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1.06 Internationale Solidarität und Zusammenarbeit stärken – gerade jetzt!

Die GEW fordert den Einsatz für Menschenrechte und Demokratie und ein verstärktes friedenspolitisches Engagement.

Die globale Corona-Pandemie mit Millionen Covid-19-Infizierten, hunderttausenden Toten, wiederholten Shutdowns mit dramatischen wirtschaftlichen und sozialen Folgen wie Massenarbeitslosigkeit, Armut und Rückschritte bei der Gleichstellung hat weltweit viele Menschen in eine verzweifelte Situation gebracht. Die Corona-Krise ist auch eine Bildungskrise: Sie verschärft soziale Ungleichheit und Bildungsbenachteiligung, Kinderarbeit und frühe Schwangerschaften nehmen wieder zu.

Dabei war die Welt schon vor Corona in keinem guten Zustand: Hass und Gewalt sind seit Jahren auf dem Vormarsch, demokratische Errungenschaften bedroht, soziale und Arbeitnehmerrechte unter Druck. Eine zunehmende Zahl von Staaten wird von nationalistischen und autoritären Regierungen regiert, die gegen Minderheiten hetzen, Gesellschaften spalten und vor Krieg und Vertreibung als Mittel der Politik nicht zurückschrecken.

Statt Friedenssicherung und Rüstungskontrolle zu betreiben, wird weltweit massiv aufgerüstet. Nie zuvor seit dem Zweiten Weltkrieg wurde so viel Geld für Waffen ausgegeben und waren international so viele Menschen auf der Flucht. Die Europäische Union und ihre Mitgliedsstaaten schotten sich gegenüber Geflüchteten weiter ab. Insbesondere in den Camps an den europäischen Außengrenzen ist eine menschenwürdige Unterbringung, ein angemessener Zugang zu Gesundheitsversorgung und Bildung nicht gegeben. Bildung als Menschenrecht und öffentliches Gut wird mehr und mehr in Frage gestellt. Internationale Konzerne und transnationale Institutionen propagieren Bildung als Geschäftsmodell und forcieren die Privatisierung und Kommerzialisierung von Bildungseinrichtungen. Die GEW bekräftigt vor diesem Hintergrund den Beschluss des Gewerkschaftstags 2017 „Solidarität ist unsere Kraft: Weltweit für Frieden und Gerechtigkeit“ als Leitlinie der internationalen Arbeit. Die darin enthaltenen Forderungen sind heute so aktuell wie 2017. Zusätzlich werden folgende Arbeitsschwerpunkte im Bereich der internationalen Arbeit gesetzt:

Internationale und bilaterale Zusammenarbeit stärken

In Krisenzeiten sind der internationale Austausch und die Zusammenarbeit in der Bildungsinternationale (BI) und dem Europäischen Gewerkschaftskomitee für Bildung und Wissenschaft (EGBW) besonders wichtig. Das gemeinsame Engagement gegen Privatisierung und die Kommerzialisierung von Bildung wird fortgesetzt. Die Corona-Krise beschleunigt die Digitalisierung von Bildung, was ein weiteres Einfallstor für High-Tech-Unternehmen und kommerzielle Bildungsanbieter darstellt. Die GEW strebt auf Ebene des Hauptvorstands, der Landesverbände und anderer GEW-Strukturen an, den bilateralen Gewerkschaftsaustausch zu intensivieren. Der Hauptvorstand wird beauftragt, in Zusammenarbeit mit den Landesverbänden und dem Bereich Internationales ein Konzept zu entwickeln, wie der gegenseitige Austausch und die Kooperation mit Mitgliedsgewerkschaften der BI, aber auch mit anderen demokratisch orientierten und an den Zielen der BI ausgerichteten Bildungsorganisationen, gestärkt und ausgebaut werden kann.

Einsatz für Menschenrechte und Demokratie

Die Verletzung von Gewerkschaftsrechten nimmt weltweit zu. In einigen Ländern wie Burkina Faso ist festzustellen, dass die Corona-Krise von den Regierungen dazu genutzt wurde, Arbeitnehmerrechte und die Rechte der Gewerkschaften weiter zu beschneiden. Die GEW bekräftigt ihre Forderung nach einem Ende der Verfolgung und Kriminalisierung von Gewerkschafter*innen und erwartet von der Bundesregierung, dass sie sich mit Nachdruck für rechtsstaatliche Verhältnisse und die Einhaltung der ILO Kernarbeitsnormen einsetzt.

