Schulleitungen gesucht
Gut geleitet durch die Krise
Krisen wie die Corona-Pandemie zeigen exemplarisch, ob Schulen auch jenseits des Regelbetriebs gut funktionieren. Dabei hängt viel von den Schulleitungen und den oft schwierigen Rahmenbedingungen ab, unter denen sie arbeiten.
Die offizielle Nachricht vom Corona-Lockdown ereilte die Schulen in Hessen an einem schicksalhaften Freitag, dem 13. März. Als das Kultusministerium das Aus für den Präsenzunterricht verkündete, hatte Ute Waffenschmidt bereits einen Plan B. Zwar konnte auch die Leiterin der Hupfeld-Ganztagsgrundschule in Kassel keinen perfekten Ersatzunterricht aus dem Hut zaubern. Trotzdem waren sie und das Kollegium auf die Schließung vorbereitet.
„Wir haben das kommen sehen und deshalb früh reagiert“, sagt Waffenschmidt. Als viele Schulen montags noch Kinder kommen ließen, um Sachen abzuholen und sich mit Lehrkräften zu besprechen, war das an der Kasseler Schule nicht mehr nötig. Die Leitung hatte längst das Lehrerteam zusammengetrommelt, WhatsApp-Gruppen gegründet und Eltern per E-Mail informiert. „Gute Vernetzung ist das A und O in solchen Zeiten. Das hätte sonst ein heilloses Chaos gegeben“, sagt Waffenschmidt. Ihre vorläufige Bilanz: „Bisher sind wir gut durch die Krise gekommen – auch dank funktionierender Teamarbeit.“
„Es gab Schulen, da bekamen Eltern, Schülerinnen und Schüler keinerlei Rückmeldungen. Auch die Kommunikation der Schulleitung mit den Lehrerinnen und Lehrern hat nicht funktioniert.“ (Stephan Wassmuth)
Das können nicht alle Schulen in Deutschland von sich behaupten. Viele Eltern fragen sich, warum etwa das Gymnasium der Tochter mit den Herausforderungen relativ gut klarkommt, während beim Sohn an der Nachbarschule Chaos herrscht. Der Vorsitzende des Bundeselternrats, Stephan Wassmuth, kennt die Klagen. Und er glaubt, dass Erfolg oder Misserfolg maßgeblich mit Steuerung durch die Schulleitung zu tun hat. In vielen Einrichtungen seien die ersten Wochen verständlicherweise holprig gewesen, räumt Wassmuth ein. „Aber es gab Schulen, da bekamen Eltern, Schülerinnen und Schüler keinerlei Rückmeldungen. Auch die Kommunikation der Schulleitung mit den Lehrerinnen und Lehrern hat nicht funktioniert.“
Dieser Ausnahmezustand scheint anzudauern. So informierte laut Wassmuth die Leitung eines Gymnasiums in Nordhessen die Eltern nach Ferienende erst am Sonntagabend darüber, dass alle Kinder am Montag einen Zettel mitbringen müssten, wenn sie in einem Risikogebiet Urlaub gemacht haben. Andere Schulleitungen schafften es demnach nicht, den Hygieneplan umzusetzen, Lernplattformen zu aktivieren oder schnell über einen an Corona erkrankten Schüler zu informieren. Wassmuth erreichten in diesen Wochen aber auch positive Beispiele – etwa Leitungsteams, die an ihren Schulen im Lockdown Infoveranstaltungen per Videochat anboten und sich auch beim Start ins neue Schuljahr als gute Organisatoren bewährten.
Zauberwort Schulentwicklung
Ilka Hoffmann, im GEW-Vorstand verantwortlich für den Bereich Schule, kennt die Licht- und Schattenseiten. Sie weiß aber auch um die hohe Belastung der Schulleitungen. „Schulleitung bedeutet fast immer Mangelverwaltung, weil Ressourcen fehlen“, sagt Hoffmann. Für den Alltag heiße das: „Sie stehen permanent unter Druck, aber müssen nach außen hin zeigen, dass sie alles im Griff haben.“
Seit Jahren macht die GEW auf schlechte Rahmenbedingungen aufmerksam: unzureichende Vorbereitung auf Führungsaufgaben und mangelnde Begleitung im Job, immer mehr Verwaltungsaufgaben und zu wenig Freistellungsstunden – gerade an Grundschulen. Hoffmann wundert sich deshalb nicht, dass nach einer Umfrage der Nachrichtenagentur dpa bundesweit mehr als 1.000 Leitungsstellen nicht besetzt sind und laut einer Hochschulstudie jede fünfte amtierende Schulleitung gerne den Arbeitsplatz wechseln würde.
