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Dialog

Die Spuren unseres Lebens

Wenn Menschen älter werden, stellen sich zunehmend Fragen: Was will ich hinterlassen? Was der Welt oder meiner Familie mitgeben? „Dialog“ hat Menschen gefragt, die unterschiedliche Antworten gefunden haben.

Seine Lebensgeschichte hinterlassen

Birgit Dahme*, Hochschulprofessorin

Klaus Dahme*, Kaufmann Chemieindustrie, Stralsund

„Vor zwei Jahren kam uns der Gedanke: Wir hätten so gern eine kleine Geschichte unseres Lebens, zusammengefasst zwischen zwei Buchdeckeln. Schöner und vielfältiger hätte dieses Leben nicht sein können, die Erinnerungen daran sollen nicht verloren gehen. Wir sind seit 55 Jahren glücklich verheiratet, oft umgezogen und jede Station war toll. Das gemeinsame Studium in Göttingen, die Familiengründung in Augsburg, unser Wechsel ins wunderschöne Stralsund – links die Ostsee, rechts die Insel Rügen. Und natürlich die regelmäßigen Auszeiten in unserem Ferienhaus auf den Balearen.

Aber aufschreiben? Das ist nicht unser Ding. Man verliert sich schnell in Details, reiht chronologisch Fakten aneinander, der Stil holpert. Völlig langweilig. Also haben wir eine Biografin beauftragt, die professionell Lebensgeschichten verfasst. Nun ja, ein paar Tausend Euro hat das schon gekostet, aber für uns hat es sich rundherum gelohnt. Eineinhalb Tage war Katrin Rohnstock da, hat uns interviewt, viel hinterfragt, Verbindungslinien gezogen, die wir bis dahin nicht gesehen hatten. Wir haben Fotos und Unterlagen gesammelt, später die Gliederung durchgesprochen. Der Prozess war ungeheuer spannend, viele verschüttete Erinnerungen sind hochgekommen, Zusammenhänge wurden uns bewusst.

Zum Beispiel, wie wichtig Zusammenhalt in unserer Familie immer war. Bei den Recherchen haben wir alte Familiendokumente ausgegraben, etwa eine Chronik von Klaus‘ im Krieg getöteten Vater, der seine Erlebnisse in der NS-Zeit schildert. Und wir haben entdeckt, wie viele Cousins und Cousinen wir haben. Nun gibt es ab und an Familientreffen.

Nach einem Jahr war unser Büchlein fertig. Superschön geschrieben, spannend zu lesen, gut geordnet. Es ist unsere Schatztruhe voller Juwelen. Immer wieder schauen wir rein und schmökern ein wenig … Weißt du noch? Auch Tochter, Enkelin und Schwiegersohn haben ein Exemplar. Unsere Tochter war von den Socken: ‚Jetzt kann ich mir viel besser vorstellen, wie eure Kindheit war und weiß endlich, was genau ihr beruflich gemacht habt, als ich klein war.‘“

Die Antworten auf die Frage, was ich anderen von mir hinterlassen will, können vielfältig sein.

Die britische Schriftstellerin Doris Lessing hat einmal sinngemäß gesagt: Wir sind, was wir an Erfahrungen sammeln. Für mich bringt es das auf den Punkt. Denn wie wir aufwachsen, welche Menschen wir kennenlernen, welche Bildungserfahrungen wir machen, welchen Beruf wir ergreifen, ob und wo wir uns politisch engagieren, prägt uns als Mensch. Sich damit auseinanderzusetzen, scheint mir sinnvoll. Wie wurde ich, wer ich bin? Welche Lebensthemen haben mich bewegt, was ist liegengeblieben, was ist mir jetzt wichtig? Wer die Antwort auf diese Fragen kennt, kann leichter ausloten, wo die Reise nun hingehen soll – und was er oder sie anderen Menschen hinterlassen will. Denn auch dieses Hinterlassen gehört dazu. Die Frage also, was will ich anderen – egal ob Familie, Freunden oder meinem professionellen und politischen Umfeld – von mir zeigen? Welche Erkenntnisse teilen, was der Welt mitgeben, damit andere ermutigt werden, ihre eigenen Wege zu gehen.

