Tarifrunde TV-L 2023
„Woran es fehlt? An der Wertschätzung durch die Politik“
Angesichts der hohen Inflation fordern die Gewerkschaften kräftige Gehaltserhöhungen für die Beschäftigten im öffentlichen Dienst der Länder. Die GEW vertritt in der Tarifrunde vor allem angestellte Lehrkräfte.
In der Tarifrunde, die im Oktober beginnt, wird über Gehaltserhöhungen für die rund zwei Millionen Beschäftigten des öffentlichen Dienstes der Länder verhandelt. Im Organisationsbereich der GEW gilt der Tarifvertrag der Länder (TV-L) beispielsweise für angestellte Lehrkräfte, im Sozial- und Erziehungsdienst auf Landesebene Beschäftigte sowie Lehrende an Hochschulen. Beamtinnen und Beamte in den Ländern profitieren ebenso wie Pensionäre von einem Tarifabschluss. Angesichts der hohen Inflation und der Herausforderungen im Beruf erwarten die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ein deutliches Gehaltsplus. Vier Kolleginnen und Kollegen erzählen aus ihrem Berufsalltag.
„Es muss ein deutliches Gehaltsplus für Lehrkräfte geben.“
Laura Pinnig, Grundschullehrerin
Es sind nur noch wenige Tage, dann lernt Laura Pinnig ihre neue 1. Klasse kennen. Ihre Grundschule liegt im Berliner Bezirk Spandau. „Kein Brennpunkt“, sagt sie, „aber auch nicht privilegiert. Viele Kinder stammen aus Familien, in denen nur selten Bücher gelesen werden.“
Sie ins Leben zu begleiten, empfindet die 47-Jährige als etwas Besonderes: „Radfahren, Schwimmen, Lesen: In der Grundschule erleben Kinder so vieles zum ersten Mal.“ Weil die pädagogische Arbeit in dieser Phase so hohe Bedeutung hat, war sie auch dabei, als Grundschullehrkräfte für die finanzielle Gleichstellung mit ihren Kolleginnen und Kollegen an höheren Schulstufen kämpften. Mit Erfolg: Seit 2019 bekommen Grundschullehrkräfte in Berlin A13/E13. „Für viele war das ein ermutigendes Zeichen: Engagement lohnt sich!“, erzählt Pinnig. In der zurückliegenden Tarifrunde sei der Abschluss für die Lehrkräfte aber eher mager gewesen. „Auch wenn wir alle von den hohen Kosten für die Corona-Hilfen wussten, haben viele Kolleginnen und Kollegen sehr mit den Zähnen geknirscht“, erinnert sie sich.
Auf die anstehenden Verhandlungen blickt sie mit einer klaren Haltung: „Dieses Mal geht es mir auch um mein Geld; es muss ein deutliches Gehaltsplus für Lehrkräfte geben.“ Die jüngste Tarifrunde ist ja nicht nur zwei Jahre her. Sie fand in einer ganz anderen Zeit statt: ohne russischen Angriffskrieg, ohne Energiekrise, ohne Inflationsgalopp. Wie sich die Teuerung auswirkt, erlebt Pinnig jede Woche bei ihrem Familieneinkauf: Statt 70 sind 170 Euro fällig. Klar könnte sie nun auf biologisch angebaute Lebensmittel verzichten. Das scheint ihr aber nicht nur für die Umwelt nicht nachhaltig. Sondern auch für das Bildungssystem.
