Arbeitszeit
„Zu viel Arbeit macht Menschen krank“
Mehr Zeit – und mehr Gerechtigkeit: Die Zeitpolitische Zukunftskonferenz der GEW in Göttingen rückt die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich in den Fokus.
Szene aus einem Bewerbungsgespräch: „Wir suchen dringend eine neue Erzieherin“, erklärt die Kitaleiterin im Rollenspiel auf dem Podium freundlich. „Was stellen Sie sich vor?“ Sie komme aus der Elternzeit zurück, habe ein kleines Kind zu Hause, erwidert die Bewerberin. „Ich würde gerne wieder voll arbeiten“, stellt die Erzieherin klar. „Mit 32 Stunden an vier Tagen, bei voller Bezahlung.“ Applaus im Publikum. Szenenwechsel: Die nächste Gruppe hat mit Filzstift auf Wolken geschrieben, wie alle Menschen ihre Zeit – „nach acht Stunden Schlaf“ – idealerweise verbringen sollten: „Sorgearbeit“, steht auf dem ersten Schild. Vier Stunden sollten pro Tag alle zur Verfügung haben, um sich um Familie und Haushalt zu kümmern oder Freundschaften zu pflegen. Außerdem jeweils vier Stunden, um sich politisch zu engagieren. Vier Stunden, um einfach zu tun, was man gerade möchte – und vier Stunden, um Lohnarbeit zu leisten.
„Es geht um ein gesundes, glückliches, gleichberechtigtes Leben.“ (Frauke Gützkow)
Die zentrale Botschaft der zeitpolitischen Zukunftskonferenz der GEW mit dem Titel „Visionen für bessere Zeiten“ am 26. und 27. Januar in Göttingen: „Es geht um ein gesundes, glückliches, gleichberechtigtes Leben“, fasst GEW-Vorstandsmitglied Frauke Gützkow, verantwortlich für Frauen-, Gleichstellungs-, Geschlechterpolitik, zusammen. Voraussetzung dafür ist eine kürzere Arbeitszeit.
Frauen sind stärker belastet als Männer
In seinem Vortrag betont der Sozialwissenschaftler Eike Windscheid-Profeta von der Hans-Böckler-Stiftung, dass Frauen im Schnitt viel mehr Zeit für Haushalt und Familie aufbringen als Männer, dadurch stärker belastet sind, weniger Zeit für Erwerbsarbeit haben, ein geringeres Einkommen beziehen und schlechter sozial abgesichert sind, auch im Alter.
Vier-Tage-Woche hat viele positive Effekte
Eine Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich würde für mehr Gerechtigkeit sorgen – und auch dabei helfen, den Fachkräftemangel in den Griff zu bekommen, sagt Windscheid-Profeta. Erfahrungen zeigten, dass damit neben sozialen Vorteilen auch ökonomische und ökologische Effekte einhergehen. Dazu gehören eine bessere Organisation der Arbeit vor Ort, höhere Motivation und Produktivität. Das gilt allerdings nicht, wenn die Arbeit verdichtet wird, stellt der Sozialwissenschaftler klar, so wie zum Beispiel beim belgischen Modellversuch, wo die Vier-Tage-Woche trotzdem 40 Stunden Arbeitszeit verlangt. Umfangreiche Versuche mit realen Arbeitszeitverkürzungen mit vollem Lohnausgleich – unter anderem in Schweden, Finnland und Island – zeigten durchweg positive Ergebnisse: Fehlzeiten seien geringer, Kündigungen seltener „und vieles, vieles mehr“.
Arbeitszeitverkürzung ist eine Machtfrage
Die Rechtswissenschaftlerin Johanna Wenckebach hebt hervor, dass eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich eine Machtfrage sei. „Wir sollten nicht darauf warten, dass der Gesetzgeber unsere Arbeitszeitwünsche erfüllt.“ Im Gegenteil. Der aktuelle Trend gehe in die ganz andere Richtung. Die Politik setze sich für eine Entgrenzung von Arbeit ein und bezeichne rechtliche Vorgaben zu Höchstarbeitsstunden, Ruhezeiten und Pausen als „nicht mehr zeitgemäß“. Dabei sei der Zweck des Arbeitszeitgesetzes, die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten zu schützen, betont die Professorin. Wie die Vorgabe, Helme auf einer Baustelle zu tragen. „Zu viel Arbeit macht Menschen krank.“ Sie rät dringend davon ab, am Arbeitszeitgesetz „rumzudoktern“. Vielmehr sei gewerkschaftliches Handeln gefragt. Weniger arbeiten bei gleichem Lohn bedeute eine massive Umverteilung. „Man muss arbeitskampffähig sein, um so etwas durchzusetzen.“
„Kein Zeitmangel – keine Erschöpfung“
In der Debatte kommt die Frage auf, wie in Gesprächen am besten mit dem Argument des Fachkräftemangels umgegangen werden soll. „Wir reden von einer Umverteilung von Arbeit“, stellt Wenckebach klar. Die Daten zeigen, dass die Teilzeitquote von Frauen seit vielen Jahren konstant bei 46 Prozent liegt. Die Vier-Tage-Woche als kurze Vollzeit bietet die Chance, dass sich Frauen und Männer sowohl bei der Erwerbs- als auch bei der Sorgearbeit angleichen.
In der Zukunftswerkstatt erarbeiten die Teilnehmenden der GEW-Konferenz zwei Tage lang Visionen für bessere Zeiten. In Kleingruppen entwickeln sie Utopien und überlegen konkrete Umsetzungsschritte. Ihre Forderungen lauten unter anderem: „Kein Zeitmangel – keine Erschöpfung“, „Mehr Zeit für Gemeinwohl“ sowie die geleistete Arbeitszeit auch umfassend zu erfassen. Gesundheit, Glück und Gleichberechtigung, bilanziert Frauke Gützkow, dafür gelte es zu kämpfen.