GEW-Studie zu migrierten Lehrkräften
Berufserfahrung wird nicht gewürdigt
Während die Länder zur Bekämpfung des Lehrkräftemangels zahllose Quer- bzw. Seiteneinsteigerinnen und -einsteiger engagieren, stoßen gut ausgebildete migrierte Kolleginnen und Kollegen auf hohe Hürden.
Die GEW untersucht den Missstand jetzt in einer Studie – und fordert die Gleichbehandlung der Qualifikationen, die nicht in Deutschland erworben worden sind.
Als Referent für Bildungspolitik der GEW Hessen kennt Roman George viele Tücken des Schulsystems. Seit einigen Monaten allerdings stößt der Politikwissenschaftler auf bisher kaum geahnte Fallstricke für Lehrkräfte mit ausländischen Abschlüssen. „Der Weg in den Beruf ist in Deutschland für migrierte Lehrkräfte wahnsinnig schwierig“, sagt George. „Die Anerkennung ihrer Qualifikation ist im Vergleich zu anderen Berufsgruppen mit besonders hohen Hürden versehen – formale Abschlüsse spielen eine ganz zentrale Rolle.“ Zurzeit erstellt der Referent im Auftrag der GEW eine Studie zur Anerkennungs- und Beschäftigungspraxis migrierter Lehrkräfte und sucht auch nach Best-Practice-Beispielen. Rund 25 qualitative Interviews hat er geführt, mit zugewanderten Lehrerinnen und Lehrern ebenso wie mit Fachleuten.
„Die hohen Sprachvoraussetzungen in Deutschland sind häufig ein gravierendes Hindernis.“ (Roman George)
Was George dabei gehört hat, ließ ihn mitunter erschrecken. Da war der markante Fall einer Lehrerin aus Rumänien, die schon mehr als ein halbes Jahr auf die Anerkennung ihres Berufsabschlusses wartete und nicht wusste, was ihr bevorstand. Obwohl sie hervorragend Deutsch spricht, musste sie noch die Hürde einer Zertifizierung mit dem höchsten Sprachlevel C2, dem Großen Deutschen Sprachdiplom, nehmen. Statt ihre Kompetenzen zu nutzen, ließ das Bundesland die Frau lieber im Unklaren zu Hause sitzen – während ihr Mann längst als Chirurg in einer Klinik operieren durfte. „Die hohen Sprachvoraussetzungen in Deutschland sind häufig ein gravierendes Hindernis“, berichtet George. „Die notwendigen Deutsch-Sprachkurse, um das geforderte Niveau zu erreichen, werden aber gar nicht flächendeckend in allen Bundesländern angeboten.“ Einige Länder organisierten allerdings inzwischen zielgruppengenaue Fachsprachenangebote, um benötigte Kompetenzen zu vermitteln.
Die Universität Potsdam hat 2016 ein Programm für geflüchtete Lehrkräfte aufgelegt – heute ist es beispielgebend.
Als im Sommer 2015 mehr als eine Million geflüchtete Menschen nach Deutschland kamen, reagierte die Uni Potsdam sofort. Noch 2016 startete sie das bundesweit einzigartige „Refugee Teachers Program“ – ein bis heute erfolgreiches Qualifizierungsprogramm für geflüchtete Lehrkräfte. Mittlerweile wurde das Angebot auf alle Lehrkräfte mit Migrationsgeschichte und ausländischer Berufsqualifikation ausgeweitet und weiterentwickelt. Die Teilnehmenden, die über einen Hochschulabschluss und Berufspraxis in ihrem Herkunftsland verfügen müssen, werden in vier -Semestern sprachlich, fachlich, pädagogisch und interkulturell für die -Arbeit an brandenburgischen Schulen vorbereitet.
Aktuell sind zehn Teilnehmende dabei. Das Programm ermöglicht ihnen in vier Semestern neben dem Erlernen der deutschen Sprache bis zum Level C1 gute Einblicke ins Schulsystem sowie Hospitationen. Zudem besteht die Chance, Mathe, Physik, Sport und Wirtschaft-Arbeit-Technik als zweites Fach zu studieren. Weitere Fächer wie Englisch sollen dazukommen. Danach folgen ein Jahr schulpraktische Qualifizierung und eine Eignungsprüfung oder ein Anpassungslehrgang. Klares Ziel: die vollständige Lehramtsqualifikation.
