Reform der Lehrkräfteausbildung
„Lehrer ist so ein schöner Beruf, aber...“
Bundesweit sind Tausende Lehrkraftstellen nicht besetzt. Die Gründe dafür sind vielfältig, einer davon ist die Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer. Eine Referendarin, ein Junglehrer und ein Student berichten.
Für ihren Vorbereitungsdienst hat sich Katharina Grabowski bewusst eine Schule ausgesucht, die neue Wege geht: Die Schülerinnen und Schüler lernen zusammen, jahrgangsübergreifend, mit und ohne Behinderungen. Auf Noten wird verzichtet, eigenständiges Lernen gefördert. „Die Schule probiert neue Lernformen aus“, sagt die Förderschullehrerin in spe, „richtig toll!“ Dafür wurde die Integrierte Gesamtschule Süd in Frankfurt am Main mit dem Hessischen Inklusionspreis ausgezeichnet. Doch in ihrer Ausbildung erlebt die 30-Jährige, dass sich die starren Strukturen des Studienseminars schwer mit einer neuen Lernkultur in Einklang bringen lassen: „Da prallen zwei Systeme aufeinander.“
Beispiel: Grabowski unterrichtet Deutsch und Kunst in Blöcken, mehrere Wochen am Stück, im Projektunterricht und im Fachbüro. Doch die Unterrichtsbesuche sind nur für Einzelstunden vorgesehen. „Da gibt es wenig Flexibilität“, bedauert sie. Das gilt auch für die Beratung. Für Grabowski steht fest, dass sie als Förderschullehrerin an einer Regelschule arbeiten möchte. „Mein Kerngeschäft wird Mathe und Deutsch sein.“ Deshalb stellt sich für sie vor allem die Frage: Wie differenziert sie in den Fächern am besten? Worauf kommt es bei der Diagnostik an? „Dafür würde ich mir eine gute Ausbildung wünschen.“ Doch leider sei strikt geregelt, welche Beratung ihr zusteht. So dürfe sie ihre Förderschulausbilderinnen und -ausbilder nie in ihren Deutsch-Unterricht einladen. „Das ist schade.“
„Man hat gar nicht die Möglichkeit, in der Schule anzukommen, sondern plant nur von Unterrichtsbesuch zu Unterrichtsbesuch.“ (Katharina Grabowski)
Hinzu kommt der Termindruck. Im ersten Hauptsemester sei ihr Unterricht im Zwei-Wochen-Takt bewertet worden. „Man hat gar nicht die Möglichkeit, in der Schule anzukommen, sondern plant nur von Unterrichtsbesuch zu Unterrichtsbesuch.“ Um etwas an den Bedingungen für die Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst – kurz LiV – zu verbessern, hat sich Grabowski als Delegierte in den Seminarrat wählen lassen. „Doch die Partizipation ist ein Witz.“ Seit Generationen beschäftigten sich die Nachwuchslehrkräfte immer wieder mit den gleichen Themen. Doch ohne Erfolg. „Alle fangen immer wieder bei null an.“ So fragten sie sich beispielsweise stets aufs Neue, warum sie nicht weiterhin die Unibibliothek nutzen dürften. „Doch das versandet einfach.“
Gleichwohl ist die 30-Jährige mit ihrer Ausbildung sehr zufrieden. Sie schätzt, dass die Seminare im zweiten Hauptsemester viel Raum ließen, an eigenen Fragestellungen zu arbeiten. Und vor allem fühlt sie sich an ihrer Schule gut aufgehoben: Alle nähmen sich viel Zeit für sie. Die Teamstrukturen förderten einen engen Austausch, zudem unterrichte sie häufig in Doppelbesetzung. „Ich nehme total viel mit“, sagt Grabowski.
Spontaner Quereinstieg
Zum Glück war David Redelberger noch nicht lange mit dem Studium fertig, als er sich kurzerhand für den Quereinstieg in den Lehrerberuf entschied: Der 34-Jährige lebte damals noch in einer WG in Kassel, genauso wie zu Studentenzeiten. „So kam ich mit dem Geld im Vorbereitungsdienst einigermaßen über die Runden“, berichtet er. Brutto verdiente er in den drei Jahren etwa 1.500 Euro pro Monat. Eine Familie lässt sich davon nicht ernähren. „Das kann eine Hürde sein“, meint der Gewerkschafter. Nicht nur für den Quereinstieg. Der niedrige Verdienst während des Vorbereitungsdiensts bringe alle Nachwuchslehrkräfte mit Kindern in Schwierigkeiten.
