Geschlechterparität
Weibliche Führungskräfte gesucht
In Schulen und Kitas stellen Frauen zwar die Mehrheit der Beschäftigten. Ein Blick in die Praxis zeigt jedoch: Je „höher“ die Schulform und die Besoldung sind, umso niedriger ist der Frauenanteil in den Leitungsgremien.
Mareike Klauenflügel ist stellvertretende Schulleiterin an der Integrierten Gesamtschule (IGS) Kalbach-Riedberg in Frankfurt am Main. Dass sie irgendwann eine führende Position übernehmen würde, war für die 42-Jährige schon früh klar. „Während des Studiums bin ich oft ausgelacht worden, weil ich nie gesagt habe, dass ich Lehrerin werden will“, erzählt sie. „Ich habe immer gesagt, dass ich Schulleiterin werden will.“ Dabei sei es von Anfang an nicht ihre Motivation gewesen zu leiten, sondern zu gestalten.
Dazu hat sie an ihrer IGS nun alle Möglichkeiten. Die reformpädagogische Teamschule ist seit dem Schuljahr 2017/2018 im Aufbau, aktuell besuchen 420 Schülerinnen und Schüler die Stufen 5 bis 8. Klauenflügel war schon Mitglied in der Konzeptgruppe, die das Profil der IGS entwickelt hat. Heute besteht das Kollegium zu drei Vierteln aus Frauen, zehn von derzeit zwölf „Personen mit besonderer Verantwortung“ sind weiblich.
Junge Mütter arbeiten meist in Teilzeit
Neben ihr und der Schulleiterin gehören zwei weitere Frauen zur erweiterten Schulleitung. Es hätten sich keine Männer um die Posten beworben, berichtet die 42-Jährige. „Unsere These ist, dass die Männer abgeschreckt waren, schon in der Konzeptgruppe so viele starke Frauen zu erleben“, meint sie und lacht. „Das muss man auch aushalten.“ Von den beiden Kolleginnen in der erweiterten Schulleitung arbeite eine in Teilzeit, die andere habe kürzlich mit Mitte 50 auf Vollzeit aufgestockt und sei in die verantwortliche Position gewechselt – jetzt, da die Kinder aus dem Haus seien. „Ich selbst bin kinderlos und liebe es, meinen Job in Vollzeit mit Herzblut machen zu können“, sagt sie.
Die anderen Kolleginnen hätten hingegen alle Kinder, die jüngeren Mütter würden ausnahmslos in Teilzeit arbeiten. „Sie sehen den Zeitfaktor als Schwierigkeit, wenn es um leitende Positionen geht. Es ist leider immer noch so, dass Frauen häufig Vorwürfe aus ihrem Umfeld bekommen, sie würden sich zu wenig um ihre Kinder kümmern.“
„Das ist ein Demokratieproblem, denn es bedeutet: Diejenigen, die die Arbeit machen, sind nicht in gleichem Maße auch diejenigen, die die Weichen stellen.“ (Frauke Gützkow)
Dass so viele Frauen in der Schulleitung einer weiterführenden Schule sind wie an der IGS von Klauenflügel, ist eine Ausnahme. Zwar gibt es hierzu keine aktuellen bundesweiten Zahlen: Aus Daten des Statistischen Bundesamtes geht aber hervor, dass der Frauenanteil umso geringer wird, je höher die Besoldung ist. Demnach waren Mitte 2019 insgesamt 71,5 Prozent des verbeamteten Personals an allgemeinbildenden und beruflichen Schulen weiblich. Doch während in der Besoldungsgruppe A12 der Anteil der Frauen bei 87 Prozent lag, sank er bis A16 kontinuierlich auf dort nur noch 31,8 Prozent.
Bei den angestellten Lehrkräften lässt sich ein ähnlicher Trend feststellen. Daten wie diese zeigen, dass Frauen vor allem in den Schul- und Beschäftigungsformen arbeiten, die häufig mit geringerer Bezahlung, nachgeordnetem Prestige sowie vordergründig eher pädagogischen Kompetenzen verknüpft werden – das heißt tendenziell eher in den unteren Rängen der Schulhierarchie. Als Führungskräfte sind Frauen an allgemeinbildenden Schulen gemessen an ihrem Anteil unter den Lehrkräften noch immer unterrepräsentiert.
