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Internationales

Eine Schule für Brasiliens agro-ökologische Zukunft

Vor knapp zehn Jahren hat Brasiliens Landlosenbewegung die Schule „Egídio Brunetto“ gegründet. Nun könnte die agro-ökologische Drehscheibe für Forschung und Lehre landesweit zum Modellprojekt werden.

Mehr als 20 Frauen und Männer mustern akribisch, wie ihr Seminarleiter hier einen Ast wegschneidet, dort die Unterseite der Blätter betrachtet, um Schädlingsbefall auszuschließen. Dann deutet er auf Bäume und Bananenstauden, die die empfindlichen Kakaobäume schützen. „Schatten ist ein wesentlicher Faktor. Die Pflanzen brauchen aber auch genug Nährstoffe – vor allem Biomasse, um widerstandsfähig gegen Schädlinge zu sein“, erklärt Itamar Ferreira de Matos. Der stämmige, muskulöse Mann im roten Poloshirt mit dem Logo der „Volksschule für Agrarökologie und Agrarforstwirtschaft Egídio Brunetto“ ist Lehrer an dieser Schule der Landlosenbewegung.

Die Schule liegt ganz im Süden des brasilianischen Bundesstaates Bahia, aus dieser Region stammt auch Ferreira de Matos. Er ist Autodidakt und hat wie so viele andere Kleinbauern aus dem im Südosten Brasiliens gelegenen und von der Landwirtschaft lebenden Bundesstaat ein paar Hektar Land durch eine Landbesetzung der „Bewegung der Landarbeiter ohne Boden“ (MST) erstritten. Anschließend hat er Erfahrungen im Anbau von Kaffee und Kakao sowie Obst und Gemüse gesammelt. Beim Kakao ist Ferreira de Matos außerordentlich erfolgreich und gibt sein Wissen nun weiter – an Bäuerinnen wie Arhes Paula Soures oder an den 17-jährigen Bruno, die heute zur Gruppe gehören.

Umsonst, fundiert und permanent aktualisiert

Die 38-jährige Paula Soures weiß genau, was sie will: „Lernen wie ich Kakao pflanze, gute Erträge bekomme und was die Geheimnisse der einzelnen Kakaosorten sind.“ Bruno dagegen hat folgendes Ziel: „Ich will meine Eltern unterstützen, hole mir in den Kursen an der ,Egídio Brunetto‘ die nötige Expertise für den Anbau von Pfeffer, Kaffee oder Chilischoten.“

Die Seminare werden von der über neun Abteilungen verfügenden Volksschule unentgeltlich angeboten. „Das gesamte Areal um die Schule, 2.300 Hektar Land, wurde vor rund 30 Jahren von der MST besetzt, und vor fast zehn Jahren wurden die Landtitel an die Familien und unsere Organisation übertragen“, erklärt Schuldirektor Felipe Campelo. Der großgewachsene Mann von Ende 50 hat einen akademischen Background, ist von Beginn an dabei und freut sich, dass der kleine, einst von karger Steppe umgebene Hof zur blühenden Landschaft geworden ist.

Über rund zwölf Hektar erstreckt sich die Schule. Von Beginn an wurden aus der Region stammende Bäume angepflanzt, der Boden durch Biomasse peu á peu verbessert, so dass heute deutlich mehr Wasser gebunden wird und die Erträge steigen. Das führt dazu, dass die 160 Familien, die mit der und für die Schule arbeiten, mehr Einnahmen haben. Überschüsse werden über die MST-Kette von Agrarläden, die „Amazém do Campo“ heißen, in benachbarten Städten wie Prado und Porto Seguro verkauft. Die Erträge fließen zumindest teilweise in die Schule zurück.

„Hier sind Versuchsreihen, die an einer Uni aufwändig und zeitfressend beantragt werden müssten, quasi von heute auf morgen möglich – ein Grund, weshalb Studenten und Dozenten kommen, forschen und mittlerweile auch über unseren Ansatz publizieren.“ (Rafael Rangel)

Außergewöhnlich ist, dass Bauern auf Augenhöhe mit angehenden und etablierten Wissenschaftlern diskutieren, forschen und an neuen oder angepassten agro-ökologischen Anbaukonzepten feilen. Das fasziniert Rafael Rangel, der für die Koordination der einzelnen Abteilungen zuständig ist und als Bindeglied zur Wissenschaft fungiert. Der gut vernetzte 40-jährige Agronom mit einem Master in agroforstwirtschaftlichem Anbau betrachtet die Schule als agro-ökologisches Experimentierfeld. „Hier sind Versuchsreihen, die an einer Uni aufwändig und zeitfressend beantragt werden müssten, quasi von heute auf morgen möglich – ein Grund, weshalb Studenten und Dozenten kommen, forschen und mittlerweile auch über unseren Ansatz publizieren“, erklärt Rangel mit leuchtenden Augen.

Das jüngste Experiment an der „Egídio Brunetto“ könnte den Arabica-Kaffeeanbau nicht nur in Brasilien revolutionieren. Rangel hat mit seinen Kolleginnen und Kollegen von der Schule eine Art Schutztunnel aus Bäumen, Bananenstauden und nitratliefernden Gräsern gepflanzt, in dem die ersten Arabica-Pflanzen auf 60 Meter über dem Meeresspiegel Kaffeekirschen liefern sollen. Der Versuch mit rund 1.000 Arabica-Pflanzen der Sorten Catuai und Catucai hat einen innovativen Charakter, denn Arabica-Pflanzen wachsen normalerweise nur in Höhenlagen von 900 bis zu 2.200 Metern. Unter Kaffeeexperten gilt die Arabica-Pflanze als mega-anspruchsvoll, um nicht zu sagen zickig. Sollte das Anbau-Experiment wie erhofft gute Erträge bringen, wäre das sensationell.

Experiment mit weltweitem Vorbildcharakter

Die Resultate werden nicht nur regional, sondern auch international in ein Netz befreundeter Organisationen aus Kuba, Bolivien, Argentinien, Kolumbien und Mexiko eingespeist. Auch aus Ghana war erst vor ein paar Monaten eine Delegation da. „Mit den Kleinbauern haben wir uns vor allem über die Erfahrungen im Kakaoanbau ausgetauscht“, erklärt Rangel.

„Dieser intensive Austausch bringt die Schule voran“, ist sich Rektor Campelo sicher: „Alle neuen Erkenntnisse fließen direkt in unsere Kurse ein, sorgen für ständig aktualisierte Inhalte.“ Dieses Modell, gepaart mit dem aus Kuba stammenden Alphabetisierungskonzept, mit dem landlose Männer und Frauen aller Altersgruppen Lesen und Schreiben lernen, könnte unter der neuen Regierung auch in anderen Regionen Schule machen, hofft Campelo.

Nach vier Jahren unter der repressiven rechtsextremen Bolsonaro-Regierung ist der Rektor wieder optimistisch. Positiv sei, dass bereits die Regionalregierung des Bundesstaats Bahia die Förderung von fünf Kursmodellen bewilligt habe. Das sorgt für etwas mehr finanziellen Spielraum an der Schule und zugleich für die Hoffnung, dass sie wirklich einen Beitrag zur nachhaltigen Erneuerung Brasiliens leisten kann, wie sie die Regierung des neuen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva angekündigt hat.