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Sportunterricht - was muss sich ändern?

Ausgeschwommen

Immer mehr Grundschulkinder können nicht schwimmen. Mit fatalen Folgen für Gesundheit und soziales Leben der Mädchen und Jungen.

Die Schwimmkompetenz von Kindern in Deutschland ist so niedrig wie nie. Dafür gibt es viele Gründe: geschlossene Schwimmbäder, Fachkräftemangel und zuletzt auch die Corona-Pandemie. (Foto: IMAGO/IlluPics)

Die Zahlen sind alarmierend: Der Anteil der Grundschulkinder, die nicht schwimmen können, hat sich seit 2017 von 10 auf 20 Prozent verdoppelt. Das ist umso schlimmer als beim Schwimmen gilt, dass Hans nicht mehr lernt, was Hänschen versäumt hat. „Die Bereitschaft, das im Erwachsenenalter nachzuholen, ist schwach ausgeprägt und nimmt mit steigendem Alter immer weiter ab“, sagt Martin Holzhause, Sprecher der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG), der mit 580.000 Mitgliedern größten freiwilligen Wasserrettungsorganisation der Welt.

Das hat dramatische Folgen: 2022 sind in Deutschland mindestens 355 Menschen ertrunken, ein Plus von 19 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Unter den Todes-fällen waren auch 20 Kinder im Alter bis zu zehn Jahren. Die hohe Zahl erklärt sich auch dadurch, dass Menschen, die nicht schwimmen können, deswegen nicht automatisch dem Wasser fernbleiben. Rettungskräfte berichten, dass einige ertrinken, weil sie sich zu weit ins Wasser trauen oder am Uferrand ausrutschen, andere, weil sie vom Tretboot oder Stand-Up-Paddle-Board fallen.

Laut einer Forsa-Studie kann jedes fünfte zehnjährige Kind nicht schwimmen.

Traurig ist auch der soziale Aspekt. Laut einer Forsa-Studie kann jedes fünfte zehnjährige Kind nicht schwimmen, bei den Kindern aus Familien mit einem verfügbaren Netto-Haushaltseinkommen von weniger als 2.500 Euro monatlich ist es hingegen jedes zweite. Bei jungen Muslima ist der Anteil der Nichtschwimmerinnen am höchsten.

Besorgniserregend sind die schleichenden Folgen der fehlenden Schwimmkompetenz wie Fettleibigkeit (Adipositas) oder Herz-Kreislauf-Probleme. Das gilt für alle Sportarten, nicht nur fürs Schwimmen. Doch hier ist es besonders fatal, wenn sich Jugendliche nicht sicher über Wasser halten können. Wer nicht gut Fußball spielt, kann trotzdem im Freibad mitkicken und verbrennt Kalorien. Wer nicht schwimmen kann, geht hingegen oft gar nicht erst mit zum Badesee.

Personalmangel und Bädersterben

Dass die Schwimmkompetenz bei Kindern auf einem Rekord-Niedrigniveau liegt, hat mehrere Gründe. Da wäre nicht zuletzt die Corona-Pandemie, während der die Bäder geschlossen waren. Seither fehlen laut DLRG fast zwei komplette Jahrgänge an Schwimmmeistern und Rettungsschwimmern. Gut 3.000 Stellen sind nicht besetzt, es fehlt allerorten an Personal, das Schwimmkurse leiten kann.

Auch das Bädersterben schlägt voll durch. Schon vor 15 Jahren lag bei jeder vierten Grundschule das nächstgelegene Schwimmbad zu weit entfernt, als dass Schwimmunterricht hätte angeboten werden können. Seither sind bundesweit noch einige Hundert Bäder mehr geschlossen worden. Oder sie wurden privatisiert und in Spaßbäder umgewandelt. Als Ort, an dem sich Jugendliche verabreden, um ein paar Bahnen zu ziehen, fallen diese aber aus.

Der Personalmangel trifft zudem derzeit auch Kommunen, in denen die Schwimm-Infrastruktur noch halbwegs komfortabel ist. Beispiel Karlsruhe: Die 300.000-Einwohner-Stadt hat vier Freibäder. Da erneut nicht genug Personal geworben werden konnte, bleibe im kommenden Sommer wohl ein Bad ganz zu, fürchtet Bäderchef Oliver Sternagel. Oder im größten Schwimmbad der Stadt, das an heißen Tagen schon mal 8.000 Menschen besuchen, werde eins von fünf Becken geschlossen: das Schwimmerbecken, natürlich.

Das in allen 16 Landesbildungsplänen formulierte Ziel, dass alle Kinder im Alter von zwölf Jahren schwimmen können sollen, wird flächendeckend verfehlt.

Auch die Defizite beim Schwimmunterricht verschärfen das Problem. Das in allen 16 Landesbildungsplänen formulierte Ziel, dass alle Kinder im Alter von zwölf Jahren schwimmen können sollen, wird flächendeckend verfehlt. Zwar konnte und kann Schulsport alleine keine Top-Schwimmer ausbilden. Ein Kind, das in seiner Freizeit keinen Sport macht oder sich nicht gerne bewegt, wird in zwei Wochenstunden nicht zum sicheren Schwimmer. Doch für viele Erwachsene, die heute gerne schwimmen, war einst der Schulunterricht die Initialzündung. Umso fataler sind auch hier die Folgen des Lehrkräftemangels.

Gerade im Grundschulbereich wird Sport oft fachfremd unterrichtet. Doch wer keine „Rettungsschwimmer“ hat, darf keinen Schwimmunterricht geben. Auch das ist ein Grund, warum dieser dann so oft ausfällt. Ein anderer Grund liegt auf der Hand: In einem Land, in dem es immer weniger Bäder gibt, müssen immer mehr Schülerinnen und Schüler lange Strecken mit dem Bus zurücklegen, abzüglich Duschen und Umziehen bleibt dann von einer Doppelstunde Unterricht häufig nicht einmal mehr eine halbe Stunde übrig.