„Wer aus der freien Wirtschaft kommt, schüttelt angesichts der Gehälter im öffentlichen Dienst oft den Kopf.“
Denn die gebürtige Kreuzbergerin lebte lange Zeit im Ausland, kennt Großbritannien und Australien. „Ab Mittelschicht aufwärts schickt kaum jemand sein Kind auf eine staatliche Schule“, sagt sie, „das führt noch mal zu einer ganz anderen sozialen Spaltung als hier.“ Auch wenn sie sieht, wie viel im Argen liegt, sei sie „schon ein bisschen stolz“ darauf, in einem öffentlichen Dienst zu arbeiten, der Bildung als Auftrag begreife. „Dazu gehört aber auch, dass die Menschen nicht den Eindruck haben: Staatliche Bildung wird kaputtgespart.“
Dabei hat Pinnig nicht nur die im Blick, die im Beruf sind. „Wir müssen mehr Leute für die Schule begeistern. Dazu müssen die Bedingungen besser werden, auch finanziell.“ Neben ihrer Stelle als Lehrerin engagiert sie sich als Leiterin des Vorstandsbereichs „Hochschulen und Lehrer*innenbildung“ ehrenamtlich in der GEW Berlin. Sie weiß, wie es um den Nachwuchs bestellt ist und wie stark die Hauptstadt auf Quereinsteigende angewiesen ist. „Wer aus der freien Wirtschaft kommt, schüttelt angesichts der Gehälter im öffentlichen Dienst oft den Kopf“, erzählt sie. Ein schönes Beispiel dafür hat sie auch parat: Neulich traf sie einen Mathematiker, der statt mit Algorithmen nun mit Schülerinnen und Schülern arbeitet – für einen Bruchteil seines vorherigen Gehalts.
Jeannette Goddar, freie Journalistin
„Ich erwarte, dass beim Tarifabschluss ordentlich etwas herauskommt.“
Rosmarie Wicher, Erzieherin
Wer mit Rosmarie Wicher spricht, bekommt den Alltag einer Erzieherin sogar am Telefon mitgeliefert. Statt in der Pause sitzt sie noch im Gruppenraum; statt von Drei- bis Sechsjährigen ist sie umringt von Krippenkindern, elf an der Zahl. Zum ungezählten Mal in über 30 Berufsjahren – alle in Vollzeit, viele als Alleinerziehende – hörte sie beim Betreten ihrer Kreuzberger Kita den Satz: „Es tut uns leid, aber du müsstest einspringen ...“ Das System sei mehr auf Kante gestrickt als je zuvor, erzählt sie, mehr Tage verliefen ungeplant und nicht so, wie sie sie vorbereitet hatte. „Früher war alles besser“ – denkt man das nicht immer? Wicher entgegnet: „Ich erinnere mich tatsächlich an Zeiten, in denen nicht jeder Tag aus dem Setzen von Prioritäten bestand.“ Immer mehr Verwaltungsarbeit, kombiniert mit einem immer akuteren Fachkräftemangel ergäben einen nie gekannten Mix an Belastungen. „Wir müssen mehr Menschen für den Beruf gewinnen!“, betont Wicher.
Ein Beruf, der für sie nach all den Jahren noch immer mehr Berufung als Beruf ist. „Zu erleben wie Kinder, die bei ihrem Kita-Eintritt keine Schere festhalten konnten, bei ihrem Abschied kleine Theateraufführungen für uns planen, ist schlicht großartig.“ Wer den Weg dorthin wissen will, dem könnte sie lange berichten: aus fünf Bildungsbereichen, von musischer und künstlerischer Erziehung, auch von der Bedeutung des Apfelbaums im Hof. Sie könnte auch erzählen, woran es fehlt: Wertschätzung vor allem, nicht von den Eltern („Die haben wir!“), sondern durch die Politik. Die Eingruppierung, die wenigen Entwicklungsstufen, die Verweigerung von Investitionen in „die Menschen, die unsere Zukunft sind: die Kinder“. Sie könnte ewig weitermachen.
„Im Grunde sind wir zugleich Bildungs- und Familienberaterinnen, Krankenschwestern, Psychologinnen.“
Kurzfristig, seit gestern, wie man so schön sagt, drängt indes vor allem: die Inflation, die in Berlin stets in Zusammenhang mit der Entwicklung der Hauptstadt zu sehen ist: „Ich wohne und arbeite in Kreuzberg. Hier ist nichts mehr so wie vor zehn, 20 oder 30 Jahren.“ Nun flatterte ihr im vergangenen Jahr auch noch eine Mieterhöhung von mehr als 200 Euro ins Haus. Strom, Telefon kommen hinzu – und natürlich die massiv gestiegenen Ausgaben beim Einkauf. „Beim Toilettenpapier fragt man sich doch, ob da jetzt Goldfäden eingearbeitet werden“, scherzt sie trocken. Schön, wenn Menschen den Humor nicht verlieren.
