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Heterogenität in Bildungseinrichtungen

Zwischen Vielfalt und Ungleichheit

Der Alltag aller pädagogischen Einrichtungen in Deutschland ist von sozialer und kultureller Heterogenität geprägt. Der Umgang mit Heterogenität ist allerdings ambivalent.

Insbesondere das Schulsystem trägt dauerhaft und aktiv zu ungleichen gesellschaftlichen Verhältnissen bei. (Foto: IMAGO/Panthermedia)

Begriffen wie Heterogenität, Vielfalt, Intersektionalität oder Diversität ist – bei aller Unterschiedlichkeit – eines gemein: Sie weisen darauf hin, dass Differenzen erstens eine sozial konstruierte Tatsache sind; was als heterogen beurteilt wird, basiert auf sozialen und kulturellen Vorstellungen und nicht auf vermeintlich natürlichen Tatsachen. Zweitens machen sie deutlich, dass nicht nur eine Kategorie zur Beschreibung ausreichend ist, sondern sich die Lebenslagen der Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen im Bildungssystem im Zusammenspiel vieler Kategorien konstituieren. Dieser Beitrag wird sich dabei im Folgenden auf den Umgang mit Heterogenität von Kindern und Jugendlichen beschränken. Andere Dimensionen der Heterogenität (etwa bei Lehrenden bzw. Beschäftigten) können hier nicht thematisiert werden.

Die Möglichkeiten, politische Probleme pädagogisch zu lösen, sind begrenzt.

Die Vielfalt der Biografien der Kinder und Jugendlichen wird einerseits normativ begrüßt. „Vielfalt tut gut“, heißt es, und diese Sichtweise wird etwa durch entsprechende Programme gefördert oder in den Zielbeschreibungen der Schulgesetze niedergelegt. Heterogenität wird als Unterschiedlichkeit positiv konnotiert, zum Beispiel bei der Konzeption einer „Pädagogik der Vielfalt“ der Erziehungswissenschaftlerin Annedore Prengel. Bildungsinstitutionen werden in die Pflicht genommen, Unterschiedlichkeit zu akzeptieren und individuelle Unterstützung anzubieten.

Andererseits bestehen in Deutschland nach wie vor nicht nur erhebliche Bildungsungleichheiten. Insbesondere das Schulsystem trägt sogar dauerhaft und aktiv zur Produktion ungleicher gesellschaftlicher Verhältnisse bei. Bereits der Reformpädagoge und Psychoanalytiker Siegfried Bernfeld zeigte in den 1920er-Jahren die Relevanz normativer Appelle (wie „gute Bildung“ und „gleiche Chancen“) für die Verschleierung dieser Tatsache.

Bildung und Bildungsabschlüsse beeinflussen bis heute in hohem Maße Teilhabechancen der Menschen. In dieser Perspektive wird Heterogenität an Ungleichheitstheorien rückgebunden. Darüber hinaus sind die Möglichkeiten der Schule eingeschränkt, in einer hierarchischen Gesellschaft Ungleichheit abzubauen. Die Möglichkeiten, politische Probleme pädagogisch zu lösen, sind limitiert.

Tendenzen der Homogenisierung

Zudem bestehen in Bildungsinstitutionen Tendenzen der Homogenisierung, etwa im schulischen Fachunterricht. Auch das Leistungsprinzip sowie die zunehmende Standardisierung und Vermessung des Outputs wirken homogenisierend, begünstigen Kinder aus der Mittelschicht und vermitteln Konkurrenz und Hierarchie aufgrund der individuellen Leistung als Orientierungsmaßstab.

Ein Umgang mit Heterogenität basiert auf Differenzkategorien. Diese ermöglichen einerseits, Lebenslagen angemessener in den Blick zu nehmen und sind verknüpft mit der Hoffnung, der Individualität der Kinder und Jugendlichen gerechter zu werden. Andererseits tendieren Kategorien dazu, Differenzen als unveränderliche Wesensmerkmale festzuschreiben. So hilfreich etwa Wissen um geschlechtsbezogene Sozialisationsanforderungen für das Verständnis der Lebenslagen der Kinder und Jugendlichen ist, so sehr droht das Risiko der Naturalisierung der Geschlechterdifferenzen und der Verstärkung von Stereotypen.

Spannungsverhältnis

Anerkennung beinhaltet immer Anerkennung um den Preis des Ausschlusses des Nicht-Anerkannten. Spezifische Unterstützung wird an Kategorien rückgebunden, und diese werden so bestärkt. In der Inklusionsforschung wird dies als Etikettierung-Ressourcen-Dilemma diskutiert.

Für den Umgang mit Heterogenität wird oft auf die Individualisierung des Lernens gesetzt. Auch hier zeigt sich ein Spannungsverhältnis. Denn einerseits kann Individualisierung Partizipation und eigenständige Lernprozesse ermöglichen, andererseits scheint die Praxis individualisierter Lernformate weit von den reformpädagogischen Hoffnungen entfernt und umfasst gouvernementale Selbststeuerungsimperative, die hoch anschlussfähig an neoliberale Selbstoptimierung sind. Aus dem Blick gerät leicht die Notwendigkeit, Gemeinschaft zu stiften.

Bildungsinstitutionen müssen sich ändern

Der Umgang mit Heterogenität insbesondere in der Schule basiert entsprechend auf einer „Trinomie“ aus Universalität, Individualität und Differenz (Budde et al. 2016). Schule ist universell der gemeinschaftsstiftenden demokratischen Gleichbehandlung aller verpflichtet, allerdings droht das Risiko der Homogenisierung. Sie orientiert sich auf den Einzelfall, dies kann jedoch zu problematischen Selbststeuerungspraktiken führen. Und sie ist verpflichtet, Heterogenität wahrzunehmen und kann gerade deswegen Stereotype verstärken. Die Frage, welche Perspektive angemessen ist, ist nicht einfach zu beantworten.

Vielmehr wäre dafür zu plädieren, das Spannungsfeld aus Vielfaltsforderung, Ungleichheit und Homogenisierung als konstitutiv für gegenwärtige Bildungsinstitutionen anzunehmen. Pädagogische Professionelle, Kinder und Jugendliche, aber auch Institutionen in ihren Selbstverhältnissen sind permanent dazu aufgefordert, sich in diesem Spannungsfeld zu bewegen, welches weder qua programmatischer Forderungen noch qua individuellem Engagement alleine zu lösen ist.

Vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Herausforderungen wiederum wird deutlich, dass sich Bildungsinstitutionen ändern müssen. Dem Umgang mit Heterogenität kommt dabei eine herausragende Stellung zu, insofern Teilhabe gewährt und sinnstiftendes Lernen ermöglicht wird. Das institutionalisierte Einüben in Ungleichheitsverhältnisse und die dauerhafte Reproduktion bekannten Wissens wird hingegen wenig dazu beitragen, aktuelle und zukünftige Herausforderungen zu bewältigen.