Hochschulen
Wildwuchs in der Mitbestimmung
Ausgerechnet bei der Mitbestimmung stößt die Freiheit von Forschung, Wissenschaft und Lehre zunehmend an Grenzen. Personalräte an den Hochschulen werden immer stärker ausgebremst.
Thomas Hoffmann kann ein Lied davon singen, wie schwierig Mitbestimmung in der Wissenschaft sein kann. Seit 18 Jahren ist er Personalrat an der Hochschule Nordhausen in Thüringen, seit 2010 Personalratsvorsitzender. Doch mit Drittmitteln beschäftigte wissenschaftliche und künstlerische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dürfen nur auf Antrag vom Personalrat vertreten werden. „Viele Kolleginnen und Kollegen scheuen diesen Weg“, sagt Hoffmann. Daher werden die meisten Einstellungen, Vertragsverlängerungen und Eingruppierungen der Personalvertretung gar nicht erst vorgelegt. „Die Folge sind Wildwuchs und Missbrauch – und die Beschäftigten leiden unter schlechteren Konditionen.“ Seit Jahren streitet Hoffmann daher für eine regelhafte Mitbestimmung für alle Beschäftigten.
Doch damit stößt er bei Hochschulleitungen und Politik auf taube Ohren. Personalmaßnahmen würden sogar zunehmend auf die Ebene der Fakultäten und Fachbereiche delegiert – die an eine Mitbestimmung gar nicht erst denken, so Hoffmann. Selbst die Landespräsidentenkonferenz, die Entscheidungen für alle Thüringer Hochschulen treffe, finde unter Ausschluss der Personalräte statt.
Wir beobachten seit Jahrzehnten eine Erosion der Mitbestimmungsrechte der Beschäftigten und Studierenden, während die Macht der Rektorate, Senate und Dekanate ausgebaut wird.“ (Andreas Keller)
Es ist paradox: Gerade in der Wissenschaft, die von der Freiheit in Forschung und Lehre lebt, ist die Personalvertretung der Beschäftigten stärker eingeschränkt als anderswo in der öffentlichen Verwaltung. Und die Beschränkungen nehmen noch zu. „Die Mitbestimmung in der Wissenschaft ist in die Krise geraten“, sagt Andreas Keller, GEW-Vorstand für Hochschule und Forschung. „Wir beobachten seit Jahrzehnten eine Erosion der Mitbestimmungsrechte der Beschäftigten und Studierenden, während die Macht der Rektorate, Senate und Dekanate ausgebaut wird.“
Erst in den vergangenen Jahren konnten in einzelnen Ländern zaghafte Fortschritte verbucht werden – ein Erfolg der beharrlichen Kritik der GEW und Studierendenvertretungen. Auch die Hochschulgremien würden nicht mehr überall von Kollegialorganen wie Senat oder Konzil gewählt, kritisiert Keller, sondern von neu geschaffenen, externen Kontrollorganen wie Hochschulräten. Diese regierten wie Aufsichtsräte in einem Wirtschaftsunternehmen in die Hochschulen hinein.
„Wir haben in jedem Land eine andere Rechtslage – allerdings überall ähnliche Probleme.“
Die Personalräte haben dabei kaum Rechte. „Die GEW fordert eine uneingeschränkte Mitsprache für alle Beschäftigten“, betont Keller. „Gerade für Menschen, die einen besonderen Schutz brauchen, weil sie in prekären Jobs und Kettenbefristungen festhängen.“ Doch bundesweit einheitliche Regelungen sind nicht zu erwarten, da Wissenschaft Ländersache ist und das Hochschulrahmengesetz des Bundes seit 2006 keine Bindungswirkung mehr hat. „Wir haben in jedem Land eine andere Rechtslage – allerdings überall ähnliche Probleme“, so Keller.
Probleme der Personalräte
In Nordrhein-Westfalen (NRW) gilt mittlerweile eine umfängliche Mitbestimmung für alle Personalbereiche. „Wir vertreten inzwischen fast alle Beschäftigten ohne Antrag und haben eine Dienstvereinbarung mit Mindeststandards für alle Lehrbeauftragten abgeschlossen“, erzählt Luzia Vorspel, Personalratsmitglied für die wissenschaftlich Beschäftigten an der Ruhr-Universität Bochum. „Wir können einiges tun, weil wir alle Personalmaßnahmen vorgelegt bekommen.“
Gut sei die Lage damit trotzdem nicht. Denn die mehr als 30 Hochschulen in NRW sind seit Inkrafttreten des Hochschulfreiheitsgesetzes 2007 selbstständig und unabhängig – und die Beschäftigten keine Landesbediensteten mehr. Der Hauptpersonalrat als zweite, landesweite Mitbestimmungsinstanz wurde abgeschafft. „Die Hochschulleitungen und deren Verwaltungen versuchen, es sich in vielen Fragen leicht zu machen, und wir müssen immer wieder intervenieren“, sagt Vorspel. Die ständige Befristung der Verträge der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf durchschnittlich ein Jahr mache es zudem schwierig, Leute für die Arbeit im Personalrat zu gewinnen – dessen Mitglieder für vier Jahre gewählt werden.
Das Dilemma kennt auch Rea Kodalle, Personalratsmitglied an der Carl-von-Ossietzky-Universität in Oldenburg. Sie hat jedoch ein konstruktives Verständnis von der Personalratsarbeit. „Wir können nicht immer in der Opferrolle auftreten“, sagt Kodalle. „Ich sehe es als unseren Auftrag an, uns mit guten Vorschlägen als Partner bei der Gestaltung notwendiger Entwicklungen der Hochschulen einzubringen – sei es bei Themen wie Digitalisierung, mobile Arbeit oder Generationswechsel.“ Die Personalräte seien dafür ein guter Ratgeber: Sie wüssten, was die Beschäftigten tatsächlich wollen.