In Krisenzeiten zeige sich aber auch deutlicher als im Regelbetrieb, was eine erfolgreiche Leitung ausmache. „Neben vernünftigen Rahmenbedingungen sind das gute Teamstrukturen und eine gemeinsame pädagogische Idee“, sagt Hoffmann: „Das Zauberwort heißt Schulentwicklung.“
„Krisen wie Corona offenbaren Stärken und Schwächen, die vorher schon da waren.“ (Wolfgang Vogelsaenger)
Liegt es tatsächlich daran? Wolfgang Vogelsaenger war viele Jahre Leiter der Georg-Christoph-Lichtenberg-Gesamtschule Göttingen, die 2011 den Deutschen Schulpreis gewonnen hat. Vogelsaenger ist zwar im Ruhestand, coacht aber immer noch Schulen und ihre Leitungen. Er konstatiert: „Krisen wie Corona offenbaren Stärken und Schwächen, die vorher schon da waren.“ Auch er ist davon überzeugt, dass Schulen mit guten Teamstrukturen generell besser funktionieren als Einrichtungen, die von oben nach unten regiert werden. „Das Einzelkämpfertum bricht vielen das Genick.“
Vogelsaenger plädiert für Kooperation auf allen Ebenen: „Auch der Hausmeister oder die Mensamitarbeiterin sollten Entscheidungen treffen können. Sie dürfen nicht nur kontrolliert werden.“ Doch nicht alles, was in Schulen gut oder schlecht läuft, hängt allein von der Kompetenz an der Spitze ab. Die Rahmenbedingungen hätten sich deutlich verschlechtert, sagt Vogelsaenger: „Der Verwaltungsaufwand hat zugenommen. Außerdem ist fast alles justiziabel, was Schulleitungen tun oder nicht tun. Sie tragen viel Verantwortung und gehen Risiken ein.“
Mangelnde Wertschätzung
Und so kommt es, dass immer weniger Lehrkräfte bereit sind, einen Leitungsposten zu übernehmen. In Baden-Württemberg etwa waren laut Kultusministerium kurz vor den Sommerferien rund 260 Stellen von Rektorinnen und Rektoren nicht besetzt. Zwar laufen mittlerweile in insgesamt 104 Fällen die Besetzungsverfahren, aber nach Ansicht der GEW-Vorsitzenden in Baden-Württemberg, Doro Moritz, mangelt es immer noch an Wertschätzung und professioneller Begleitung von Schulleitungen: „Wenn man Führungskräfte nicht als solche behandelt, dann fehlt ihnen in Krisen die Zeit und teilweise auch die Kompetenz für das Management.“
Zwar sollen künftig auch Leitungen kleiner Schulen die Besoldungsstufe A13 bekommen. Aber nach Moritz‘ Ansicht reicht das nicht aus. Sie kritisiert, dass man in der Regel erst Schulleiter oder Schulleiterin werden muss, um in den Genuss begleitender Fortbildung zu kommen: „Das ist die schwäbische Sparvariante.“ Moritz fordert, interessierte Kolleginnen und Kollegen schon viel früher zu unterstützen: „Wir brauchen mehr Zeit und mehr Qualifizierung, um Führungskräfte gut vorzubereiten.“
„Alle Grundschulen sollten ein Team mit mindestens zwei Leuten haben, an den weiterführenden mindestens drei.“ (Maike Finnern)
Nordrhein-Westfalen ist da schon ein Stück weiter. In einer verpflichtenden staatlichen Qualifizierung bereiten sich künftige Schulleiterinnen und Schulleiter auf ihre Aufgabe vor. Möglich ist auch ein begleitendes Coaching durch erfahrene Leitungen, etwa wenn eine Schule in einer Krisensituation ist, sich umstrukturieren will oder es um eine Neugründung geht. „Das steckt aber alles noch in den Kinderschuhen“, sagt die GEW-Landesvorsitzende Maike Finnern: „Davon brauchen wir viel mehr.“
Auch in ihrem Bundesland bleiben vor allem an Grundschulen zahlreiche Leitungsposten vakant. Finnern fordert deshalb: „Alle Grundschulen sollten ein Team mit mindestens zwei Leuten haben, an den weiterführenden mindestens drei.“ Außerdem brauchten Schulleitungen eine kontinuierliche berufsbegleitende Fortbildung, so wie es bei Führungskräften außerhalb des Schulsystems auch üblich sei.
Laut der Studie „Leadership in German Schools“* denkt jede fünfte Schulleitung darüber nach, den Arbeitsplatz zu wechseln. Ein Forschungsteam der Universitäten Tübingen, Lüneburg und einer Pädagogischen Hochschule aus der Schweiz hat mehr als 400 Schulleiterinnen und -leiter an allgemeinbildenden Schulen befragt. Besonders kritisch äußerten sich demnach Leitungen an Grund- sowie Haupt- und Realschulen. Insgesamt gab mehr als die Hälfte der Befragten an, sich beruflich weiterentwickeln zu wollen, 44 Prozent fanden ihre Bezahlung nicht angemessen, rund 30 Prozent beklagten eine mangelnde Unterstützung. Dabei waren die meisten anfangs sehr motiviert, neue Ideen umzusetzen. In der Praxis waren sie jedoch vor allem damit beschäftigt, für einen reibungslosen Ablauf zu sorgen. Bei etwa jeder sechsten Schulleitung fanden die Forscher Hinweise auf einen Burnout.
