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Tarifvertrag Gesundheitsschutz

"Ein voller Erfolg"

Drei Tage streikten und demonstrierten angestellte Lehrkräfte und Pädagoginnen und Pädagogen in Berlin für kleinere Klassen. Am dritten Tag trafen sich weit über 1000 von ihnen zu einer Streikversammlung.

An der Wilhelm-von-Humboldt-Gemeinschaftsschule hatten Lehrkräfte dafür gesorgt, dass der ganze Kiez im nördlichen Prenzlauer Berg mitbekommt, warum sie nicht vor Ort sind: „Machen ist wie wollen – nur krasser“ hatten sie auf ein am Schulgebäude festgezurrtes Transparent geschrieben. Und so nicht ohne Ironie darauf hingewiesen, dass die seit April in Berlin (mit der SPD) regierende CDU sich in Opposition wie Wahlprogramm stets für das eingesetzt hatte, was Tausenden Lehrkräften auf den Nägeln brennt: Es braucht kleinere Klassen.

„Nun muss es zu Verhandlungen kommen, an denen auch der Finanzsenator beteiligt ist.“ (Thomas Weiske)

Wie dringend ihnen das Anliegen ist, stellten die Berliner GEW-Mitglieder Anfang Juni gleich an drei Tagen unter Beweis: an Tag 1 mit Aktionen in den Bezirken, die von Kiez-Fahrraddemos bis zu Strategiegesprächen in Streikcafés reichten; an Tag 2 mit einer Demonstration, die unter anderem an der Bildungsverwaltung vorbei führte. Dort kam, wie Berufsschullehrer Thomas Weiske berichtet, die neue CDU-Senatorin Katharina Günter-Wünsch für einige Minuten hinaus zu den Protestierenden und führte mit einigen Demonstrierenden Gespräche. In Sachen Kommunikation werte er das als „vorsichtig gutes Zeichen“. Allerdings, ergänzte Weiske, der auch ehrenamtliches Mitglied der GEW-Tarifkommission ist: „Nun muss es zu Verhandlungen kommen, an denen auch der Finanzsenator beteiligt ist.“ Die Forderung der GEW, die bereits zwei anderen Landesregierungen auf dem Tisch lag: ein Tarifvertrag Gesundheitsschutz, dessen Kernpunkt kleinere Klassen sind – wenn nicht sofort, dann auf einem klar vereinbarten Weg.

„Ich stehe hier, damit wir alle gesund und froh durch die Schule kommen.“ (Grundschullehrerin)

Am letzten Tag des dreitägigen Warnstreiks rief die GEW Berlin erstmals zu einer Streikversammlung auf. 1000 Plätze bieten die steil aufsteigenden Bänke im Amphitheater des Berliner Mauerparks – und längst nicht alle Pädagoginnen und Pädagogen fanden Platz. Wer sich dort umhörte, bekam einen lebendigen Eindruck, wie wichtig kleinere Lerngruppen in der Praxis sind: „Das erste Mal seit Jahren“ beteilige sie sich an einem Streik, berichtete eine Grundschullehrerin, die anonym bleiben will. „Wir verlieren die Schülerinnen und Schüler. Ich unterrichte Englisch in Klassen mit 26 und 27 Schülerinnen – wie soll ich da am Kind arbeiten?“ Weder Inklusion noch individuelle Förderung seien möglich, auch eine Vollzeitstelle kaum zumutbar: „Ich arbeite selbst Teilzeit, heute früh um 5 habe ich angefangen zu korrigieren. Ich stehe hier, damit wir alle gesund und froh durch die Schule kommen.“

Andere berichteten von Kollegen und Kolleginnen, die 16 Klassen unterrichteten; von stets ausfallenden Integrations-Stunden; von – über eine Vertretungsaufsicht kaschierten – Unterricht in zwei Klassen zugleich. Thomas Weiske äußerte einen Verdacht, was die oft nicht im Zentrum stehenden Berufsschulen angeht: „Wenn im ersten Lehrjahr 35 Azubis sitzen, liegt es nahe, dass der Abbruch einiger von vornherein einkalkuliert ist. Das Gegenteil wäre wichtig: Alle so zu fördern, dass nicht so viele abbrechen.“

„Nicht der Streik, sondern der Normalzustand gefährdet die Bildung.“ (Tim Brandes)

Nicht abbrechen sollten auch angehende Lehrkräfte: „Ihr kämpft hier auch für meine künftigen Arbeitsbedingungen!“, rief der Studierende Tim Brandes den Streikenden zu, und berichtete von „schockierenden“ Zuständen in seinem Praxissemester: „Nicht der Streik, sondern der Normalzustand gefährdet die Bildung.“ Immer wieder stellten die Streikenden einen Zusammenhang zum Personalmangel an den Schulen her: „Mehr Lehrkräfte zu gewinnen ist eine Aufgabe des Senats“, erklärte auf der Bühne Anne Albers, Vorsitzende des Vorstandsbereichs Beamten-, Angestellten- und Tarifpolitik der GEW Berlin: „Frau Senatorin, setzen Sie sich mit uns und dem Finanzsenator zu Verhandlungen zusammen, am besten vor den Sommerferien.“

Was passiert, wenn das nicht geschieht, darüber wurde bei der Streikversammlung mit Verve debattiert. Mehrere Rednerinnen und Redner warben für einen fünftägigen Warnstreik, der einen unbefristeten vorbereiten solle. Andere plädierten dafür, vor allem mehr Unterstützung zu gewinnen. Die Vorschläge reichten davon, die Erzieherinnen und Erzieher mitaufzurufen bis dazu, die Eltern stärker einzubeziehen. Wieder andere berichteten, auch viele Kolleginnen und Kollegen wollten nur einzelne Tage streiken.

Tom Erdmann, Co-Vorsitzender der GEW Berlin, zog unmittelbar nach der Streikversammlung eine positive Bilanz: „Dass so viele Leute gekommen sind und sich beteiligt haben, ist ein voller Erfolg“, erklärte er. Im nächsten Schritt werde die Tarifkommission die an den drei Tagen gesammelten Erkenntnisse auswerten und mit dem Vorstand beraten. Gewiss sei bereits: „Unseren Kampf für einen Tarifvertrag Gesundheitsschutz werden wir mit Schwung fortsetzen.“