt. Wer älter und erfahrener ist, kommt offenbar besser zurecht.

  • E&W: Sie haben außerdem untersucht, wie sich das Gesundheitsverhalten der Lehrkräfte verändert hat. Was haben Sie herausgefunden?

Köstner: Generell haben 14 Prozent der von uns befragten Lehrkräfte angegeben, dass sie rauchen. Von den rauchenden Lehrkräften haben 40 Prozent erklärt, mehr zu rauchen als vor der Pandemie. 8 Prozent haben angegeben, weniger zu rauchen als vor der Pandemie.

  • E&W: Wie sieht es bei Suchtmitteln aus, also Alkohol und Beruhigungsmitteln?

Köstner: Auch hier haben wir eine Zunahme festgestellt. 10 Prozent der Lehrerinnen und Lehrer geben an, dass sie Suchtmittel häufiger nutzen als vor Corona. Wir haben jedoch keine Daten dazu, wie hoch der absolute Konsum war.

  • E&W: Welche Rolle spielt dabei die Familiensituation der Lehrkraft?

Köstner: Da hat sich gezeigt, dass es einen kleinen Zusammenhang zur Anzahl der minderjährigen Kinder im Haushalt gibt. Wer weniger Kinder hat, konsumiert tendenziell weniger Suchtmittel.

  • E&W: Herr Professor Letzel, Sie leiten das Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin an der Uni Mainz, an dem die Studie durchgeführt wurde. Welche politischen Schlussfolgerungen sollten aus der Pandemie gezogen werden?

Prof. Stephan Letzel: Das Zuviel an Information, die häufigen Änderungen der Hygienepläne, die unterschiedlichen Regelungen in den Bundesländern – all das hat mehr Unruhe verursacht als etwas Positives bewirkt. Zwei Jahre nach Beginn der Pandemie muss man sagen, mehr Ruhe und Gelassenheit wären besser gewesen. Aber die Politik stand unter Druck und hat es gut gemeint.

  • E&W: Was muss sich an den Schulen ändern?

Letzel: Ich finde es gut, dass der Arbeitsschutz durch die Pandemie mehr in den Vordergrund gerückt ist. Infektionsschutz-Belehrungen alle zwei Jahre an Schulen durchzuführen, war bereits vor Corona gesetzlich vorgeschrieben. Das wurde aber an vielen Schulen nicht adäquat gemacht, weil man sagte: Das brauchen wir nicht. Auch Gefährdungsbeurteilungen sind wichtig. Oder um das Lüften anzusprechen: Wir haben ja Schulen in Deutschland, da kann man aus verschiedenen Gründen die Fenster gar nicht aufmachen. Das sind alles Dinge, von denen ich hoffe, dass die Pandemie einen gewissen Anstoß zur Veränderung gegeben hat. Unsere Studie zeigt: Dort, wo Schulleitungen stärker auf Gesundheitsschutz achten, die Vorgaben konsequent umsetzen, da sind die Lehrkräfte gesundheitlich besser aufgestellt.

„Lehrerinnen und Lehrer sind deutlich stärker mit generalisierten Angststörungen belastet als die Allgemeinbevölkerung.“ (Clemens Köstner, Leiter Corona-Studie Lehrkräftebelastung / Foto: privat)
„Dort, wo Schulleitungen stärker auf Gesundheitsschutz achten, die Vorgaben konsequent umsetzen, da sind die Lehrkräfte gesundheitlich besser aufgestellt.“ (Prof. Stephan Letzel, Uni Mainz / Foto: Universitätsmedizin Mainz)