Die Beteiligung an Solidaritätsaktionen und Prozessbeobachtermissionen der BI und damit der Verteidigung von Demokratie und Gewerkschaftsrechten bleibt eine zentrale Aufgabe. Bildungsgewerkschaften werden insbesondere in vielen europäischen Ländern verstärkt unter Druck gesetzt. Nationalistische und autoritäre Regierungen greifen demokratische Rechte, Gleichstellung, die Rechte von Frauen, LSBTIQ* und von Minderheiten sowie die Freiheit der Wissenschaft an. Die GEW beteiligt sich an den Aktivitäten der BI und des EGBW zur Unterstützung der Bildungsgewerkschaften in Osteuropa, die sich für Demokratie, Frieden und Menschenrechte engagieren. Zugleich setzt sich die GEW – auch vor dem Hintergrund des ehemaligen Ost-West-Konflikts – in der BI und im EGBW für eine Stärkung des Dialogs zwischen den Bildungsgewerkschaften in Ost und West ein.

Die GEW macht sich dafür stark, Frauen am Arbeitsplatz vor Gewalt und sexueller Belästigung zu schützen. Sie setzt sich dafür ein, dass im EU-Ministerrat und im EU-Parlament Beschlüsse gefasst werden, die die Mitgliedstaaten zur Ratifizierung der ILO-Konvention 190 ermächtigen. Die ILO-Konvention 190 „Übereinkommen über die Beseitigung von Gewalt und Belästigungen in der Arbeitswelt“ definiert alle Vorkommnisse als Gewalt und Belästigung in der Arbeitswelt, die auf physischen, psychischen, sexuellen oder wirtschaftlichen Schaden abzielen.

Ein wichtiger Teil der internationalen Arbeit der GEW bleibt die Unterstützung der türkischen Gewerkschaften, deren Mitglieder wegen ihres politischen Engagements Berufsverbote erhalten, an der Ausreise gehindert werden oder im Gefängnis sind. Die GEW strebt an, den bilateralen Austausch mit Eğitim Sen durch wechselseitige Besuche und gemeinsame Programme wieder zu verstärken. Die Hilfe für Geflüchtete aus der Türkei ist uns sehr wichtig. Mit dem Heinrich-Rodenstein-Fonds leistet die GEW konkrete Unterstützung bei Verfolgung und von Menschen in Not.

Die GEW beteiligt sich an gewerkschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Initiativen, die sich für eine humanitäre Flüchtlingspolitik in Deutschland und Europa einsetzen. Gemeinsam mit dem EGBW ruft die GEW die Regierungen Europas dazu auf, die überfüllten Flüchtlingslager zu evakuieren, Geflüchtete aufzunehmen und ihre sichere Unterbringung sowie den Zugang zu Bildung zu gewährleisten.

Historische Verantwortung, Dekolonialisierung von Bildung

Die GEW bekennt sich zur Verantwortung aus der deutschen Geschichte und unterstreicht die Bedeutung gemeinsamer Gedenkveranstaltungen und Seminare zum Holocaust. Von besonderer Bedeutung sind die Begegnungsseminare, die mit der israelischen Bildungsgewerkschaft Histadrut HaMorim sowie der polnischen Bildungsgewerkschaft ZNP regelmäßig durchgeführt werden. Zur historischen Verantwortung gehört auch die Auseinandersetzung mit den Auswirkungen des Kolonialismus, insbesondere des deutschen Kolonialismus im heutigen Namibia, Kamerun, Togo, Tansania, Burundi und Ruanda, in Nordostchina und im Pazifik. Weltweit nehmen Proteste wie jüngst in den USA gegen das Fortwirken kolonialer und rassistischer Strukturen in Gesellschaft und im Bildungssystem zu. Deren Anliegen werden von der GEW unterstützt, ebenso wie Ansätze zur Dekolonialisierung von Bildung und damit herrschaftskritische Perspektiven auf das Zustandekommen von Wissen, Bildungsmaterialien und Unterrichtsinhalten. Die GEW fordert von der Bundesregierung, dass sie sich der Verantwortung stellt, die aus der deutschen Kolonialgeschichte und den Kolonialverbrechen resultiert. Dazu gehören angemessene Entschädigungen, insbesondere für den zwischen 1904 und 1908 von deutschen Truppen begangenen Völkermord an den Herero und Nama im heutigen Namibia. Die GEW wird zu diesen Themen den intensiveren Austausch mit den Bildungsgewerkschaften aus den ehemaligen deutschen Kolonien suchen, insbesondere mit der Namibia National Teachers‘ Union (NANTU).

