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Lehrkräfte in Florida

„Wir werden massiv angegriffen“

In den USA stehen Lehrkräfte besonders in den republikanisch geführten Staaten wie Florida stark unter Druck. Andrew Spar, Präsident der Florida Education Association berichtet im Interview über die angespannte Lage.

Der Kongress der National Education Association (NEA), der im Juli mit rund 7.000 Delegierten in Florida stattfand, befasste sich mit wichtigen Themen wie Vielfalt, Gleichstellung und den Rechten der Lehrkräfte. Diese stehen vor allem in republikanisch geführten Staaten wie Florida unter Druck, wie Andrew Spar, der Präsident der Florida Education Association erklärt.

  • Carmen Ludwig: In Florida gefährdet die Politik des Gouverneurs Ron DeSantis, der auch einer der Präsidentschaftskandidaten ist, die öffentliche Bildung. Was sind die größten Sorgen der Lehrkräfte?

Andrew Spar: Es ist wirklich eine schwierige Zeit für Lehrkräfte in Florida. Wir haben den schlimmsten Lehrkräftemangel, den wir je erlebt haben. Wir haben Klassenzimmer, in denen es keine Lehrkräfte gibt, so dass sie von Vertretungslehrkräften abgedeckt werden müssen. Manchmal passt eine Person auf die Kinder in vier oder fünf Klassen auf, so dass sie nichts lernen.

Zum Teil ist der Lehrkräftemangel auch auf eine Reihe von Gesetzen zurückzuführen, die verabschiedet wurden. Mit diesen werden Lehrkräfte beschuldigt, sie würden Schüler*innen indoktrinieren und zur Homosexualität erziehen. Die Lehrkräfte sind nicht mehr bereit, unter diesen Bedingungen zu unterrichten. Hinzu kommt die niedrige Bezahlung. Lehrkräfte ergreifen die Profession, weil sie die Schüler*innen beim Lernen unterstützen wollen. Wenn es Gesetze gibt, die dich daran hindern zu tun, was das Beste für deine Schüler*innen ist, macht es die Arbeit noch schwieriger.

„Das zerreißt den Lehrkräften das Herz.“ (Andrew Spar)

  • Ein wichtiges Thema auf dem Kongress war das Verbot von Büchern in Schulen und der Angriff auf die Rechte von Minderheiten. Wie ist die Situation in Florida?

Bei den Büchern, die aus unseren Schulen entfernt wurden, handelt es sich meist um Bücher mit LGBTIQ+ Bezug. Wenn diese Bücher aus den Schulen entfernt werden, haben die Kinder das Gefühl, dass mit ihnen etwas nicht stimmt, dass sie dort nichts zu suchen haben. Das zerreißt den Lehrkräften das Herz.

Andere verbotene Bücher handeln zum Beispiel von afroamerikanischer Geschichte, von der Sklaverei, von den Erfahrungen der Indigenen hier in den Vereinigten Staaten sowie von Einwanderern. Das Traurige daran ist: Eine einzige Person kann ein Buch verbieten lassen, ohne dass die anderen Eltern ein Mitspracherecht haben.

Ein solches Beispiel ist ein Gedicht von Armanda Gorman – einer jungen Poet Laureate (eine Auszeichnung, die im Commonwealth Dichter*innen verliehen wird, Anm. d. Red.) –, das sie bei der Amtseinführung von Präsident Joe Biden vortrug. In diesem Gedicht geht es um Inspiration, darum, wer wir sind und wie wir bessere Menschen sein können. Ein Elternteil beschwerte sich darüber und es wurde aus der Schule entfernt. In ihrer Beschwerde trug sie sogar den falschen Namen der Autorin in das Formular ein. Als sie von Reportern befragt wurde, gab sie zu, das Buch nicht gelesen zu haben und generell nicht gerne zu lesen. Aber das reicht aus, um Bücher an Schulen verbieten zu lassen.

  • Wie wirkt sich das auf die Lehrkräfte aus?

Die Lehrkräfte sind sehr besorgt. Ihnen wird sogar mit einer Gefängnisstrafe gedroht, wenn an den Schulen vermeintlich pornografische Bücher vorhanden sind. Man darf nicht vergessen: Es gibt Menschen, die diese Anschuldigungen erheben, ohne wirklich etwas von der Materie zu verstehen oder zu wissen, was beim Lesen und Unterrichten angemessen ist.

