Zum Inhalt springen

Schule und Coronapandemie

Eine Win-Win-Situation

Während der Schulschließungen entstanden Projekte, in denen Lehramtsstudierende als Mentorinnen und Mentoren die Lücken schlossen, die durch das Distanzlernen im Lockdown entstanden sind. Das könnte ein Modell für die Zukunft nach Corona sein.

Die Schließung von Schulen während des Corona-Lockdowns hat vor allem Kinder und Jugendliche aus sozial benachteiligten Familien getroffen. (Foto: imago images/Werner Schmitt)

„Ich habe viel telefoniert, ich habe WhatsApps geschrieben, aber vielleicht 20 Prozent der Kinder habe ich während des Lockdowns nicht mehr erreicht“, meint Aline Eckel, Klassenlehrerin in einer Gesamtschule in Castrop-Rauxel. Da hat sie sich Hilfe von der Bochumer Uni geholt.

Professorin Gabriele Bellenberg und ihr Team an der Ruhr-Uni Bochum haben sich mit diesen Herausforderungen auseinandergesetzt. Sie haben das -Modell „Mentoring@home“ gestartet. Die Studierenden haben die Betreuung einzelner Schülerinnen und Schüler übernommen. „Meine Schüler sind alle super-besonders“, berichtet Allegra Goltz. Die 23-Jährige ist Lehramtsstudentin im Masterstudium an der Ruhr-Uni. „Zu jedem habe ich einen anderen Draht. Dem einen helfe ich mehr technisch beim Computer, bei der anderen berate ich die Mutter und beim dritten geht es mehr um Nachhilfe.“ Sie betreut Schülerinnen und Schüler aus Eckels 5. Klasse. An der Uni besucht sie einen Kurs zur Vorbereitung auf das Praxissemester. 35 Studierende beteiligen sich an dem Modell. Es wird ihnen als Leistung für den Kurs angerechnet. Geld bekommen sie nicht dafür.

Eckel bezeichnet das Modell als „vollen Erfolg“. Eine Schülerin, die bisher nie etwas gesagt habe, sei durch diese Einzelbetreuung richtig aufgeblüht und zu einer Meinungsführerin in der Klasse geworden, erzählt sie. Eltern, die sie nicht mehr erreicht habe, auch wegen der Sprachbarriere, seien nun engagiert dabei. Eckel sieht auch den Gewinn für die Studierenden. „Sie können ihren zukünftigen Beruf von einer anderen Seite kennenlernen. Sie haben intensiven Kontakt zu den Eltern bekommen, und sie haben erfahren, wie wichtig es ist, Beziehungen zu den Kindern aufzubauen. Das ist natürlich mit einem oder zwei Kindern sehr viel einfacher als später in der Klasse mit 27.“ Nach den Ferien will Eckel die Studierenden in die Klasse einladen. Auf jeden Fall werde das Modell fortgeführt, meint sie.

Entlastung für Eltern

Matthias Forell, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Bochumer Uni, bestätigt: Corona war zwar der Auslöser, aber bei dem Projekt gehe es grundsätzlich um das Thema Bildungsgerechtigkeit, um den Ausgleich von Bildungsbenachteiligungen. Die seien durch die Schulschließungen deutlich zutage getreten. Auf der einen Seite gebe es Familien, denen der Umgang mit digitalen Medien vertraut sei, auf der anderen Seite gebe es Familien, die mit dieser Form des Lernens überfordert gewesen seien; die einen hätten gelernt, ihren Tag selbstständig zu strukturieren, andere brauchten dafür noch mehr Unterstützung.

Das Bochumer Modell steht nicht allein. So startete die Bezirksregierung Münster das Programm „Anschluss individuell schaffen – Ais“. In der Zeit zwischen den Sommer- und den Herbstferien werden in 40 Schulen des Regierungsbezirks in Nordrhein-Westfalen kleine Gruppen von vier Schülerinnen und Schülern pro Klasse gebildet, die von Lehramtsstudierenden betreut werden. Ziel ist, Lücken zu schließen, die durch die unterschiedlichen Möglichkeiten des Distanzlernens in der Lockdown-Phase entstanden sind. Die Studierenden werden vom Zentrum für Lehrerbildung an der Münsteraner Uni betreut – und sie werden für ihre Arbeit bezahlt. Ähnliche Modelle gibt es an den Lehrerbildungszentren der Unis in Kassel und Köln.

„Mir geht es vor allem um die Entlastung der Mütter.“ (Jutta Allmendinger)

Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin (WZB), hält es für „ein Trauerspiel“, dass man sich in den Ministerien keine Gedanken darüber gemacht habe, wie Eltern und Lehrkräfte in der Corona-Zeit entlastet werden können. Ihr geht es gar nicht um ein qualifiziertes Lehrangebot, es müssen ihrer Meinung nach auch nicht unbedingt Lehramtsstudierende sein, die diese Aufgaben der Begleitung und Betreuung übernehmen, das gelte für Kitas wie für Schulen. „Mir geht es vor allem um die Entlastung der Mütter“, sagt die Sozialwissenschaftlerin. Ein verstärkter Einsatz Studierender während des Lockdowns wäre auch für diese selbst wichtig gewesen, denn vielen seien durch die Pandemie die Jobs weggebrochen; sie hätten das Geld gut gebrauchen können. Angesichts der Milliarden Euro, die an Hilfsgeldern nun mobilisiert werden, gehe es um Peanuts – auch verglichen mit dem Geld für digitale Endgeräte, das zurzeit ausgelobt werde, so Allmendinger.

Ilka Hoffmann, im GEW-Vorstand für Schulen verantwortlich, beurteilt das Engagement der Universitäten und den Einsatz von Studierenden als Lernbegleiterinnen und -begleiter ebenfalls positiv. Es sei eine Win-Win-Situation. Die Lehramtsstudierenden könnten für ihr späteres Lehrerdasein lernen, auf einzelne Schülerinnen und Schüler einzugehen und sehen, wie Lernen funktioniert. Und die Kinder würden eine individuelle Zuwendung erhalten, wie sie im Schulalltag mit 30 Schülerinnen und Schülern je Klasse kaum möglich sei. Wichtig sei aber auch die Begleitung durch die Hochschule, die Reflexion und Dokumentation. „Das sollte fester Bestandteil der Lehrerausbildung werden.“ Und die Studierenden brauchten die Anleitung und Begleitung durch die Lehrkräfte. Für diese Mentorentätigkeit seien deshalb Entlastungsstunden notwendig.

Die während der Corona-Krise entstandenen Modelle sollten weitergeführt und ausgeweitet werden, meint Hoffmann, unabhängig davon, wie sich das Verhältnis von Präsenz- und Fernunterricht im nächsten Schuljahr entwickeln wird. Bedenken, die es wohl auch in der Gewerkschaft gibt, dass dadurch die professionellen Kompetenzen der Lehrkräfte abgewertet werden könnten, könne sie nicht nachvollziehen. Schon jetzt zeichne sich ab, so Hoffmann, dass individuelle Lernbegleitung, die über die reine Nachhilfe hinausgeht, ein wichtiges Mittel sei, um die sozialen Unterschiede im Lernprozess ein wenig auszugleichen.