Doch Redelberger beruhigte vor allem die Aussicht auf eine sichere Stelle. Nach seinem Masterstudium der Nanostrukturwissenschaften arbeitete er zunächst als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität. Dort zu bleiben, war für ihn keine Option. „Die Stellen sind fast alle befristet“, sagt er. „Deshalb gibt es nicht viel Perspektive.“ Aber bei der Arbeit merkte er, dass ihm das Unterrichten viel Spaß macht. Der Wechsel in den Schuldienst lag nahe. „Ich bin ein Lehrerkind“, berichtet Redelberger. „Deshalb habe ich schon öfter in diese Richtung überlegt.“
„Das war eine sehr stressige Zeit, die ich nicht noch mal durchmachen will.“ (David Redelberger)
Mit dem Studium von zwei Mangelfächern – Physik und Chemie – fiel der Einstieg ins Haupt- und Realschullehramt leicht. Bei einer sechsstündigen Eignungsprüfung musste der Nachwuchslehrer beweisen, dass er etwas mit Pädagogik und Didaktik anfangen kann. Das Wissen eignete er sich selbst an. „Während des Vorbereitungsdiensts musste ich als Quereinsteiger viel nacharbeiten, on top“, berichtet der 34-Jährige. „Das war eine sehr stressige Zeit, die ich nicht noch mal durchmachen will.“ Für den Einstieg hätte er sich Angebote zur Unterstützung gewünscht. Die Option einer berufsbegleitenden Ausbildung, direkt im Schuldienst, ohne Referendariat kam für ihn nicht infrage. „Ich wollte genauso das zweite Staatsexamen abliefern wie alle anderen auch.“ Redelberger fürchtete, sonst später im -Kollegium nicht als vollwertiger Lehrer anerkannt zu werden.
Bei seinem Vorbereitungsdienst an einer Integrierten Gesamtschule in Vellmar fühlte sich der Nachwuchslehrer teilweise ins kalte Wasser geworfen. Zum Glück hätten ihm ein sehr guter Mentor und eine sehr gute Mentorin zur Seite gestanden. „Mit ihnen habe ich viel zusammengesessen und diskutiert“, sagt Redelberger. „Ich war dankbar für ihre Unterstützung.“ Mit seiner Entscheidung ist er glücklich. Heute unterrichtet er an einer integrierten Gesamtschule in Baunatal. „Lehrer ist so ein schöner Beruf: Es macht Freude, Menschen auf ihrem Weg ins Leben zu begleiten.“
„Wenn wir jedes Kind nach seinen Fähigkeiten und Möglichkeiten fördern, können wir viel bewegen.“ (Tobias Hoffmann)
Eigentlich wollte Tobias Hoffmann gar kein Lehrer werden. „Das war überhaupt nicht mein Berufswunsch“, betont der 25-Jährige aus Gießen. Er wollte Kommunikationsdesign studieren. Doch nach einem Auslandsjahr in Neuseeland verpasste Hoffmann knapp den Zeitpunkt zur Anmeldung zum Eignungstest – und musste ein Jahr warten. Um die Zeit sinnvoll zu überbrücken, machte er ein Freiwilliges Soziales Jahr und unterstützte als Teilhabeassistenz einen Erstklässler mit Autismus in einer Förderschule. „Das hat mir sehr viel Spaß gemacht“, sagt der Student.
Ihn beeindruckte vor allem der individuelle Fokus auf jedes einzelne Kind. „Darin steckt so eine große Chance für alle Schulen“, findet er. „Wenn wir jedes Kind nach seinen Fähigkeiten und Möglichkeiten fördern, können wir viel bewegen.“ Schnell wurde ihm klar, dass das Lehramt für Förderpädagogik genau das Richtige für ihn ist. Das Beispiel zeigt, wie wichtig der Bezug zur Praxis ist. Auch im Studium.
„Da habe ich sofort wieder gemerkt, warum ich Lehramt studiere.“
Während der Semester, vollgepackt mit Theorie, kämen immer mal wieder Zweifel auf: „Warum mache ich das eigentlich?“ Der direkte Kontakt mit Kindern und Jugendlichen sei sehr wertvoll. Im vergangenen Semester war der Student zum Beispiel mit einem Mathe-Seminar sechs Wochen lang in einer Klasse dabei. „Da habe ich sofort wieder gemerkt, warum ich Lehramt studiere.“ Deshalb findet Hoffmann auch richtig gut, dass Hessen ein Praxissemester für alle Lehramtsstudierenden eingeführt hat. „Das ist eine coole Sache.“ Das Problem sei allerdings, dass das Praxissemester einfach in die normale Studienzeit „reingestopft“ werde. Die Regelstudienzeit wurde dafür nicht verlängert. Der Student fragt: „Wie soll das gehen?“
Das gilt auch für die Inhalte: Damit Lehrkräfte besser auf die vielen neuen Herausforderungen vorbereitet werden, erhalten Querschnittsthemen wie Integration, Medienbildung, Inklusion, Ganztagsschule und Berufsorientierung im Studium mehr Gewicht. „Das ist super wichtig“, findet Hoffmann. Im Kontakt mit anderen Lehramtsstudierenden oder Lehrkräften sei er häufig erschrocken, wie wenig diese etwa über Inklusion wüssten. „Da gibt es noch viele blinde Flecken.“ Doch wieder stellt sich für ihn die Frage, wie das zu schaffen sein soll in der Regelstudienzeit von neun Semestern, inklusive Praxis- und Prüfungssemester. Wer länger studiert, erhält kein BAföG mehr. Hoffmann ist im zehnten Semester. Gebummelt habe er nicht, betont der Student. Etwa 30 bis 40 Stunden pro Woche nehme das Studium in Anspruch, außerdem arbeitet er als studentische Hilfskraft und ist in der GEW aktiv. Da bleibe kaum Zeit, um Themen zu vertiefen. „Das ist schade.“