Dabei steht, wenn sie ehrlich zu sich ist, ernsthaft in Frage, wann sie sich mal wieder einen Urlaub außerhalb von Berlin leisten kann: „Wie kann das sein, bei einer so wichtigen Arbeit?“, fragt sie. Und ergänzt, was außer den Kerntätigkeiten einer Erzieherin noch alles zu dieser Arbeit gehört: „Im Grunde sind wir zugleich Bildungs- und Familienberaterinnen, Krankenschwestern, Psychologinnen.“ Was die anstehende Länderrunde angeht, steht ihre Haltung felsenfest: „Ich erwarte, dass ordentlich etwas dabei herauskommt. Und ich erwarte, dass ich nicht enttäuscht werde.“
Jeannette Goddar
„Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es sich lohnt, nicht nur zu meckern, sondern sich zu engagieren.“
Adina Evers, Quereinsteigerin in das Lehramt
Sie werden händeringend gesucht, mit wohlklingenden Stellenbeschreibungen umgarnt. Doch am Ende des Monats sind viele, die den Quereinstieg ins Lehramt wählten, beim Blick auf den Gehaltszettel ernüchtert. Doch es lohnt sich häufig, wie Adina Evers es tat, dagegen anzugehen.
Schon recht früh stand für die heute 30-Jährige fest, dass ihre berufliche Zukunft in der Rehabilitationspäda-gogik liegen wird. Nach Abschluss des gleichnamigen Master-Studiengangs an der Humboldt-Universität Berlin fand sie auch schnell eine Aufgabe. Hörförderung wurde zum täglichen Job. Mit einem Haken. Sie musste zwischen Schulen in Mecklenburg-Vorpommern pendeln. „Irgendwann merkte ich, dass es mir zu viel wurde, 800 Kilometer pro Woche zu fahren“, erzählt sie. Das Schulamt zeigte Verständnis, vermittelte eine Stelle. 2020 stieg sie als Seiteneinsteigerin ins Lehramt im Sonderpädagogischen Förderzentrum Pestalozzi in Waren (Müritz) ein.
Von der Arbeit war die junge Mutter eines vierjährigen Mädchens angetan. Doch der Blick auf den Gehaltszettel trübte die Stimmung. Ihr abgeschlossenes Studium schlug sich dort nicht nieder. In Zahlen bedeutete dies: rund 300 Euro brutto weniger im Monat. „Das mochte ich nicht akzeptieren, habe mich gewehrt, auch auf die Gefahr hin, jemandem auf die Füße zu treten“, schildert sie ihre damalige Situation. Sie suchte Rat. Und fand ihn bei der GEW. Dort unterstützte man die Seiteneinsteigerin, selbst eine Auseinandersetzung vor Gericht wurde erörtert. Doch nach monatelangen Telefonaten und Briefwechseln fand Evers Post im Briefkasten – das Studium sei anerkannt, die Gehaltsgruppe entsprechend angepasst.
„Es kann nicht sein, dass es je nach Schulamt zu unterschiedlichen Eingruppierungen kommt.“
Eine wichtige Erfahrung für die mit ihrer kleinen Familie in Malchow lebende Frau. Sie räumt ein, in einer vergleichsweise privilegierten Situation zu sein. Ihr Mann ist ebenfalls Lehrer, 2024 möchte sie ein Sabbatjahr einlegen. Doch sie kennt viele, die wie sie als Seiteneinsteigerin bzw. -einsteiger ins Lehramt kamen und angesichts der gestiegenen Lebenshaltungskosten „auf jeden Euro achten müssen“. Was sie stört, ist die Willkür: „Es kann nicht sein, dass es je nach Schulamt zu unterschiedlichen Eingruppierungen kommt.“
Evers beschloss, sich zu engagieren. Sie trat in die GEW ein – und landete im Landesverband Mecklenburg-Vorpommern im Vorstand der Landesfachgruppe „Lehrkräfte im Seiteneinstieg“. „Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es sich lohnt, nicht nur zu meckern, sondern sich zu engagieren. Für mich selbst, aber eben auch für andere“, sagt sie.
