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Lehrkraft - Traumberuf!?

Zu enges „schulisches Korsett“

Was liebe ich an meinem Beruf, mit welchen Schwierigkeiten bin ich konfrontiert, was hält mich - oder brachte mich dazu, das Handtuch zu werfen? Aktive und angehende Lehrkräfte berichten.

Viele Lehramtsstudierende wechseln im Laufe des Studiums den Studiengang oder entscheiden sich nach dem Referendariat gegen den Lehrberuf. Ein Grund ist die Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis, sagt der frühere Lehramtsstudent Thorben Wenzel. (Foto: IMAGO/Peter Endig)

Als ich meine „Bachelor of Education“-Urkunde im März vergangenen Jahres in Empfang nahm, wusste ich bereits, dass ich erstmal nicht weiter auf Lehramt studieren möchte. Diese Entscheidung ist bei mir durch einen Prozess entstanden und hat viele Gründe. Mein Studium mit den Fächern Geschichte und Politikwissenschaften konnte ich gut bewältigen, besonders die Inhalte zur fächerspezifischen Didaktik haben mir viel Freude bereitet. Soziologische und psychologische Theorien und deren Dekonstruktion sind auch in den Bildungswissenschaften ein wesentlicher Teil des Studiums.

Mein Problem mit Blick auf die Berufsplanung sind die Aussichten nach dem Abschluss des Studiums. Zum einen ist meine Fächerkombi, trotz Lehr- und Fachkräftemangels, eher weniger gefragt: Höchstens mit Englisch als Drittfach hätte ich gute Einstellungs- und Aufstiegschancen. Am leichtesten haben es, verständlicherweise, Nachwuchslehrende mit MINT-Fächern (Mathe, Informatik, Naturwissenschaften, Technik). Zudem ist die Übernahme und langfristige Beschäftigung an einer Schule häufig nicht garantiert.

Vor allem aber haben mir einige Abläufe und Verhaltensmuster in der Ausbildung und Praxis des Lehrberufs missfallen, welche sich als „schulisches Korsett“ beschreiben lassen. Im Schuljahr 2022/23 arbeitete ich neben dem Studium als Vertretungslehrer an einem Wiesbadener Gymnasium. Hier kam ich mit vielen Vollpädagoginnen und -pädagogen ins Gespräch, die mir von ihren persönlichen Erfahrungen im Referendariat berichteten. Viele sprachen von miserabler Bezahlung trotz einer 40-Stunden-Woche. Ein weiterer wichtiger Punkt, den die Lehrkräfte betonten, waren die Anforderungen und Bewertungsmaßstäbe, die im Referendariat vorherrschen würden: Hier sei sehr viel von der zugewiesenen Betreuerin oder vom zugewiesenen Betreuer abhängig, auch bei den Endnoten.

Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis

Neben diesen Berichten passten jedoch einige Eigenschaften des Lehrberufs selbst nicht in meine Zukunftsvorstellung. Ich mag besonders die Gebundenheit nicht – sowohl an den Alltag des Berufs selbst als auch an den Standort Klassenzimmer, der mir wenig abwechslungsreich erscheint. Auch ist ein wesentlicher Teil des Berufs, wie ich in meiner Praxiserfahrung wahrgenommen habe, die Disziplinierung der Schülerinnen und Schüler im und außerhalb des Klassenraums. Es mag vielleicht auch mit meinem jungen Alter zu tun haben, dennoch hatte ich in vielen Momenten mit Verhaltensproblemen und Normbrüchen zu tun, die es als Lehrkraft zu regulieren gilt. Mit der Zeit verliert sich so der Fokus auf das Wesentliche, nämlich die methodische Vermittlung der Unterrichtsinhalte und des Wissens. Unterrichtsstörungen werden von den meisten Lehrkräften per se als primärer Stressfaktor und Ursache psychischer Belastungen genannt: Ein Aspekt, den ich etwas nachempfinden konnte.

Alles in allem denke ich, dass die Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis im Lehrberuf immens ist. Dies wird, wie auch von mir in meinem Grundstudium, oft unterschätzt. Man kann die arbeitsaufwändigsten und methodisch vielseitigsten Stundenentwürfe erstellen: Im Klassenzimmer ist man jedoch immer der Willkür der Dynamik ausgesetzt, sodass die Planung dann irgendwie doch nicht funktioniert.

In meinem Studium gab es drei obligatorische, jeweils dreiwöchige Schulpraktika. Im Kern ist das jedoch meiner Meinung nach zu wenig, um den Klassenraum aus der Nichtschülerperspektive zu verstehen. Im Studium hätte ich mehr Praxisbezug sehr begrüßt. Besonders videografische Unterrichtsmitschnitte oder Transkripte können dabei helfen, Unterrichtsdynamik besser zu verstehen und Situationen zu entschlüsseln. Auch das Lehrpersonenverhalten kann reflektiert werden; dadurch kann die eigene Wahrnehmung des Wahrgenommenwerdens zusätzlich überdacht werden. Ich neigte im Studium eher dazu, Unterrichtsabläufe zu idealisieren und meistens vom bestmöglichen Ablauf auszugehen. So erhielt ich meistens gute bis sehr gute Bewertungen auf meine Entwürfe, in der Praxis jedoch eher negatives Feedback zum Unterrichtsablauf. In dem Prozess habe ich für mich selbst festgestellt, dass ich eher theorieaffin bin. Nun mache ich meinen Master in der Allgemeinen Pädagogik, bin aber dennoch dankbar für die gewonnenen Erfahrungen.