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Deutscher Schulpreis

„Mehr als ein Wettbewerb“

Der Deutsche Schulpreis wurde in diesem Jahr zum 17. Mal verliehen. E&W sprach mit dem Vorsitzenden der Jury, Thorsten Bohl, darüber, nach welchen Kriterien der Preis verliehen wird.

Der Schulpädagoge Prof. Thorsten Bohl übernahm mit der Verleihung des diesjährigen Deutschen Schulpreises den Vorsitz der 50-köpfigen Jury. Zuvor war er stellvertretender Vorsitzender. Bohl leitet die Tübingen School of Education an der Eberhard-Karls-Universität. (Foto: privat)
  • E&W: Herr Bohl, wie kommt es zu der Entscheidung über den Deutschen Schulpreis?

Prof. Thorsten Bohl: Die Schulen, in diesem Jahr rund 80, bewerben sich selbst. Wir in der Jury teilen uns in kleine, aus mindestens drei Fachleuten bestehende Gruppen auf, in denen jeweils die Perspektiven aus Wissenschaft, Praxis und Schulverwaltung zusammenkommen. Im ersten Schritt sichtet jede Kleingruppe mehrere Bewerbungen und führt im Anschluss mit jeder „ihrer“ Schulen ein Interview, erst einmal per Video.

  • E&W: Woran merken Sie, dass die Schulen ihnen nicht das Blaue vom Himmel erzählen?

Bohl: Alle 50 Jury-Mitglieder sind absolute Expertinnen und Experten in Sachen Schule – die wissen, worauf sie achten müssen. Außerdem bleiben nach dieser ersten Runde 20 Schulen übrig, die alle ausführlich besucht werden. Fast zwei Schultage sind mindestens drei Jury-Mitglieder vor Ort.

  • E&W: Dort stehen alle Türen offen?

Bohl: Ja, das ist die Bedingung. Natürlich rät eine Schulleitung schon mal: Gehen Sie zum Kollegen X, der macht gerade Projekt Y. Das machen wir gern – doch Sie können sicher sein: Wir gehen auch in die Gegenrichtung. Und: In jeder Schule stehen zusätzlich zu vielen Unterrichtsbesuchen intensive Gespräche mit Lehrkräften, außerschulischen Partnern, Eltern und Schülern auf dem Programm – bei äußerster Konzentration. Denn die entscheidende Jurysitzung steht ja noch bevor. Alle wissen, es muss gelingen, in 1,5 Tagen den Kern der Schule so zu erkennen, dass man ihn für alle Jurymitglieder verständlich weitergeben kann.

Die beste Schule des Jahres 2022 steht in Mecklenburg-Vorpommern: Das Regionale Berufliche Bildungszentrum (RBB) Müritz nahm Ende September in Berlin den mit 100.000 Euro dotierten Hauptpreis des Deutschen Schulpreises entgegen An der Schule werden mehr als 1.400 Schülerinnen und Schüler im Alter von 15 bis 53 Jahren auf 26 Berufe, das Fachabitur sowie den Hauptschulabschluss vorbereitet.

  • E&W: Dieses Jahr stand bei der Auswahl die Unterrichtsqualität im Vordergrund. Was macht guten Unterricht aus?

Bohl: Aus wissenschaftlicher Sicht vor allem drei Dinge: Klassenführung, kognitive Aktivierung, individuelle Unterstützung. Mit diesen drei Kriterien lässt sich Unterricht ganz gut beobachten. Aber natürlich ist noch mehr relevant, etwa das selbstständige Lernen oder die Lehrkraft-Schüler-Beziehung. Und die anderen fünf Qualitätsbereiche des Deutschen Schulpreises, der Umgang mit Vielfalt oder das Thema Verantwortung, sind beispielsweise ebenfalls wesentlich.

  • E&W: So lassen sich sehr unterschiedliche Schulen wie ein Berufskolleg in Waren an der Müritz und die Deutsche Europäische Schule in Singapur beurteilen?

Bohl: ... ja, sogar eine Krankenhausschule hat schon einmal gewonnen! Wichtig ist: Wir haben für jeden Schultyp Fachleute in unseren Reihen; berufliche Schulen zum Beispiel sind sehr speziell. Zweitens schauen wir: Was macht eine Schule aus den Ressourcen und Bedingungen, die sie vor Ort hat? Ein Gymnasium in einem Oberschichtsviertel hat andere Möglichkeiten als eine Grundschule in einer eher benachteiligten Region. Das heißt nicht, dass das Gymnasium nicht gewinnen kann. Doch für uns bedeutet es: Wir müssen die Voraussetzungen verstehen und mitbedenken.

  • E&W: Was erwidern Sie Menschen, die sagen: Die Bedingungen sind so schlecht, guter Unterricht ist gar nicht möglich?

Bohl: Uns ist tatsächlich wichtig zu betonen: Auch mit wenigen Ressourcen können gute Konzepte entwickelt werden, etwa intelligente Kooperationen mit außerschulischen Trägern. Und: Auch unter widrigen Bedingungen kann man gute Schule machen.

  • E&W: Wie haben sich die inzwischen mehr als 90 Preisträgerschulen weiterentwickelt?

Bohl: Im Einzelfall ist das sicher unterschiedlich. Entscheidend ist: Alle Schulpreisschulen bilden ein Netzwerk, das anderen Schulen offensteht, sodass diese auch etwas lernen können. Die Konzepte der Preisträger werden aufbereitet und über Fortbildungen und das Deutsche Schulportal verfügbar gemacht. Der Deutsche Schulpreis ist weit mehr als ein Wettbewerb – und Best-Practice-Modelle guter Bildung zu suchen, empfinde ich geradezu als Verpflichtung. Wir sind im Begriff, den nachfolgenden Generationen zahllose Probleme zu hinterlassen, die wir nicht sehr gut bewältigt haben. Wer heute eine gute Schule besucht, wird es morgen vielleicht einmal besser machen. Deswegen ist wichtig, diese zu identifizieren – und sicherzustellen, dass andere davon profitieren.