Sie spürt, dass sie ernst genommen wird. In den regel-mäßigen Gesprächen mit dem Institut für Qualitätsentwicklung oder auch im Bildungsrat von Ministerin Simone Oldenburg (Die Linke). Die Themen ähneln sich: bessere Eingruppierung, eine transparente Umsetzung der Verordnungen und Gesetze, Wege gegen die Willkür.
Stephan Lüke, freier Journalist
„In manchen Monaten bleiben mir gerade einmal 130 Euro zum Leben.“
João Maas, studentischer Beschäftigter
Ein Studium kostet und erfordert zumeist einen bezahlten Job. Viele suchen diesen im Umfeld der Uni oder Hochschule. Manche haben Glück und finden eine gut bezahlte, verlässliche Einnahmequelle. Andere schauen spätestens Mitte des Monats bang auf ihr Konto.
Große Sprünge kann sich João Maas nicht leisten. Das wusste der 24-Jährige schon vor dem Beginn seines Studiums der Geisteswissenschaften an der RWTH Aachen. Doch mit dem Job als studentische Hilfskraft in der Bibliothek des Erziehungswissenschaftlichen Instituts schienen sich seine finanziellen Sorgen zumindest zu lindern. „Okay, zehn bis 20 Stunden pro Woche sind neben dem auf 40 Stunden angelegten Vollzeitstudium ganz schön stressig. Aber sie garantieren mir, meine laufenden Kosten zu decken, nicht permanent in finanzieller Not zu stecken“, sagte er sich.
„Armut ist immer mit Scham behaftet.“
Doch die Ernüchterung ließ nicht lange auf sich warten. Mal „darf“ Maas je nach Vertrag 17 Stunden, manchmal aber nur sieben Stunden arbeiten. „Das macht mir eine verantwortliche Planung unmöglich“, weiß er. 420 Euro schluckt allein die Warmmiete in der WG. An die Nachzahlungen für Gas und Strom mag er da noch gar nicht denken. „In manchen Monaten bleiben mir gerade einmal 130 Euro zum Leben. Einen Wein am Abend oder draußen einen Kaffee zu bestellen, muss ich mir gut überlegen“, erzählt er. Er sucht sich zusätzliche Nebentätigkeiten – als Museumsführer und in der außerunterrichtlichen Demokratieerziehung. Er weiß: „Darunter leidet das Studium.“ Und die Seele, mag man hinzufügen. Denn Maas gesteht offen: „Armut ist immer mit Scham behaftet.“
Seine Eltern können ihn nicht unterstützen. Doch er bleibt optimistisch, freut sich über die Solidarität im Freundeskreis. „Da, besonders auch bei meiner Freundin, finde ich Unterstützung.“ Annehmen mag er die Hilfe selten, aus Scham und aus Sorge vor Abhängigkeit.
Heftig war die Corona-Zeit. Maas wurde geradezu apathisch: „Ich sah kaum noch eine Perspektive.“ Einen Ausweg zeigte ihm ein Kommilitone. Der motivierte ihn, sich gesellschaftlich zu engagieren. Maas trat in die GEW ein, kämpft seitdem mit anderen für einen Tarifvertrag für studentische Beschäftigte (TV Stud). Sein Tief hat er damit zwar noch nicht ganz überwunden. Aber er sagt: „Ich finde es wichtig, sich solidarisch zu verhalten. Gemeinsam kann man etwas verändern. Ich versuche, Ohnmacht in Handeln zu wandeln.“
Stephan Lüke