Die Formen können unterschiedlich sein: Man kann eine Autobiografie schreiben. Einige gehen zu Workshops zum biografischen Schreiben und nehmen den Stift selbst in die Hand, andere tun das mithilfe von Profis. Man kann andere begleiten oder fördern, als ehrenamtlich Beratende, als Mentor*in oder – wo möglich – mit finanzieller Unterstützung, als Sponsor*in, damit diese ihre Ideen verwirklichen können. Man kann im Team die Entwicklungen des Berufs- oder Politikfeldes dokumentieren, in dem man aktiv war. Eine Arbeitsgruppe engagierter Ruheständlerinnen verschriftlicht gerade die Geschichte der GEW-Frauenpolitik der vergangenen 30 Jahre. Sicher, was die Nachfolgenden mit diesen Hinterlassenschaften machen, entscheiden sie selbst. Wir alle hinterlassen wertvolle Spuren, die Perspektiven eröffnen können. 

Frauke Gützkow, GEW-Vorstandsmitglied, verantwortlich für Seniorinnen- und Seniorenpolitik

Frauenpower fördern

Sigrid Metz-Göckel, Professorin für Soziologie, Dortmund

„Ich war immer eine Aufmüpfige, Exotin in vielen Rollen. Habe über Hochschuldidaktik promoviert, als der Muff noch unter den Talaren hing. Kritische Uni, Entmachtung der Professoren, Mitbestimmung des nicht-pädagogischen Personals. Als ich studierte, waren nur 20 Prozent der Studierenden Frauen, als ich Professorin wurde, war ich eine von 5 Prozent. Ich bin mit der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule von Theodor W. Adorno und Max Horkheimer groß geworden. Mit der Überzeugung: Nur wer quer denkt, kann quer handeln. Ich wollte die Uni verändern und die Rolle der Frauen in der Gesellschaft. Ich habe den Arbeitskreis Wissenschaftlerinnen initiiert, der sich für Frauenbeauftragte, Frauenförderlinien und Mütter eingesetzt hat; für mehr Frauen in der Wissenschaft, damit sie andere Perspektiven in Forschung tragen. Vieles ist in den vergangenen Jahrzehnten in Bewegung gekommen, weil Frauen wie ich sich nicht die Butter vom Brot haben nehmen lassen. Wir waren aufmüpfig. Um auch andere zu ermutigen, habe ich 2004 die Stiftung Aufmüpfige Frauen gegründet.

Denn aufmüpfig zu sein, muss man sich auch leisten können. Geflüchtet aus Oberschlesien, bin ich arm aufgewachsen. Erst später als Professorin hatte ich Geld, viel mehr als ich brauchte. Aber um mich herum waren die meisten Frauen an der Uni prekär beschäftigt. Das wollte ich mit einigen anderen Mitstreiterinnen durch eine Stiftung ändern. Mehr als zehn Jahre lang haben wir Geld gesammelt, um die 60.000 Euro für eine Stiftungsgründung zusammenzubekommen. Seit 2004 verleihen wir alle zwei Jahre einen Preis an Frauen, die einen wichtigen Beitrag leisten, um die Stellung der Frauen in der Gesellschaft zu verbessern. Gemeinwohlorientiert und originell. 15 Menschen haben wir schon ausgezeichnet, 3.000 Euro bekommen die Preisträgerinnen.

Unter ihnen sind Frauen wie die Verlegerin Renate Matthei, die einen Verlag exklusiv für Werke von Komponistinnen gegründet hat, um auf die oft unterschätzte Rolle der Komponistinnen in der Musik aufmerksam zu machen. Oder die Ruhrgebietsforscherin Uta C. Schmidt, welche die Rolle von Frauen der Hüttenkumpels untersucht hat. Die Berliner Bloggerin Anne Wizorek haben wir dafür ausgezeichnet, dass sie dem jungen Feminismus im Internet ein Gesicht gegeben hat.In jeder Auswahlrunde lerne ich neue Welten kennen, das ist das Schönste für mich. Es gibt so viele neue, tolle Feministinnen jeden Alters. Mit der Stiftung will ich ein wenig von meiner Lebenshaltung, meinen Überzeugungen hinterlassen. Wir sind ein kinderloses Ehepaar, die Stiftung erbt unser Geld und unsere Immobilien, wenn mein Mann und ich nicht mehr da sind. Das fühlt sich gut an.“ 

