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Stiftungen im Bildungswesen

„Gefahr, dass Stiftungen ihre eigenen Agenden durchdrücken“

Welche Folgen hat es, wenn sich gemeinnützige Stiftungen im Bildungswesen engagieren? Interview mit Tim Engartner, Professor für Sozialwissenschaften an der Universität Köln.

Schulen und Hochschulen sollten mit Stiftungen zusammenarbeiten, sagt Professor Tim Engartner von der Universität Köln, sofern diese keine unternehmerischen, sondern gesellschaftspolitische Ziele verfolgen. (Foto: Universität zu Köln)
  • E&W: Was ist schlecht daran, wenn sich gemeinnützige Stiftungen an Schulen oder Hochschulen engagieren?

Prof. Tim Engartner: Grundsätzlich besteht die Gefahr, dass Stiftungen ihre eigenen Agenden durchdrücken. So zielen sie etwa über Stiftungsprofessuren darauf, an Hochschulen Disziplinen zu stärken, die ihrer Ansicht nach bedeutsam sind. Zumeist setzen sie dabei auf Wirtschafts- und Ingenieurswissenschaften, nicht auf Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften. Auch ihr schulisches Engagement nährt den Verdacht, dass sie die Weltsicht der Schülerinnen und Schüler prägen wollen. Nicht selten streben sie danach, Inhalte wie die private Altersvorsorge oder eine affirmative Haltung gegenüber der Sozialen Marktwirtschaft inklusive der derzeitigen Vermögensverteilung in den Klassenzimmern zu verankern. Das ist das Gegenteil dessen, was wir mit dem humboldtschen Bildungsauftrag unter kritisch-emanzipatorischer Bildung verstehen.

  • E&W: Stiftungsprojekte an Schulen stoßen zumeist auf Zustimmung. Das liegt nicht allein an der chronischen Unterfinanzierung des öffentlichen Bildungswesens. Welche weiteren Gründe gibt es?

Engartner: Der Staat muss oft mit der Gießkanne operieren. Darauf verpflichtet unter anderem der im Grundgesetz verbriefte Grundsatz der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse. Demnach muss Vater Staat in Leipzig näherungsweise ähnliche Lebensbedingungen schaffen wie in Lüneburg und Ludwigshafen. Stiftungen hingegen können zielgruppenspezifisch und auch räumlich zielgenau agieren. Die Wahrnehmung der Eltern-, Lehrer- und Schülerschaft ist dann die, dass endlich etwas getan wird.

  • E&W: Stiftungen machen selten zum Thema, dass es Schulen und Hochschulen dramatisch an Personal und Ausstattung mangelt. Warum?

Engartner: Reinhard Mohn, der Gründer der Bertelsmann Stiftung, hat gesagt: „Es ist ein Segen, dass uns das Geld ausgeht. Anders kriegen wir das notwendige Umdenken nicht in Gang.“ Schonungslos legte er mit diesem Zitat offen, warum er die Verarmung der öffentlichen Haushalte begrüßt. Grundsätzlich bringt die Unterfinanzierung des Bildungssystems Stiftungen in die Position, Lücken mit eigenen Schwerpunkten füllen zu können.

  • E&W: Stiftungen kooperieren gerne mit Akteurinnen und Akteuren aus Politik, Wissenschaft, Verwaltung bis hin zu Gewerkschaften. Warum?

Engartner: Stiftungen verschaffen sich ein besonderes Maß an Glaubwürdigkeit, wenn sie vernetzt sind. Wer seine bildungspolitischen Ziele umsetzen will, braucht Akteure aus der Politik. Die Wissenschaft wird gerne bemüht, um sich unangreifbar zu machen. Und die Kooperation mit Gewerkschaften wird gerne gesucht, um den Eindruck zu erwecken, die gesellschaftspolitische Akzeptanz sei besonders groß.

  • E&W: Was ist zu tun, um den Einfluss der Stiftungen im Bildungswesen einzudämmen?

Engartner: Die finanzielle und personelle Ausstattung der Kitas, Schulen und Hochschulen muss verbessert werden. Ein Problem besteht darin, dass Bildungsinvestitionen Langzeitinvestitionen sind, das heißt, sie werden nur selten innerhalb der laufenden Legislaturperiode sichtbar. Politikerinnen und Politiker wollen und müssen aber rasch Erfolge vorweisen. Daher wird lieber in Beton als in Köpfe investiert. Und dann sollten wir das Engagement der Stiftungen im Bildungssektor intensiver diskutieren. Meines Erachtens brauchte es unbedingt Standards für stiftungsfinanzierte Bildungsprojekte.

  • E&W: Sollen sich Schulen und Hochschulen also fern halten von Stiftungen?

Engartner: Nicht grundsätzlich. Wenn ich mit der Stiftung des örtlichen Chemieunternehmens kooperiere, das mir Chemikalien für den Unterricht zur Verfügung stellt, ist das anders zu bewerten als wenn ich mit der Joachim Herz Stiftung zusammenarbeite, die mittels ökonomischer Bildung Weltanschauungen zu prägen versucht. Und klar ist auch, dass es redliche Stiftungen wie die Robert Bosch Stiftung oder die Hertie-Stiftung gibt, die keine unternehmerischen, sondern gesellschaftspolitische Interessen verfolgen, wenn sie sich etwa mit Projekten gegen Rechtspopulismus engagieren.