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Bildungsfinanzierung

Der Anti-Matthäus-Effekt

Über Sozialindizes können Länder und Kommunen steuern, dass benachteiligte Schulen mehr Ressourcen bekommen. Langfristig soll das für mehr Chancengleichheit sorgen. Die Umsetzung ist aber gar nicht so einfach.

Ungleiches ungleich zu behandeln, heißt: Schulen, die in schwierigen Lagen arbeiten, müssen besser finanziert werden als Schulen in wohlhabenden Vierteln. (Foto: IMAGO/photothek)

Der Begriff „Matthäus-Effekt“ stammt aus der Soziologie, ist aber auch in der Bildungspolitik bestens bekannt: Wer schon hat, dem wird noch mehr gegeben. Wer wenig hat, geht häufig leer aus. Das Prinzip lässt sich ebenso auf Schulstandorte anwenden: Einrichtungen in guten Lagen profitieren von ihrem Umfeld, von Kindern aus einkommensstarken Familien und umtriebigen Eltern. Sogenannte Brennpunktschulen unterrichten dagegen viele Kinder aus ärmeren Haushalten, es fehlt an außerschulischer Unterstützung, die Ausstattung ist oft schlechter. Und so zeigt sich exemplarisch, wie sich soziale Benachteiligung auch bildungspolitisch auswirkt.

Gegensteuern lässt sich mit Sozialindizes; über eine gezielte Ressourcenverteilung soll eine Art Anti--Matthäus-Effekt geschaffen und Ungleiches auch ungleich behandelt werden. Vereinfacht gesagt: Schulen in schwierigen Lagen bekommen mehr Personal, Geld oder andere Unterstützung als Schulen im Speckgürtel.

„Die Kommunen wissen zwar, wo es brennt. Trotzdem gibt es viele Fallstricke.“ (Katharina Knüttel)

Sozialindizes auf Landesebene können helfen, die Zuweisung von Lehrerinnen und Lehrern zu steuern. Das wird zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen, Hessen, Bremen, Hamburg und Berlin gemacht. Aber auch die Kommunen können als Schulträger Ressourcen anders steuern – etwa über die Schulsozialarbeit. Die Sozialwissenschaftlerin Katharina Knüttel und der Statistik-Experte Thomas Groos haben sich im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung genauer angeschaut, wie Sozialindizes auf kommunaler Ebene angewendet werden können. Ihre Analyse zeigt, dass es sinnvoll sein kann, Sozialindizes auf Landes- und kommunaler Ebene zu verbinden. Denn die Kommunen, sagt Knüttel, seien näher dran an den Problemen.

Die Studie zeigt aber auch, dass es gar nicht einfach ist, die richtigen Parameter für einen Index zu finden. „Die Kommunen wissen zwar, wo es brennt. Trotzdem gibt es viele Fallstricke“, weiß Knüttel: Welche Daten sind verfügbar? Was sagt der Datenschutz? Welches konkrete Ziel hat der Index, und gibt es einen politischen Konsens für die Umsetzung? Ein Schulsozialindex sei kein Selbstzweck, so die Analyse von Knüttel und Groos. „Nur weil es einen Index gibt, ändert sich noch lange keine Planung, keine Mittelverteilung, keine politische Debatte zur Ungleichheit im Bildungssystem.“

Andere Indikatoren nötig

Bisher hängt die Ressourcenausstattung im deutschen Bildungssystem nach Einschätzung vieler Expertinnen und Experten meist an wenigen Einflussgrößen: der Zahl der Schülerinnen und Schüler, dem Verhältnis Lehrkraft/Schülerzahl und einem Grundbedarf jeder Schule. Noch gröber wird das Raster, wenn der Bund Mittel an die Länder verteilt – wie etwa jüngst beim milliardenschweren Corona-Aufholpaket der Bundesregierung.

Die GEW fordert deshalb schon lange eine Vergabe nach der sozioökonomischen Lage der Länder und kritisiert die übliche Verteilung, die sich am Umsatzsteueraufkommen orientiert. Nach Ansicht des Bildungsforschers Detlef Fickermann wäre es viel sinnvoller, auch hier einen Sozialindex zugrunde zu legen. So könnten „Schulen in pädagogisch herausfordernder Lage besonders gefördert“ werden – und damit benachteiligte Schülerinnen und Schüler besser profitieren, betont Fickermann.

Aber auch bei der Ressourcenverteilung innerhalb der Länder ist eine Index-Steuerung nicht selbstverständlich. „Flächenstaaten tun sich schwerer damit als Stadtstaaten“, sagt Knüttel. Grund sind häufig statistische Probleme. So wird in den amtlichen Schulstatistiken in der Regel zwar der Migrationshintergrund erfasst, aber nicht der soziale Hintergrund. Deshalb behelfen sich Kommunen damit, Migration als Parameter für die soziale Lage zu nehmen.

Beide Parameter stimmen nach Überzeugung von Knüttel und Groos aber nicht zwangsläufig überein. Sie halten sie sogar für diskriminierend und empfehlen stattdessen, Indikatoren wie Bildung und Einkommen der Eltern heranzuziehen und/oder den Bezug staatlicher Leistungen. Hilfreich könnten auch Individualdaten von Kindern sein – etwa Daten von Schuleingangsuntersuchungen.

„Bislang wird in der Regel der bestehende Kuchen etwas anders verteilt – und nur selten diskutiert, ob der Kuchen nicht insgesamt zu klein ist.“ 

Ein Index allein, so das Fazit von Knüttel und Groos, schaffe aber Benachteiligung nicht ab. Erst wenn er fester Bestandteil einer kommunalen Bildungsstrategie werde, könne er helfen, soziale Ungleichheiten zu kompensieren. Und noch etwas geben Knüttel und Groos den politischen Akteurinnen und Akteuren mit auf den Weg: „Bislang wird in der Regel der bestehende Kuchen etwas anders verteilt – und nur selten diskutiert, ob der Kuchen nicht insgesamt zu klein ist.“