Da wundert es nicht, dass immer weniger Nachwuchskräfte Lust auf Leitung haben. Nach Umfragen der Nachrichtenagentur dpa waren Ende vergangenen Jahres bundesweit mehr als 1.000 Leitungsstellen nicht besetzt, vor allem an Grundschulen. In Nordrhein-Westfalen fehlen aktuell laut dpa rund 500 Leitungen an den insgesamt knapp 5.500 Schulen. Das Kultusministerium in Baden-Württemberg meldet fast 260 unbesetzte Leitungsstellen bei rund 4.500 Schulen insgesamt. Auch in den meisten anderen Bundesländern sind Schulleitungen Mangelware, etwa in Niedersachsen, wo das Kultusministerium im Frühjahr rund 140 offene Stellen meldete – vor allem bei kleinen Schulen auf dem Land.
Mehr Zeit, gute Aus- und Fortbildung, Entlastung von Verwaltungsaufgaben, moderne Ausstattung – die Liste der Verbesserungsvorschläge liegt auf dem Tisch. Wie steht es aber mit Kriterien, die von außen kaum zu beeinflussen sind? Wie stark wirkt sich etwa die Persönlichkeit einer Schulleitung auf Erfolge oder Misserfolge aus?
Der Erziehungswissenschaftler Olaf-Axel Burow hält das für entscheidend: „Gute Schulleitungen haben ein Ziel und setzen Dinge auch gegen Widerstände durch. Aber bei den Berufungsverfahren werden zu oft die sogenannten Normopaten nach oben gespült, also diejenigen, die vor allem Vorgaben erfüllen“, sagt der Professor der Universität Kassel. Er befasst sich mit Schul- und Organisationsentwicklung. Burow nennt Beispiele überforderter Leitungen, „die sich angewöhnt haben, am Sonntag lange Mails mit Aufträgen zu verschicken, so dass am Montag die Hälfte des Kollegiums krank ist“.
Umgekehrt zeige sich, dass innovative Schulleitungen kaum Probleme hätten, durch Krisen zu kommen, etwa indem sie schon vorher auf selbstgesteuertes und digital unterstütztes Lernen setzten. „Solche Leitungen, von denen es immer mehr gibt, sollten durch die Bildungsverwaltung stärker unterstützt werden“, fordert der Wissenschaftler: „Wir brauchen mehr Beispiele für zukunftsweisende Schulentwicklung.“
Spezialisten für Plan B
Einer, der nach Einschätzung der Deutschen Schulakademie seit Jahren einen guten Job macht, ist Harald Ebert. Der 61-Jährige leitet die Don Bosco Berufsschule in Würzburg und reagiert auf die Frage nach Unterricht in Krisenzeiten ziemlich gelassen: „Corona hat uns nicht aus dem Konzept geworfen. Wir waren schon vorher Spezialisten für einen Plan B.“ An seiner Schule werden 16- bis 25-Jährige unterrichtet, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen: junge Leute im Strafvollzug, alleinerziehende Mütter, psychisch Erkrankte – Ebert spricht von „schwierigen Lebenslagen“. Die Schule ist daran gewöhnt, individuelle Lösungen zu suchen. Schema F hat hier noch nie funktioniert.
Als der Lockdown kam, war Eberts erstes Ziel, Kontakt zu den Schülerinnen und Schülern zu halten und schnell in den Präsenzunterricht zurückzukehren. Die ohnehin schon Benachteiligten sollten nicht noch weiter abgehängt werden. Das ist ihm gelungen, auch weil Ebert und sein Team sich als Netzwerker verstehen. Sie sind ständig im Gespräch mit Jugend- und Sozialämtern, Handwerkskammern, Betrieben und der Justizvollzugsanstalt. Für die Kommunikation mit den Schülerinnen und Schülern nutzte Ebert vorübergehend auch digitale Wege, die offiziell eigentlich verboten sind. „Schulleitungen sind Grenzgänger“, sagt Ebert. Die Floskel „Ich darf ja nicht“, hinter der sich andere gern verstecken, taugt für ihn nicht: „Wir wagen hier viele ungewöhnliche Dinge – und bekommen trotzdem am Ende die Rückendeckung der Schulbehörden.“
Nach Ansicht von OECD-Bildungsdirektor Andreas Schleicher wird in deutschen Schulen generell zu viel nach oben geschaut: „Der Lehrer guckt auf den Schulleiter und der auf das Ministerium“, sagt Schleicher. Mit Blick auf Krisen wie die Corona-Pandemie hält er Schulleitungen für einen entscheidenden Faktor. Dabei gehe es aber nicht nur um die Person an der Spitze, sagt der Bildungsforscher: „Wenn Sie als Schulleiter erfolgreich sein wollen, dann fragen Sie nicht, wie viele Kollegen ihren Weisungen folgen, sondern, wie gut sie zusammenarbeiten und selbstständig mit den Herausforderungen umgehen können.“