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Ist das BAföG verfassungskonform?

Ausbildungsförderung anheben und reformieren!

GEW und fzs fordern noch zum Beginn des Wintersemesters 2023/2024 eine BAföG-Reform, welche die Bedarfssätze für Studierende auf mindestens 930 Euro anhebt. Hintergrund ist ein Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht.

Fzs und GEW gehen auf Basis einer Stellungnahme des Rechtsanwaltes Joachim Schaller davon aus, dass das BAföG in seiner aktuellen Form nicht verfassungskonform sei. (Foto: GEW)

Der freie zusammenschluss von student*innenschaften (fzs) und die GEW fordern die Bundesregierung auf, eine umfassende Reform des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG) noch 2023 auf den Weg zu bringen. Beide Organisationen gehen auf Basis einer Stellungnahme des Hamburger Rechtsanwaltes Joachim Schaller davon aus, dass das BAföG in seiner aktuellen Form nicht verfassungskonform sei.

Bereits im Mai 2021 hatte das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Feststellung der BAföG-Bedarfssätze angemeldet, aus diesem Grund ein Verfahren ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) vorgelegt. Das BVerfG prüft derzeit, ob die Festsetzung der BAföG-Bedarfssätze für Studierende mit dem Grundgesetz vereinbar sei.

„Die Bundesregierung sollte der absehbaren Klatsche aus Karlsruhe zuvorkommen und jetzt die Weichen für eine BAföG-Reform stellen.“

„In der Zwischenzeit haben Inflation und Mietpreissteigerungen die Ausbildungs- und Lebenshaltungskosten weiter in die Höhe getrieben. Das BAföG ist zum Wintersemester 2022/23 aber gerade mal um 5,75 Prozent erhöht worden. Hinzu kommt die Erhöhung der Pflegeversicherungsbeiträge zum 1. Juli 2023, für die es im BAföG keine Anpassung gibt, sowie die zum 1. Januar 2024 geplante Anhebung der Krankenversicherungsbeiträge. Die Bundesregierung sollte der absehbaren Klatsche aus Karlsruhe zuvorkommen und jetzt die Weichen für eine BAföG-Reform stellen“, sagten GEW-Hochschulexperte Andreas Keller und fzs-Vorständin Rahel Schüssler am Donnerstag. Fzs und GEW hatten die 67 Seiten lange Stellungnahme gemeinsam mit Schaller gegenüber dem Bundesverfassungsgericht abgegeben.

„Die BAföG-Bedarfssätze verstoßen gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums und verletzen darüber hinaus die Grundrechte der Berufswahlfreiheit und das Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes.“ (Joachim Schaller)

Die juristische Argumentation ist eine hochkomplexe Rechenaufgabe. Schaller, der die Klage einer Studentin gegenüber dem Bundesverwaltungsgericht geführt und so die Überprüfung des BAföG durch das Bundesverfassungsgericht initiiert hatte, erläuterte am Donnerstag: „Der BAföG-Bedarfssatz beträgt für Studierende 452 Euro zuzüglich einer Wohnpauschale von 360 Euro, wenn diese nicht bei den Eltern wohnen. Diese insgesamt 812 Euro sind 118 Euro weniger als der Unterhaltsbedarfssatz nach der Düsseldorfer Tabelle, der 930 Euro beträgt, und 97 Euro weniger als das steuerliche Existenzminimum von 909 Euro.“

Seine Schlussfolgerung daraus: „Die BAföG-Bedarfssätze verstoßen gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums und verletzen darüber hinaus die Grundrechte der Berufswahlfreiheit und das Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes.“

„Da die BAföG-Bedarfssätze seit Inkrafttreten des Gesetzes 1971 nur sehr unregelmäßig und unvollständig angepasst worden sind, ist die Schere zwischen dem studentischen Existenzminimum und den gesetzlichen Bedarfssätzen immer größer geworden.“