Friedenspolitisches Engagement verstärken

Auf Ebene des Hauptvorstands, der Landesverbände und anderer GEW-Strukturen intensiviert die GEW ihr friedenspolitisches Engagement und ihre Aktivitäten zur Friedens- und Demokratiebildung. Die Grundlage für das friedenspolitische Engagement der GEW bildet der bestehende Beschluss des Gewerkschaftstages 2017 zur Friedenspolitik sowie der von der GEW auf dem BI-Weltkongress eingebrachte und einstimmig angenommene Antrag „Friedenserziehung – Keine Ausgaben für Waffen – Bildung statt Bomben“. Angesichts der Zunahme von Militarisierung, bewaffneten Konflikten und der Schwächung multilateraler Verträge und Institutionen wie der Vereinten Nationen droht eine erneute globale Aufrüstungsspirale. Statt höherer Ausgaben für immer modernere Waffen fordert die GEW eine internationale Abrüstungsinitiative und die Kontrolle von Waffenexporten. Entsprechend setzt sich die GEW gegenüber der Bundesregierung dafür ein, sich von der Zwei-Prozent-Vorgabe der NATO zu lösen. Die für Rüstungsausgaben eingeplanten Mittel sind für massive Investitionen in Bildung und die Verwirklichung der Ziele der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung zu verwenden. Die GEW fordert die Bundesregierung ebenfalls auf, sich entsprechend des im Jahr 2010 im Bundestag beschlossenen Antrags für eine Welt frei von Atomwaffen und den Abzug der Atomwaffen aus Deutschland einzusetzen.

Solidarität mit den Menschen in der Ukraine – nein zum Sondervermögen Bundeswehr

Die GEW verurteilt den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der russischen Regierung auf die Ukraine. Wir fordern einen umgehenden Waffenstillstand, einen Rückzug der russischen Truppen und Verhandlungen über eine friedliche Lösung des Konflikts. Wir stehen solidarisch an der Seite der Menschen, der Gewerkschaften, der Lehrenden und Pädagog*innen, Kinder, Schüler*innen und Studierenden in der Ukraine. Wir sind solidarisch mit den Menschen in Russland und Belarus, die den Mut aufbringen, offen gegen den Krieg zu protestieren oder sich als Lehrkräfte und Wissenschaftler*innen der Propaganda einer „militärischen Sonderoperation“ widersetzen.

Die GEW fordert Bund und Länder auf, Geflüchtete unabhängig von ihrer Herkunft und Staatsangehörigkeit aufzunehmen und ihnen Perspektiven zu eröffnen bzw. schon hier lebenden Menschen gesichertes Bleiberecht zu bieten. Geflüchtete Frauen und Kinder sind vor sexualisierter Gewalt zu schützen.

Mehr Waffen schaffen keinen Frieden. Wir fordern stattdessen den Aufbau einer nachhaltigen globalen Sicherheitsstruktur und neue Initiativen für Abrüstung und Friedenssicherung. Die Einrichtung eines 100 Milliarden Euro schweren Sondervermögens für die Bundeswehr lehnen wir ab. Da die Bundesregierung gleichzeitig an der Schuldenbremse festhalten will, drohen massive Kürzungen im sozialen, im kulturellen und im Bildungsbereich. Nicht Hochrüstung, sondern Sicherheit und soziale Gerechtigkeit sind Auftrag des Grundgesetzes. Was wir brauchen, ist ein Sondervermögen für den massiv unterfinanzierten Bildungsbereich!

Supranationale Dialoge kritisch-konstruktiv begleiten

Um Einfluss auf politische Diskussionen und Entscheidungsprozesse zu nehmen, beteiligt sich die GEW weiterhin an supranationalen Dialogen im Bildungswesen. Die GEW arbeitet konstruktiv mit den Bildungsgewerkschaften der OECD-Länder in der TUAC (Trade Union Advisory Committee), dem gewerkschaftlichen Beratungsgremium der OECD, zusammen und begleitet kritisch die OECD-Aktivitäten und -Forschungen zum Bildungsbereich. Zudem arbeitet sie im OECD-Advisory Committee der Bildungsinternationale mit.

Die GEW lehnt ein Bildungsverständnis ab, das auf der wirtschaftlichen Nutzung von „Humankapital“ und Wettbewerb beruht. Diesem stellt die GEW ihren Bildungsbegriff entgegen: Bildung ist ein Menschenrecht und hat u. a. zum Ziel, mündige Bürger*innen hervorzubringen, die die Gesellschaft zu transformieren vermögen – hin zu mehr sozialer Gerechtigkeit, Solidarität und Frieden. Die GEW kritisiert den Einfluss von nationalen wie internationalen privaten Stakeholdern auf die Bildungspolitik und setzt sich dafür ein, dass bildungspolitische Entscheidungen auf der Grundlage parlamentarischer Abstimmungsprozesse und unter regulärer Beteiligung der Sozialpartner getroffen werden.