„Das ist ein Demokratieproblem, denn es bedeutet: Diejenigen, die die Arbeit machen, sind nicht in gleichem Maße auch diejenigen, die die Weichen stellen“, betont Frauke Gützkow, im GEW-Vorstand für Frauenpolitik verantwortlich. „Darüber hinaus ist das ein fatales Signal für die Schülerinnen und Schüler, wenn sie wahrnehmen: Leitungspositionen sind eher etwas für Männer.“
„Damit Teilzeit kein Karrierehemmnis bleibt, brauchen wir flächendeckend Modelle dafür, wie sich Leitungsfunktionen teilen lassen.“
Beispielhaft belegen das auch Zahlen aus dem Regierungsbezirk Arnsberg. An den dortigen Grundschulen unterrichteten im Dezember 2018 zu 90,2 Prozent Frauen, während sie in den Grundschulleitungen mit nur 80,3 Prozent vertreten waren. An den weiterführenden Schulen standen 63,3 Prozent Lehrerinnen lediglich 41,9 Prozent Schulleiterinnen gegenüber. Einer der Gründe für dieses Missverhältnis: In Teilzeit arbeitende Frauen würden häufig unterschätzt, meint Gützkow. „Damit Teilzeit kein Karrierehemmnis bleibt, brauchen wir flächendeckend Modelle dafür, wie sich Leitungsfunktionen teilen lassen.“ Zudem müssten die jeweiligen Schulverwaltungen gezielte Gleichstellungspläne erarbeiten und auf eine diskriminierungsfreie Personalpolitik achten.
Der Frauenanteil unter den Studierenden an den deutschen Universitäten erhöhte sich laut Statistischem Bundesamt in den zurückliegenden knapp zwei Jahrzehnten von 47,4 Prozent im Wintersemester 2002/03 auf aktuell 49,9 Prozent.
Nach dem Studium sinkt der Frauenanteil an den akademischen Bildungseinrichtungen jedoch rapide. Lediglich knapp mehr als ein Viertel (25,6 Prozent) der Professuren wurde 2019 von Frauen besetzt (2002: 12 Prozent); bei den hoch dotierten C4-Professuren war es gar nur etwas mehr als jede zehnte Stelle (11,7 Prozent).
Um mehr Frauen nach der Promotion im Wissenschaftssystem zu halten, haben Bund und Länder bereits 2008 das Professorinnenprogramm ins Leben gerufen und dafür bislang rund eine halbe Milliarde Euro zur Verfügung gestellt.
Stereotype Rollenbilder
Das Stellenbesetzungsverfahren ist in dieser Frage klar geregelt – unter anderem dahingehend, dass die Strategie des Gender Mainstreaming angewendet wird, bei jeder Entscheidung die Gleichstellung von Männern und Frauen zu beachten. „Es steht für die Beteiligten völlig außer Frage, dass Frauen genauso geeignet für Leitungspositionen sind wie Männer“, sagt Professorin Katja Kansteiner von der Pädagogischen Hochschule Weingarten. „Das heißt allerdings nicht, dass die Menschen in diesem System nicht unbewusst stereotypen Bildern folgen.“ So sei denkbar, dass das Phänomen des „Gleich und gleich gesellt sich gern“ auch hier zum Tragen komme: „Wo viele Männer sind, werden auch eher Männer eingestellt.“
In der Studie „Schulleitungsbesetzung unter der integrierenden Perspektive von Gender Mainstreaming und Diversity Management“ hat die Wissenschaftlerin untersucht, welche Rolle unter anderem das Geschlecht bei der Besetzung von Schulleitungsstellen spielt. Eines der Ergebnisse: Mit Blick auf Frauen steht im Bewerbungsverfahren zwar nicht deren Kompetenz in Frage, dafür aber teilweise ihr familiärer Status und die damit möglichen Versorgungszeiten für Kinder und Angehörige.
„Manche der in der Studie Befragten überlegten, ob nicht ein Aufstieg nach der Kinderzeit besser wäre“, berichtet Kansteiner. „Aber damit kippt letztlich Gleichstellung, weil potenzielle Bewerberinnen in dem Moment außen vor bleiben.“ Hier brauche es andere Strukturen, die eine solche Entscheidung gar nicht erst erforderlich werden ließen, meint sie und unterstützt explizit die Forderung der GEW nach Modellen für geteilte Schulleitungen.
94 Prozent des Personals in Kitas sind Frauen
Eine andere Perspektive auf das Thema Geschlechterparität zeigt sich im Bereich der Erziehung jüngerer Kinder. Hier lautet seit Jahren die Frage: Wie lassen sich mehr Männer für die Kita begeistern? Laut „Fachkräftebarometer Frühe Bildung 2019“ sind 94 Prozent des pädagogischen und des leitenden Personals in Kitas Frauen, „von denen viele neben einer Berufstätigkeit offenkundig immer noch den Hauptteil der familiären Care-Arbeit verrichten.“ Dies spiegele sich in der gleichbleibend hohen Teilzeitquote von 60 Prozent.
Eine Studie der Bertelsmann Stiftung zur Leitung von Kindertageseinrichtungen weist mit Blick auf die dortige Geschlechterverteilung darauf hin, dass der Männeranteil parallel zum Anteil der Leitungszeiten steigt, die den Leitungskräften zur Verfügung stehen. Hier zeige sich ein spezifisches Profil der Männer: „Diese sind sehr viel häufiger Leitungskräfte ohne weiteren Arbeitsbereich und verfügen so tendenziell über mehr Zeitressourcen für Leitungsaufgaben.“
Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Leitungen
Petra Kilian gehört zu den Kita-Leiterinnen, die komplett für die Leitung ihrer Einrichtung freigestellt sind. Die vergleichsweise große Kita in Stuttgart bietet Platz für gut 100 Kinder: Der kommunale Träger sieht für Häuser dieser Größenordnung mit sieben Gruppen ein Stundenkontingent für Leitungsaufgaben von 120 Prozent vor. Da die 62-Jährige eine 80-Prozent-Stelle hat, bleiben 40 Prozent für ihre Stellvertreterin übrig. Und auch das ist noch knapp bemessen. „Die Aufgaben werden immer mehr, die Ansprüche und Anforderungen ändern sich ständig – gerade jetzt in der Corona-Krise“, erläutert Kilian.
