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Studie zu Arbeitszeit und Belastung von Lehrkräften

Entlastung, und zwar sofort!

Eine Studie zu Lehrkräften in Frankfurt am Main zeigt, dass viele über immer mehr Arbeit klagen und unter Stress leiden. Die gute Nachricht: Das Potenzial für Veränderung ist groß.

Arbeitsbelastungs- und Arbeitszeitstudie 2020
Die GEW stellt die Arbeitsbelastungs- und Arbeitszeitstudie 2020 an Schulen in Frankfurt im Frankfurter Presseclub am 23. September 2020 vor. (Foto: Christoph Boeckheler)

Viele gehen krank zur Schule, verzichten auf Pausen, setzen sich am Wochenende an den Schreibtisch, machen Überstunden – und kommen trotzdem mit der Arbeit kaum hinterher. Eine neue Studie zur Arbeitszeit und Arbeitsbelastung von Lehrkräften in Frankfurt am Main zeigt, dass neun von zehn Lehrkräften unter Zeitdruck leiden und sich gestresst fühlen.

Dauerbelastung ist die Regel

Jede vierte Vollzeitkraft arbeite während der Schulzeit im Schnitt regelmäßig mehr als 48 Stunden pro Woche, sagt Studienleiter Frank Mußmann von der Universität Göttingen bei der Vorstellung der Ergebnisse am Mittwoch in Frankfurt. „Dabei sprechen wir nicht von einzelnen Wochen, sondern das ist eine Dauerbelastung.“ Und stelle einen Verstoß gegen den Arbeitsschutz dar. Zwei von drei Lehrkräften gaben an, dass der Arbeitsdruck im letzten Jahr gestiegen sei, berichtet der Sozialwissenschaftlicher. „Wohlgemerkt vor Corona.“ Seither seien die Aufgaben nicht weniger geworden. Im Gegenteil.

„Ihr hoher Anspruch macht sie krank (...), das ist bitter.“ (Marlis Tepe)

Die GEW-Bundesvorsitzende Marlis Tepe sagt, die Studie sei Auftakt für eine Kampagne im Herbst in ganz Deutschland. „Wir wollen deutlich machen, wie sehr die Arbeitsbelastung für Lehrerinnen und Lehrer, für Erzieherinnen und Erzieher gestiegen ist.“ Deutschland liege bei der Unterrichtsverpflichtung über dem Durchschnitt in Europa und den OECD-Ländern. Seit 100 Jahren sei die Stundenzahl nahezu zu hoch wie jetzt, dabei seien die Anforderungen stetig gestiegen. Lehrkräfte entschieden sich für ihren Beruf, weil sie in der Arbeit einen Sinn sähen, weil sie einen Unterschied im Leben der Schülerinnen und Schüler machen wollten. „Doch dafür fehlt es an Zeit und Personal.“ Deshalb könnten die Lehrkräfte ihre Arbeit nicht so leisten, wie sie es gerne wollten. „Ihr hoher Anspruch macht sie krank“, sagt Tepe, „das ist bitter.“

„Die Pflichtstunden müssen runter, und zwar sofort, um von dem hohen Soll in Hessen runterzukommen.“ (Maike Wiedwald)

Mit Blick auf die Ergebnisse fordert die GEW-Landesvorsitzende Maike Wiedwald: „Die Pflichtstunden müssen runter, und zwar sofort, um von dem hohen Soll in Hessen runterzukommen.“ Außerdem brauche es dringend eine Diskussion darüber, wie die Arbeitsbedingungen verbessert werden könnten.

Ein Viertel der Lehrkräfte beteiligte sich an der Studie

Lehrkräfte klagen schon länger über zu viel Stress, reichen Überlastungsanzeigen beim Kultusministerium ein. Der GEW-Landesverband wollte es genauer wissen und gab die Studie in Auftrag. Die wissenschaftliche Untersuchung orientiert sich an der niedersächsischen Arbeitszeit- und Arbeitsbelastungsstudie von 2016. Vier Wochen lang erfassten die Lehrkräfte ihre Arbeitszeiten und füllten seitenlange Fragebögen aus. Der Studienleiter zeigt sich von der hohen Zahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer in Frankfurt überrascht. Ein Viertel der gut 4.500 Lehrkräfte in der Stadt beteiligte sich an der Studie, so dass für die Frankfurter Grundschulen, für die Integrierten und Kooperativen Gesamtschulen sowie die Gymnasien repräsentative Ergebnisse erzielt wurden.

Hessen liege bei der Pflichtstundenzahl ohnehin an der Spitze der Bundesländer, betont Mußmann. So müssen Lehrkräfte während der Schulzeit rechnerisch knapp 47,5 Stunden pro Woche arbeiten. Laut Studie werden in Frankfurt pro Kopf jede Woche 51 Minuten Mehrarbeit geleistet. Damit sei das Maximum erreicht, sagt der Studienleiter. „Höher als bis zur Decke geht nicht.“ Besonders viele Überstunden fallen an den Kooperativen Gesamtschulen an.

Lehrkräfte stärker von Burnout bedroht als andere Berufsgruppen

Gleichzeitig warnt der Sozialwissenschaftler davor, die starke Belastung der Lehrkräfte nur auf die Arbeitszeit zurückzuführen. So wirkt sich zum Beispiel auch der Zustand der Gebäude auf das Wohlbefinden aus: Funktioniert die Heizung? Gibt es genug Räume für Kleingruppenarbeit? Hapert es an der Technik? Wie laut ist es im Klassenzimmer? In welchem Zustand sind die Toiletten? An Schulen mit sozialen Herausforderungen – in der Umgangssprache auch Brennpunktschulen genannt – kommen weitere Faktoren hinzu. Dort hätten es Lehrkräfte häufiger mit respektlosem Verhalten und Konflikten zu tun, berichtet Mußmann. Jede dritte Lehrkraft fühle sich durch psychisch belastende Erlebnisse gestresst. „Leider werden sie damit allzu häufig alleine gelassen.“ Die Untersuchung zeigt, dass Lehrkräfte stärker von Burnout bedroht sind als andere Berufsgruppen.

77 Prozent sind begeistert von ihrer Arbeit

Doch die Studie hat auch positive Botschaften. Die Zufriedenheit im Beruf ist – nichtsdestotrotz -  sehr groß. 77 Prozent zeigen sich begeistert von ihrer Arbeit. Außerdem gebe es ein großes Potenzial für Veränderungen, betont der GEW-Bezirksvorsitzende Sebastian Guttmann. Die Lehrkräfte resignierten nicht, sondern die große Mehrheit – 89 Prozent – möchte ihre Arbeitssituation gerne verbessern.

Eigentlich war geplant, die Studie auf einer großen Veranstaltung vorzustellen und direkt über Entlastungsmöglichkeiten zu diskutieren. Doch in Zeiten der Covid-19-Pandemie wurde die Vorstellung im Netz übertragen, bis zu 150 Kolleginnen und Kollegen nahmen digital daran teil. Die GEW-Landesvorsitzende forderte alle Lehrkräfte zu einer breiten Debatte auf. „Ladet uns an eure Schulen ein, wir kommen gerne und diskutieren mit euch.“ Ideen gibt es viele, wie Lehrkräfte entlastet werden können: mehr Schulsozialarbeit, IT-Fachkräfte, Reinigungskräfte und Stundendeputate sind nur einige davon. Fest steht: Über die Verteilung zum Beispiel von Entlastungsstunden sollte nicht in Ministerien entschieden werden, betont der Studienleiter, sondern in den Schulen selbst. „Die Expertise ist nur vor Ort da.“