Europaweit solidarisch handeln

Trotz voranschreitender Integrationsprozesse und steigender Abhängigkeiten im europäischen Raum werden bei der Lösung verschiedenster Krisensituationen immer wieder nationale Einzelwege eingeschlagen. Die GEW stellt sich nachdrücklich dem zunehmenden Rechtsruck in europäischen Gesellschaften und spaltenden Antworten auf soziale Fragen entgegen. Die Corona-Pandemie verdeutlicht wie unter einem Brennglas die unzureichende soziale Dimension des europäischen Integrationsprozesses und zeigt die verheerenden Folgen von Unterfinanzierung von Bildungsstrukturen auf. Auf diese Entwicklungen fordert die GEW europäische und solidarische Antworten, die nachhaltig konzipiert sind.

Gemeinsam mit dem EGBW und ihren Partnergewerkschaften streitet die GEW für öffentliche Investitionen in Bildung und die solidarische Ausfinanzierung von Bildungsinstitutionen. Wie die Empfehlungen der EU-Kommission im Rahmen des Europäischen Semesters einmal mehr deutlich machen, lag Deutschland 2017 bei Investitionen in Bildung und Forschung mit 4,1 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) unter dem EU-Durchschnitt.

Die GEW setzt sich zudem für eine qualitativ hochwertige Hochschulbildung, faire Beschäftigungsbedingungen und für die Sicherung der Freiheit von Forschung, Lehre und Studium im Bologna-Prozess ein. Dies schließt auch das Recht auf eine angemessene Grundfinanzierung der Hochschulen ein. Die Angriffe auf Wissenschaftsfreiheit, Hochschulautonomie und Gender-Studies nehmen zu, wie sich insbesondere in Weißrussland, Ungarn und in der Türkei zeigt. Die GEW begrüßt die „Bonner Erklärung zur Forschungsfreiheit“ der europäischen Forschungsministerinnen und -minister von 2020, mahnt aber zugleich wirksame Maßnahmen zur Förderung und zum Schutz der Wissenschaftsfreiheit in der Europäischen Union und im Europäischen Hochschulraum an. Mit der Pariser Erklärung aus dem Jahr 2015 und dem Konzept der Global Citizenship Education haben die EU-Bildungsminister*innen und die UNESCO die Bedeutung von Demokratie- und Menschenrechtsbildung betont. Diese führen jedoch weiterhin ein Schattendasein. Die GEW setzt sich insbesondere mit dem EGBW und den Partnergewerkschaften in Europa für die Umsetzung der Beschlüsse und die Stärkung der politischen Bildung in Europa ein. Sie sind angesichts zunehmender Angriffe auf die Demokratie und Meinungsfreiheit elementar, um Freiheit, Toleranz und Nichtdiskriminierung in Europa zu stärken.

UN-Nachhaltigkeitsziele umsetzen, Kinderarbeit stoppen

Die GEW setzt sich mit Nachdruck für die Umsetzung der Kinderrechtskonvention und für die Verwirklichung der 2015 beschlossenen Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen ein, insbesondere des Nachhaltigkeitsziels 4 „Qualität in der Bildung“. Zusammen mit der Globalen Bildungskampagne fordert die GEW angesichts der sich durch Corona weltweit verschärfenden Bildungskrise, dass Bildung ein wichtiger Bestandteil der deutschen Entwicklungszusammenarbeit bleibt.

Die Staatengemeinschaft hat sich dazu verpflichtet, alle Formen der Kinderarbeit bis 2025 zu beenden. Im Zuge der Corona-Pandemie könnte die Zahl arbeitender Kinder in vielen Ländern drastisch steigen. Die UNO schätzt, dass zusätzlich 66 Millionen Kinder in extreme Armut geraten werden. Die Gefahr, dass Kinder nach der Corona-Krise nicht mehr in die Schule zurückkehren und den Anschluss an die Bildung verlieren, ist aktuell besonders groß.

Das Engagement gegen Kinderarbeit bleibt eine wichtige Aufgabe: In Zusammenarbeit mit der BI und Bildungsgewerkschaften in ärmeren Ländern engagiert sich die GEW mit ihrer Stiftung fair childhood weiterhin in Projekten gegen Kinderarbeit.

Gemeinsam mit dem DGB setzt sich die GEW für ein wirkungsvolles Lieferkettengesetz in Deutschland und in der EU ein, mit dem Unternehmen verpflichtet werden, entlang ihrer gesamten Produktlinie Menschenrechte und Umweltstandards zu achten und Kinderarbeit auszuschließen.