Die Lehrkräfte müssen auch viel mehr Arbeit leisten, weil ihnen gesagt wird, sie müssten jedes Buch lesen, es in eine Datenbank aufnehmen und abzeichnen, dass diese Bücher alle angemessen sind. In manchen Klassenzimmern, vor allem in der Grundschule, stehen Hunderte von Büchern. Wenn sich irgendwann jemand beschwert, können die Lehrkräfte in Schwierigkeiten geraten. Es kann ein Elternteil oder eine beliebige andere Person sein – ein politischer Akteur oder jemand, der seine eigenen persönlichen Ziele verfolgt –, die sagt: „Ich möchte, dass ein Buch aus der Schule entfernt wird“. Da gibt es eine Person in einem Bezirk in Florida, die zwar keine Kinder im Schulsystem hat, dafür aber über 600 Bücher aus den Schulen entfernen lassen will.

„Wenn wir nicht für gute öffentliche Schulen für jedes Kind sorgen, dann ist die Demokratie selbst in Gefahr.“ (Andrew Spar)

  • Teil von DeSantis Programm ist es auch, die Privatisierung des öffentlichen Schulsystems zu befördern?

Ja, um die Privatisierung zu fördern und so vielen unserer Kinder die Bildung zu entziehen. In Florida gibt es jetzt sogenannte universelle Gutscheine, sodass jedes Elternteil einen Scheck von der Regierung bekommen kann, um sein Kind auf einer beliebigen Privatschule einzuschreiben. Für diese Privatschulen gibt es keine Rechenschaftspflicht. Für sie gelten keine der Anforderungen, die für öffentliche Schulen gelten. Privatschulen müssen keine Lehrkräfte mit Universitätsabschluss oder Unterrichtserfahrung haben. Wir haben in Florida gesehen, dass einige dieser "Voucher-Schulen" nur gegründet wurden, um diese staatlichen Bildungsgutscheine zu erhalten. Sie kaufen einfach Arbeitsbücher und sagen: „Das ist unser Lehrplan“.

Sogar Leute, die Millionäre und Milliardäre sind, können einen Gutschein im Wert von etwa 8500 US-Dollar erhalten, um die Ausbildung ihrer Kinder an einer Privatschule zu finanzieren. Geschätzt wird, dass dies die öffentlichen Schulen Floridas über drei Milliarden Dollar kostet. Diese sind stark unterfinanziert. In den Vereinigten Staaten von Amerika rangieren wir bei der Finanzierung unserer Schulen auf Platz 45 unter den 50 Staaten. Und wir sehen, dass noch mehr Geld von unseren öffentlichen Schulen abgezweigt wird.

  • Die Florida Teachers' Association führt derzeit eine Postkartenkampagne mit persönlichen Botschaften an ihre Mitglieder durch, der Gewerkschaft treu zu bleiben. Ist auch das Recht der Lehrkräfte bedroht, sich zu organisieren?

Ja, wir sind in der Bildungsgewerkschaft gerade einem enormen Angriff ausgesetzt. Die Regierung hat ein Formular entworfen, das die Lehrkräfte unterschreiben müssen, auf dem steht: Ich möchte in einer Gewerkschaft sein. Aber füllt man das Formular nicht so aus, wie es die Regierung vorschreibt, behaupten sie, dass man kein Gewerkschaftsmitglied sei. Mindestens 60 Prozent jeder Einheit müssen Mitglied sein, sonst kann man seine gewerkschaftliche Vertretung verlieren.

Gouverneur Ron DeSantis hat drei Personen ernannt, die all dies überwachen sollen. Wenn sie zu dem Schluss kommen, dass die Gewerkschaft nicht kooperiert oder nicht die Wahrheit sagt, können sie der Gewerkschaft die Anerkennung entziehen. Dagegen kämpfen wir vor Gericht. In unserem Gerichtssystem ist das zu einer echten Herausforderung geworden, weil viele Richter*innen nicht auf der Seite der Beschäftigten stehen.

  • Die NEA ist eine starke Bildungsgewerkschaft mit etwa 3 Millionen Mitgliedern. Was könnt ihr tun, um die Situation zu ändern?

Was wir weiterhin tun, ist, unsere Stimme zu erheben und mit anderen Gruppen zusammenzuarbeiten. Wir erinnern uns an die Bürgerrechtsbewegung in den Vereinigten Staaten, die sich auf Glaubensgruppen, Gemeinden und Gewerkschaften stützte, in denen Aktivist*innen zusammenkamen. Wir sind der Meinung, dass wir uns wieder zusammenschließen müssen, um uns zu organisieren, zu mobilisieren und unsere Stimme gegen das zu erheben, was derzeit in unseren öffentlichen Schulen geschieht. Die Idee der Demokratie erfordert eine gebildete Bürgerschaft. Wenn wir nicht für gute öffentliche Schulen für jedes Kind sorgen, dann ist die Demokratie selbst in Gefahr.