*Namen von der Redaktion geändert

Eberhard Heim, Realschullehrer Erziehungswissenschaft und Geschichte sowie Schulrat im Kreis Stormarn, Schleswig-Holstein, seit 2008 im Ruhestand

Im Ruhestand habe ich einen Lesekreis für Seniorinnen und Senioren gegründet, alle zwei Montage treffen wir uns in einem Lokal und sprechen über Bücher. Dörte Hansen ,Zur See‘, Helga Schubert ,Vom Aufstehen‘. Literatur ist für mich eine große Inspiration. Regelmäßig besuche ich mit meiner Frau den Lesetisch bei uns im Ort, wir lieben die anregenden, lebendigen Diskussionen dort.

Seit 53 Jahren bin ich nun GEW-Mitglied, bis heute aktiv im Kreisvorstand. Neunmal im Jahr treffen wir uns zu Klausurkonferenzen: Was können wir in der Region anschieben, was wollen unsere Leute? Wir organisieren zum Beispiel Workshops zur Auseinandersetzung mit Familiengeschichte auf dem Seniorenbildungstag. Wir laden dazu Gäste wie die Schriftstellerin Sabine Bode ein, Autorin von Büchern wie ,Nachkriegskinder‘. Auch privat beschäftige ich mich mit diesem Thema: Welchen Einfluss hatte die Familie auf mein Leben, auf das Leben meiner Kinder und Enkel? Generativität nennt man das Forschungsfeld. Eine große Rolle spielen natürlich Krieg und Nachkriegszeit. Was haben unsere Eltern im Nationalsozialismus gemacht? Wie hätten wir selbst gehandelt?

Zukunft heißt für mich letztlich auch: bewahren, was ich mir im Leben aufgebaut habe. Einmal im Jahr mache ich mit den engsten Freunden eine kleine Reise. Regelmäßig treffe ich mich mit anderen zur Skatrunde – seit 50 Jahren. Ich spiele auch wieder Klavier und pflege die körperliche und geistige Gesundheit: Schwimmen, Walken, Gymnastik genauso wie Lesen oder mit den Enkelkindern spielen. Das hält frisch und fit.“ 

Erinnerungen hinterlassen

Wie packe ich das an?

Online Tipps holen

Keine Erfahrung im autobiografischen Schreiben? Die Seite generationen-gespräch.de etwa gibt eine hilfreiche Schritt-für-Schritt-Anweisung. Zum Beispiel Fragebögen nutzen, um einem roten Faden in der Lebensgeschichte auf die Spur zu kommen; ein Notizbüchlein für spontane Einfälle mit sich tragen; sich bildhaft in die Situation zurückdenken, um anschaulich schildern zu können. Die Seite www.mentorium.de/biografie-schreiben/ hat zur Inspiration Beispiele bekannter Biografien gesammelt und eine How-to-Liste zusammengestellt.

Sich weiterbilden

Einige Institute bieten Fernlehrgänge oder Vor-Ort-Weiterbildungen an. An den Volkshochschulen (VHS) findet sich vom Thema Biografiearbeit bis zum Schreibcoaching bundesweit eine Vielfalt von Angeboten. Einen Überblick liefert der VHS-Kursfinder www.volkshochschule.de. Auch private Anbieter bundesweit haben Autobiografie-Workshops im Repertoire, zum Beispiel im gemeinnützigen Verein Memory-Werkstatt (www.memory-werkstatt.de) oder in der Schule des Schreibens (www.schule-des-schreibens.de).

Profis engagieren

Keine Lust, selbst zum Stift zu greifen? Vielleicht ist die Unterstützung vom Profi das Richtige. Je nach Aufwand kostet eine Autobiografie bis zu 20.000 Euro. Denn meist kommen dafür Biografinnen oder Biografen zum persönlichen Gespräch, Interviews und Unterlagen werden ausgewertet, eine Storyline wird erstellt, der Text verfasst. Am Ende steht ein Buch – in Print oder digital. Wichtig: Vorab genau Vorgehen und Leistungsumfang klären und um Beispielarbeiten bitten. Tipps zum Check bei der Vereinigung deutschsprachiger Biografinnen und Biografen: www.biographiezentrum.de.