Der Gesetzgeber habe zudem „kein transparentes und sozialstaatskonformes Verfahren“ zur regelmäßigen Anpassung der Bedarfssätze im BAföG verankert, kritisierte Schaller weiter. „Da die BAföG-Bedarfssätze seit Inkrafttreten des Gesetzes 1971 nur sehr unregelmäßig und unvollständig angepasst worden sind, ist die Schere zwischen dem studentischen Existenzminimum und den gesetzlichen Bedarfssätzen immer größer geworden - und auch aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht mehr verfassungskonform.“

Lücke vergrößert sich

Der Rechtsanwalt rechnete im Detail weiter vor: „Seit Anfang 2023 betrug bei selbst krankenversicherten Studierenden unter 30 Jahren die Differenz zwischen dem BAföG-Bedarfssatz für Kranken- und Pflegeversicherung und den durchschnittlichen Beiträgen 1,59 Euro. Diese steigt zum 1. Juli 2023 für die meisten Studierenden auf 6,46 Euro, ohne dass im BAföG eine Anpassung erfolgt. Für kinderlose Studierende über 30 Jahre vergrößert sich die seit Anfang 2023 bestehende Lücke von 9,02 Euro zum 1. Juli 2023 auf 15,81 Euro.“ Studierende müssten aus dem BAföG-Bedarfssatz zudem nicht nur ihren Lebensunterhalt, sondern auch ihre Ausbildungskosten finanzieren.

„Es ist ein Skandal, dass der BAföG-Bedarfssatz hinter dem Existenzminimum zurückbleibt.“ (Rahel Schüssler)

Auch Schüssler betonte: „Es ist ein Skandal, dass der BAföG-Bedarfssatz hinter dem Existenzminimum zurückbleibt. Wir brauchen noch zum Beginn des Wintersemesters 2023/2024 eine BAföG-Reform, die die Bedarfssätze für Studierende in einem ersten Schritt auf eben dieses anhebt, also auf mindestens 930 Euro zuzüglich eines kostendeckenden Zuschusses für die Pflege- und Krankenversicherung. Darüber hinaus fordern wir die Verankerung eines transparenten Verfahrens zur qualifizierten Ermittlung der Bedarfssätze und ihrer regelmäßigen Anpassung an die Ausbildungs- und Lebenshaltungskosten.“

„Kein Wunder, dass wir hohe Abbruchquoten haben.“ (Andreas Keller)

Die fzs-Vorständin kritisierte, Ausbildung bliebe in Deutschland ein Armutsfaktor. „Studierende und junge Menschen im allgemeinen fühlen sich wirklich im Stich gelassen.“ Viele wüssten schon jetzt nicht mehr, wie sie sich angesichts steigender Mieten und Lebenshaltungskosten ihr Studium weiter leisten sollten. „Kein Wunder, dass wir hohe Abbruchquoten haben“, sagte auch Keller. Er verwies darauf, dass die Delegierten des GEW-Gewerkschaftstages 2022 einen Dringlichkeitsantrag verabschiedet hätten, der eine deutliche Erhöhung der studentischen Ausbildungsförderung auf 1.200 Euro fordere. Nur 13 Prozent der Studierenden erhielten überhaupt noch BAföG.  

Die Bundesregierung müsse die Ausbildungsförderung daher nicht nur erhöhen, sondern noch in dieser Wahlperiode ihr Versprechen einer umfassenden Strukturreform einlösen, sagte Keller: „Dazu gehören die Anpassung der Förderdauer an die tatsächlichen Studienzeiten, die herkunftsunabhängige Ausgestaltung des BAföG, die Streichung aller Altersgrenzen, die Wiedereinführung der Regelförderung von Schülerinnen und Schüler ab der Sekundarstufe I und perspektivisch die Weiterentwicklung der Ausbildungsförderung zu einem elternunabhängigen staatlichen Studienhonorar.“

Hier finden Sie die Stellungnahme von fzs, GEW und Rechtsanwalt Schaller und den entsprechenden Fragenkatalog des Bundesverfassungsgerichts.