Es geht um nicht mehr und nicht weniger als ein anderes Verständnis von Gesellschaft. Denn: Inklusive Gemeinschaften sondern nicht aus. Alle Menschen gehören ihr an, ob behindert oder nicht, ob Migrant oder Einheimischer, ob Jung oder Alt, ob Mann oder Frau, gleich- oder andersgeschlechtlich orientiert. Die Weltgemeinschaft – dies macht die UN-Konvention unmissverständlich klar – will Inklusion, will Dazugehörigkeit.
Vor allem der Bildungsartikel 24 der Konvention erweist sich deshalb als große Herausforderung für die Bildungspolitik in Deutschland, aber auch für die einzelnen Einrichtungen. Die UN-Konvention fordert ein „inclusive education system“, das wir in Deutschland ganz offensichtlich nicht haben und das von der Mehrheit der Bundesländer auch nicht gewollt wird. In der deutschen – nicht autorisierten – Übersetzung wurde deshalb „inclusive education system“ manipulativ mit „integrativem Bildungssystem“ übersetzt . Länder wie Baden-Württemberg interpretieren dies dann so, dass unser Schulsystem bereits „integrativ“ sei, weil die Sonderschulen den Auftrag hätten, Schüler in die Gesellschaft zu integrieren. In einem Manifest „Inkusive Bildung – jetzt“ stellt sich die GEW jedoch gemeinsam mit Behindertenorganisationen* auf den Standpunkt, dass das englischsprachige Original verbindlich ist und sich infolgedessen auch Deutschland verpflichtet hat, ein inklusives Bildungssystem zu entwickeln.
Die zahlreichen Proteste gegen die interessengeleitete falsche Übersetzung haben mittlerweile immerhin dazu geführt, dass sich die Kultusministerkonferenz (KMK) zu einer Überarbeitung bzw. Neufassung der Empfehlungen zur sonderpädagogischen Förderung von 1994 entschlossen hat. Behindertenorganisationen sollen an diesem Prozess beteiligt werden, Lehrerorganisationen allerdings „vorerst“ noch nicht. Dagegen hat die GEW protestiert und dem KMK-Präsidium eine Erklärung des Geschäftsführenden Vorstandes übermittelt, in der es u.a. heißt: „Die UN-Konvention gibt ein institutionelles Ziel für die volle Verwirklichung des Rechts auf Bildung vor, dem sich die Unterzeichnerstaaten und damit auch Deutschland verpflichtet haben. Und dieses Ziel heißt ‚Inklusion’. Die GEW erwartet deshalb und drängt darauf, dass auch die KMK die gegenwärtige ‚integrative’ Phase als Übergangsstadium zu einem vollständig inklusiven Bildungssystem des gemeinsamen Lebens und Lernens bis zum Ende der Pflichtschulzeit und darüber hinaus betrachtet.“
Die UN-Konvention ist jedoch nicht nur eine Herausforderung für die Bildungspolitik, die zum Beispiel als erste Maßnahme Schulen für Lernbehinderte schließen müsste. Sie ist auch eine Herausforderung für einzelne Bildungseinrichtungen. Mit dem Hinweis auf mangelnde personelle Ressourcen oder unzureichende Ausstattung darf Menschen mit Behinderungen der Zugang zu Schulen, Kitas oder Hochschulen nicht länger verwehrt werden. Träger der Bildungseinrichtungen müssen vielmehr die notwendigen Voraussetzungen für ein gemeinsames Lernen aller Kinder bereitstellen. Und die Pädagoginnen und Pädagogen müssen sich mit Hilfe von Fort- und Weiterbildung darauf einstellen. Vermutlich werden sich die Gerichte demnächst mit diesen Fragen zu befassen haben, denn die UN-Konvention sieht erstmals auch ein individuelles Klagerecht vor. Deshalb wird diese Konvention nicht in der Schublade verschwinden.