„Unser Land wird davon profitieren, wenn es uns gelingt, Zuwandererinnen und Zuwanderer für unsere Hochschulen und Schulen zu gewinnen.“ (Manja Schüle)
Das Land Brandenburg finanziert das Refugee Teachers Program aktuell mit jährlich 500.000 Euro. „Unser Land wird davon profitieren, wenn es uns gelingt, Zuwandererinnen und Zuwanderer für unsere Hochschulen und Schulen zu gewinnen“, sagt Wissenschaftsministerin Manja Schüle (SPD). Bis September 2020 wurden 160 geflüchtete Lehrkräfte zum Programm zugelassen, 105 haben es erfolgreich abgeschlossen. Von ihnen seien bisher 39 im brandenburgischen -Schuldienst angekommen – elf unbefristet, 26 befristet und zwei in Elternzeit, erzählt Projektleiterin Anna Aleksandra Wojciechowicz. Einige Absolventen seien auch in Berlin untergekommen. Zudem schlügen etliche Abgängerinnen und Abgänger andere Wege ein, etwa als Erzieherinnen und Erzieher, als Vertretungslehrkräfte oder sie nähmen Stellen an Freien Schulen an, so Wojciechowicz.
Hohe formale Hürden
Außer den hohen Sprachanforderungen gibt es mindestens ebenso hohe formale Barrieren. Selbst wenn manche Lehrkräfte zehn Jahre und mehr Berufspraxis aus ihren Heimatländern mitbringen, müssen sie haarklein Studienleistungen und Punkte nachweisen oder nachholen. „Berufserfahrung wird nicht gewürdigt“, sagt George. Ein weiteres zentrales Problem sei das zweite Unterrichtsfach, das in den meisten Bundesländern verlangt wird – während Lehrkräfte in vielen Herkunftsländern nur in einem Unterrichtsfach ausgebildet werden. Allerdings nehmen mittlerweile manche Bundesländer migrierte Lehrkräfte trotzdem in den Schuldienst auf – und lassen sie berufsbegleitend ein zweites Fach studieren.
Klar ist: Die hohen Anforderungen haben gravierende Folgen. „Ein Großteil der im Ausland ausgebildeten Lehrkräfte kann in Deutschland nicht im erlernten Beruf tätig werden“, sagt George. Nach dem jüngsten Anerkennungsbericht der Bundesregierung geht er davon aus, dass von rund 4.000 Interessierten im Jahr, die eine Beratung aufsuchen, lediglich knapp 2.500 Anerkennungsanträge stellen. Nur in jedem zehnten Fall wird eine volle Gleichwertigkeit anerkannt, während rund 15 Prozent pauschal abgelehnt werden. Mehr als zwei Drittel der Antragsteller bekommen indes teils aufwändige und kostspielige Ausgleichsmaßnahmen auferlegt, wie langwierige Anpassungslehrgänge von bis zu drei Jahren – teils ohne Verdienst.
„Für die GEW ist es eine gewerkschaftliche Selbstverständlichkeit, die Kolleginnen und Kollegen in der Anerkennung ihrer Qualifikationen zu unterstützen.“ (Juri Haas)
„In kaum einem anderen Beruf sind die Hürden so hoch wie im Lehramt“, sagt George. Viele der Kolleginnen und Kollegen würden sich daher in Jobs als Seiteneinsteigerinnen und -einsteiger, Unterrichtshilfe oder Sprachförderkraft flüchten oder Vertretungsverträge annehmen, die allerdings schlechter bezahlt oder nur befristet sind. Georges Fazit: „Eine Vereinfachung und bundesweite Koordination der Länder wäre sehr im Interesse migrierter Lehrkräfte – und der interkulturellen Öffnung der Schulen.“
Juri Haas sieht das ähnlich. Der Dresdner ist Mitglied des Leitungsteams im Bundesausschuss Migration, Diversity, Antidiskriminierung (BAMA) der GEW und hat einen Antrag zum Gewerkschaftstag mit verfasst. „Lehrkräfte mit ausländischen Berufsabschlüssen stoßen im deutschen Schulsystem zu oft auf ungerechtfertigte Hürden“, kritisiert Haas. „Für die GEW ist es eine gewerkschaftliche Selbstverständlichkeit, die Kolleginnen und Kollegen in der Anerkennung ihrer Qualifikationen zu unterstützen.“ Eine Debatte des Themas auf dem Gewerkschaftstag im Juni musste indes verschoben werden – pandemiebedingt.