Dass sie sich voll auf ihre Leitungsaufgaben konzentrieren kann und nicht mehr selbst mit Kindern arbeitet, ist für sie in Ordnung. „Vielen Frauen fällt das aber schwer. Ihnen ist es wichtig, weiterhin den Kontakt zu den Kindern zu halten. Aber wer gut leiten und führen will, muss sich bewusst sein, immer Leitung zu sein und sich dieser Rolle stellen.“ Ein weiterer Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Fachkräften, den sie wahrnimmt: Frauen brauchten häufiger Impulse von außen und müssten ermutigt werden, ihre Zweifel am eigenen Können zu überwinden. „Männliche Erzieher wissen dagegen oft schon sehr früh ganz genau, dass sie Karriere machen wollen und übernehmen dann zielstrebig auch die größeren Häuser.“
„Die frühe Bildung ist für viele Männer nicht attraktiv, weil sie mit weniger Prestige und Status verknüpft ist und weil sie deutlich schlechter bezahlt ist.“ (Kirsten Fuchs-Rechlin)
Eine aktuelle Studie zu Karrierewegen in der Kita, die derzeit unter Leitung von Professorin Kirsten Fuchs-Rechlin vom Deutschen Jugendinstitut erstellt wird, bestätigt genau das. „Junge Männer kommen und sagen, sie wollen in die Leitung“, berichtet sie. „Frauen werden häufig darauf angesprochen und fragen sich dann erst einmal: Kann ich das überhaupt? Und will ich das?“ Der Arbeitsmarkt sei noch immer in hohem Maße von einer geschlechtsspezifischen Segregation geprägt, die sich besonders in Bildungsberufen und hier vor allem in den Kitas zeige.
„Die frühe Bildung ist für viele Männer nicht attraktiv, weil sie mit weniger Prestige und Status verknüpft ist und weil sie deutlich schlechter bezahlt ist“, erläutert die Wissenschaftlerin. Die hohe Teilzeitquote weiblicher Fachkräfte erklärt sie so: „Frauen sind in Teilzeit, weil sie verheiratet sind und Kinder haben. Bei Männern ist es umgekehrt: Sie sind in Vollzeit, weil sie verheiratet sind und sich vermutlich ihre Frauen um die Kinder kümmern.“ Hier zeige sich, dass alte Rollenmuster nach wie vor Bestand hätten.
Die FRÖBEL-Gruppe, nach eigenen Angaben Deutschlands größter überregionaler freigemeinnütziger Träger von Kindertageseinrichtungen, hat sich das langfristige Ziel gesetzt, dass Frauen und Männer im Unternehmen in gleichen Anteilen vertreten sein sollen. Aktuell beschäftigt die Gruppe gut 3.500 pädagogische Fachkräfte, davon 86 Prozent Frauen. In den Kita-Leitungen sei das Verhältnis zwischen Frauen und Männern identisch, sagt Geschäftsführer Stefan Spieker. Auch er hat festgestellt, dass der Karrieregedanke bei Männern weit verbreitet ist und Frauen im Allgemeinen mehr Ansprache und Sicherheit brauchen, wenn sie in Führungspositionen wechseln wollen.
„Um Geschlechterparität zu erreichen, müssen wir darauf achten, dass familiäre Unterbrechungszeiten nicht zu Karriere-Killern werden.“ (Stefan Spieker)
Sein Unternehmen hat daher schon vor gut zehn Jahren Trainee-Programme entwickelt, die weibliche Fachkräfte motivieren und dabei unterstützen sollen, Leitungsaufgaben zu übernehmen. „Um Geschlechterparität zu erreichen, müssen wir darauf achten, dass familiäre Unterbrechungszeiten nicht zu Karriere-Killern werden“, macht Spieker deutlich. Hierbei könnten solche Programme helfen – unter anderem deswegen, weil sich dort langfristige Netzwerke aufbauen lassen. „Und Netzwerkstrukturen sind wichtig, denn sie stärken die Leitungen.“
Das sieht die stellvertretende Schulleiterin Klauenflügel genauso. Ihre Hoffnung: Wenn Dinge selbstverständlich werden, ist irgendwann kein Platz mehr für alte Muster. Dann erfahren Mädchen schon früh, dass sie das Gleiche können wie Jungen. Und dann zweifeln Frauen nicht mehr an ihren Führungsqualitäten.